Antwort auf Offenen Brief von Hüseyin-Kenan Aydin, MdB
Lieber Hüseyin,
Du sprichst Dich in Deinem offenen Brief implizit für die Entsendung der Bundeswehr in den Sudan aus und forderst eine programmatische Öffnung der neuen Linken für mögliche Auslandseinsätze deutscher Soldaten.
Vorab: Ich halte beides für grundfalsch.
1. Angebliche Zustimmung der linken Fraktion im Europaparlament zum Sudan-Einsatz
Du argumentierst damit, dass "Die Linke im Europaparlament" der Entsendung von 22.000 UN - mandatierten Soldaten in den Sudan zugestimmt habe. Daraus wird dann in der Folge eine erwünschte Zustimmung der Bundestagsfraktion der LINKEN zu diesem Militäreinsatz abgeleitet.
Zum Agieren der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament zum Sudan-Einsatz ist folgendes zu sagen. Die GUE/NGL hat die fragliche Entschließung mit gezeichnet, so wie sie auch die Entschließung zum Libanon-Einsatz mit zeichnete. Beides bedauere ich. Daraus aber auf eine Zustimmung der Linken im Europaparlament zu schließen, ist falsch. Wesentlich ist, wie die Abgeordneten sich bei der Abstimmung verhalten haben.
Wie etliche andere Abgeordnete der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament habe ich gegen eine Entsendung von Truppen in den Sudan gestimmt haben. Da keine namentliche Abstimmung beantragt worden war, ist im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar, wer wie abgestimmt hat.
Unsere Fraktion im Europaparlament ist konföderal organisiert, damit so unterschiedliche Position, wie z.B. die meiner schwedischen Kolleg/inn/en, die den Austritt ihres Landes aus der EU fordern und die meiner italienischen Kolleg/inn/en, die eher auf den Ausbau föderaler europäischer Strukturen setzen Platz haben und so auch arbeitsfähig bleibt. In der Fraktion wird im Vorfeld nicht über Entschließungsanträge abgestimmt. Die Abgeordneten entscheiden nur ganz selten, ob die Fraktion eine Resolution mit zeichnet, dies geschieht zumeist auf der Ebene der Fraktions-Mitarbeiter/innen im politischen Sekretariat der Fraktion. Es gibt zudem keinerlei Fraktionszwang. Man mag das Verfahren gut finden oder nicht. Kurz: aus einer Mitzeichnung der Resolution lässt
sich keine Zustimmung der Fraktion GUE/NGL im Europaparlament herleiten, wesentlich dafür sind dann die Abstimmungen nicht die Mitzeichnung.
Zusammengefasst: Als Argument für die Zustimmung zu einem Bundeswehreinsatz im Sudan lässt sich das Agieren der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament nicht verwenden.
2. Situation in Darfur
Zum eigentlichen Thema: Völlig zu Recht weist Du auf die schlimme Situation in Darfur hin. Es ist ein Skandal, dass weiter Waffen an die Milizen, wie auch an das Regime in Khartum geliefert werden und nicht ausreichend Gelder für die Unterbringung der Flüchtlinge bereitgestellt werden. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Die Konstellation der Akteure ist nicht so einfach: Die Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt die Situation wie folgt: "Trotz der sukzessiven Aufstockung von anfangs rund 400 auf heute 7700 Mann konnte die AU-Mission nur zeit- und teilweise die Gewalteskalation hemmen und die Zahl der Übergriffe auf die Bevölkerung verringern. Die Krisenregion insgesamt vermochte sie nicht zu stabilisieren. Hauptursachen hierfür sind die zunehmende Komplexität der Krise und die damit stetig gewachsenen Anforderungen an die Mission. Trotz Ausweitung der AMIS Mission verschärfte sich die Krise seit Herbst 2005 weiter. Khartum unterstützte seither nicht nur die Djanjawid bei ihren Razzien in Flüchtlingslagern im Tschad, sondern auch taschdische Kräfte mit Rückzugsräumen in Darfur, die gegen das tschadische Regime rebellieren. Der Präsident des Tschad, Idriss Deby, zog sich daraufhin aus dem Aubuja-Friedensgesprächen zurück und begann seinerseits die Darfur - Rebellion gegen Khartum zu fördern. Schließlich gingen auch einzelne Gruppen der JEM dazu über, im Tschad Flüchtlinge zwangsweise zu rekrutieren. Seit Abschluss des DFA im Mai 2006 begannen sich die Fronten zwischen den Konfliktparteien mehr und mehr zu
verwischen. Als der politische Druck auf die SIA/M-Fraktion um Minawi erhöht wurde, ging der integrative Schirm verloren, den SIA/M und JEM bislang über die vielen verschiedenen Interessensgruppen gespannt hatten. Außer der Gruppe von Minawi sah keine andere Rebellengruppe ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen im DFA ausreichend berücksichtigt. Seither ist die AMIS mit einer nur schwer überschaubaren Anzahl regional agierender Splittergruppen konfrontiert. Diese kämpfen nicht nur gegen Khartum und die Djanjawid, sondern mittlerweile auch gegeneinander, gegen das AMIS-Personal, die Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. Die Zustimmung der Bevölkerung zur AU- Mission und zum DFA nimmt daher ständig ab." Soweit die, meiner Ansicht nach, sehr realistische Beschreibung der komplizierten Situation vor Ort.
3. Forderungen nach Militärinterventionen sind kontraproduktiv
In dieser Situation betreiben die britische und vor allem die us-amerikanische Regierung ein gefährliches Spiel. George W. Bush und Tony Blair bestehen seit langem auf der Entsendung westlicher Soldaten in den Sudan. So forderte der US-Präsident am 19. September 2006, in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung, die Entsendung von Truppen der NATO-Staaten ein. Auch Prominente werden aufgefahren, um die Legitimation einer Militärintervention in der Weltöffentlichkeit zu erreichen. Die allen UN - Reporten widersprechende verfälschende und vereinfachende Kennzeichnung der Situation vor Ort als Völkermord, soll zur rechtlichen Legitimation dienen.
Mark Malloch Brown, stellvertretender Generalsekretär der UN bezeichnete diese "Megafon-Diplomatie" der Regierungen der USA und Großbritanniens im Darfur-Konflikt als "geradezu kontraproduktiv". Diese führe lediglich dazu, dass der Sudan sich nach dem US-Einmarsch im Irak und in Afghanistan als weiteres Opfer des "Kreuzzuges" darstelle, so Malloch Brown in einem Interview mit der britischen Zeitung "The Independent".
Die Aufforderung an Khartum, die Stationierung von UN-Truppen zu akzeptieren, sei "nicht plausibel".
Diese Position hat Malloch Brown im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments auf meine Nachfrage noch einmal bestätigt. Malloch Brown will, dass China im Darfur-Konflikt mit ins Boot geholt wird. Der Druck auf das afrikanische Land müsse aus Anreizen und Sanktionen bestehen und von einer "diplomatischen Koalition" gestützt werden.
Also ist die zentrale Frage, wie der Bevölkerung in Darfur wirklich geholfen werden kann. Die EU-Kommission und der EU-Rat, die ich ja wirklich selten lobe, konzentrieren ihre Arbeit auf humanitäre Hilfe.
In Deutschland wird die Position, die der Vorbereitung der "humanitären Intervention" in Jugoslawien in vieler Hinsicht ähnelt, am prägnantesten von den Grünen vertreten. So spricht die ehemalige grüne Staatsministerin Kerstin Müller von einem "schleichenden Völkermord" und möchte explizit mehr deutsche Soldaten in den Sudan entsenden. Meine Kollegin in Brüssel, Angelika Beer, fordert sogar den Einsatz der ersten offiziell aufgestellten EU-Battle-Group im Sudan ab 01.01.2007.
Ein ganz wesentlicher Punkt wird dabei in der Debatte immer - bewusst? - außen vor gelassen: Eine Stationierung von UN-Truppen ist nur mit der Zustimmung der sudanesischen Regierung möglich. Doch die liegt nicht vor. Wer sich also für eine Militärintervention einsetzt, muss erklären, wie diese denn ohne Zustimmung der sudanesischen Regierung zustande kommen soll. Ein solches Vorgehen würde einer Kriegserklärung gleichen.
Um es klar auf den Punkt zu bringen: Die Forderung nach einer Militärintervention ist für die leidende Bevölkerung im Sudan völlig kontraproduktiv, sie ist verbalradikal und geht am eigentlichen Konflikt völlig vorbei.
4. Rettung durch wesentliche Mitverursacher?
Warum soll ausgerechnet die Entsendung von UN -mandatierten EU-Truppen, NATO-Truppen oder einer Koalition der Willigen mit deutscher Beteiligung, die die zur Zeit dort stationierten afrikanischen Truppen ersetzen sollen, der Bevölkerung Sudan Frieden bringen soll? Das häufig vorgetragene Argument, die afrikanischen Truppen der AU seien schlecht ausgerüstet und deshalb nicht in der Lage die Flüchtlinge zu schützen, scheint in diesem Zusammenhang eher vorgeschoben. Selbst wenn man die Meinung teilt, dass die Entsendung von Truppen in den Sudan etwas an der Situation ändern könnte und sie nicht noch verschlimmern würde, muss man sich doch die Frage stellen, warum sollen ausgerechnet NATO- und EU-Soldaten in den Sudan? Was haben Deutschland, die USA oder die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien dort verloren? Die USA und Großbritannien führen seit mehr als drei Jahren einen völkerrechtswidrigen Krieg im Irak, der nach Analysen von unabhängigen Institutionen bisher 650.000 Menschen das Leben gekostet hat. Und Deutschland leistet Beihilfe zu diesem Krieg. Die Bundesregierung stimmt zu, dass ein Großteil des Nachschubs für den Irak-Krieg über US-Militärbasen hier läuft. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu festgestellt, dass wer Beihilfe an einem völkerrechtswidrigen Krieg leistet, handelt, als würde er ihn selbst mit führen.
Die Frage, warum die USA und Großbritannien so sehr auf eine westliche Militärintervention im Sudan drängen, hat sicher mehrere Facetten. Auch wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle. Der Sudan ist einer der größten afrikanischen Erdöllieferanten Chinas und bisher sind westliche Erdölfirmen eher sporadisch an der Ausbeutung der sudanesischen Rohstoffe beteiligt. Im Süden scheint zwar vorerst das deutsche Eisenbahnprojekt zur Abschöpfung eines Teils der Erdöleinkünfte auf Eis gelegt. Insgesamt wird aber beklagt, dass sich China einen zu großen Teil des Kuchens abschneidet und westliche Konzerne stärker zum Zug kommen sollten. Vielleicht wichtiger aber als diese unmittelbare militärische Interessensflankierung, ist die Option als westliche Führungsmacht durch die Entsendung von Truppen in den Sudan die moralische Legitimität für den Führungsanspruch als Weltmacht zurück zu gewinnen und damit die moralische Beschädigung durch die Konflikte in Afghanistan und im Irak auszugleichen. Warum Linke dies unterstützen sollten, erschließt sich mir nicht.
5. Öffnung der Linken für Zustimmung zu Militärinterventionen
Offensichtlich ist ein zentraler Grund Deines offenen Briefes aber nicht die Situation in Darfur sondern die Situation der Linken in Deutschland.
Mittlerweile sind große Teile der Bevölkerung in der Bundesrepublik skeptisch gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr. So heißt es in einer Agenturmeldung: "Eine große Mehrheit der Deutschen will die Auslandseinsätze der Bundeswehr verringern. 73 Prozent der Befragten sprachen sich in einer N-tv-Forsa-Umfrage für eine Reduzierung der Einsätze deutscher Soldaten im Ausland aus. Lediglich 23 Prozent waren demnach der Meinung, die Bundeswehr solle ihre Auslandsaktivitäten nicht reduzieren. Vor allem die Ostdeutschen sind für ein geringeres militärisches Engagement Deutschlands (84 Prozent), aber auch im Westen unterstützen 71 Prozent diese Meinung. Für die Umfrage wurden am 30. und 31. Oktober 1005 Menschen befragt." Die Nachrichten insbesondere aus Afghanistan aber auch aus dem Kongo tragen dazu bei, dass sich diese Skepsis verstärkt. Zum ersten Mal seit 15 Jahren überlegen selbst CDU- und SPD-Militärpolitiker deutsche Truppen aus dem Ausland zurückzuziehen.
Und jetzt soll ausgerechnet die LINKE einen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen von EU und NATO im Sudan mit einfordern? Das wäre nicht nur fatal, sondern würde die Glaubwürdigkeit der LINKEN erheblich erschüttern, die bei den Bundestagswahlen 2005 noch mit dem Ziel angetreten war, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden.
In diesem Sinne halte ich auch Deine Forderung nach einer programmatischen Öffnung der LINKEN hin zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr für einen schweren Fehler. Statt selbst Kriterien aufstellen zu wollen, unter welchen Bedingungen Krieg geführt werden soll, wäre eine Klärung angebracht, dass die LINKE für zivile Konfliktlösung und Abrüstung steht und eine andere Außenpolitik will, als die Politik der Militärinterventionen - ob mit oder ohne UN-Mandat. Eine unmissverständliche Absage an Auslandseinsätze der Bundeswehr sollte deshalb im neuen Programm klar verankert werden.
Friedenspolitik ohne klare Grundsätze wird nicht funktionieren. Wohin Prinzipienlosigkeit führt, lässt sich bei den Grünen gut beobachten. Ihre Antwort auf die Krise der Militärinterventionen heißt jetzt: noch mehr deutsche Soldaten ins Ausland, noch mehr Militärinterventionen. Die LINKE sollte einen anderen Weg wählen. Es ist die Aufgabe der Linken den vielen Bürgerinnen und Bürgern die generell Militärinterventionen skeptisch gegenüberstehen, eine parlamentarische Stimme zu geben.
Ich schlage vor eine Initiative zu einer Kampagne zum Rückzug der Truppen aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu starten. Angefangen mit Afghanistan, wo nicht nur das Kommando Spezialkräfte an vorderster Linie kämpft, sondern inzwischen auch die UN - mandatierten NATO - Truppen einen Offensivkrieg führen. Eine solche Kampagne jetzigen würde der Linken Glaubwürdigkeit verleihen. Lass uns gemeinsam damit anfangen.
Beste Grüße,
Tobias
Die Antwort auf den offenen Brief als PDF-Dokument:
http://www.tobias-pflueger.de/Texte/Antwort-auf-Offenen-Brief.pdf
Du sprichst Dich in Deinem offenen Brief implizit für die Entsendung der Bundeswehr in den Sudan aus und forderst eine programmatische Öffnung der neuen Linken für mögliche Auslandseinsätze deutscher Soldaten.
Vorab: Ich halte beides für grundfalsch.
1. Angebliche Zustimmung der linken Fraktion im Europaparlament zum Sudan-Einsatz
Du argumentierst damit, dass "Die Linke im Europaparlament" der Entsendung von 22.000 UN - mandatierten Soldaten in den Sudan zugestimmt habe. Daraus wird dann in der Folge eine erwünschte Zustimmung der Bundestagsfraktion der LINKEN zu diesem Militäreinsatz abgeleitet.
Zum Agieren der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament zum Sudan-Einsatz ist folgendes zu sagen. Die GUE/NGL hat die fragliche Entschließung mit gezeichnet, so wie sie auch die Entschließung zum Libanon-Einsatz mit zeichnete. Beides bedauere ich. Daraus aber auf eine Zustimmung der Linken im Europaparlament zu schließen, ist falsch. Wesentlich ist, wie die Abgeordneten sich bei der Abstimmung verhalten haben.
Wie etliche andere Abgeordnete der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament habe ich gegen eine Entsendung von Truppen in den Sudan gestimmt haben. Da keine namentliche Abstimmung beantragt worden war, ist im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar, wer wie abgestimmt hat.
Unsere Fraktion im Europaparlament ist konföderal organisiert, damit so unterschiedliche Position, wie z.B. die meiner schwedischen Kolleg/inn/en, die den Austritt ihres Landes aus der EU fordern und die meiner italienischen Kolleg/inn/en, die eher auf den Ausbau föderaler europäischer Strukturen setzen Platz haben und so auch arbeitsfähig bleibt. In der Fraktion wird im Vorfeld nicht über Entschließungsanträge abgestimmt. Die Abgeordneten entscheiden nur ganz selten, ob die Fraktion eine Resolution mit zeichnet, dies geschieht zumeist auf der Ebene der Fraktions-Mitarbeiter/innen im politischen Sekretariat der Fraktion. Es gibt zudem keinerlei Fraktionszwang. Man mag das Verfahren gut finden oder nicht. Kurz: aus einer Mitzeichnung der Resolution lässt
sich keine Zustimmung der Fraktion GUE/NGL im Europaparlament herleiten, wesentlich dafür sind dann die Abstimmungen nicht die Mitzeichnung.
Zusammengefasst: Als Argument für die Zustimmung zu einem Bundeswehreinsatz im Sudan lässt sich das Agieren der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament nicht verwenden.
2. Situation in Darfur
Zum eigentlichen Thema: Völlig zu Recht weist Du auf die schlimme Situation in Darfur hin. Es ist ein Skandal, dass weiter Waffen an die Milizen, wie auch an das Regime in Khartum geliefert werden und nicht ausreichend Gelder für die Unterbringung der Flüchtlinge bereitgestellt werden. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Die Konstellation der Akteure ist nicht so einfach: Die Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt die Situation wie folgt: "Trotz der sukzessiven Aufstockung von anfangs rund 400 auf heute 7700 Mann konnte die AU-Mission nur zeit- und teilweise die Gewalteskalation hemmen und die Zahl der Übergriffe auf die Bevölkerung verringern. Die Krisenregion insgesamt vermochte sie nicht zu stabilisieren. Hauptursachen hierfür sind die zunehmende Komplexität der Krise und die damit stetig gewachsenen Anforderungen an die Mission. Trotz Ausweitung der AMIS Mission verschärfte sich die Krise seit Herbst 2005 weiter. Khartum unterstützte seither nicht nur die Djanjawid bei ihren Razzien in Flüchtlingslagern im Tschad, sondern auch taschdische Kräfte mit Rückzugsräumen in Darfur, die gegen das tschadische Regime rebellieren. Der Präsident des Tschad, Idriss Deby, zog sich daraufhin aus dem Aubuja-Friedensgesprächen zurück und begann seinerseits die Darfur - Rebellion gegen Khartum zu fördern. Schließlich gingen auch einzelne Gruppen der JEM dazu über, im Tschad Flüchtlinge zwangsweise zu rekrutieren. Seit Abschluss des DFA im Mai 2006 begannen sich die Fronten zwischen den Konfliktparteien mehr und mehr zu
verwischen. Als der politische Druck auf die SIA/M-Fraktion um Minawi erhöht wurde, ging der integrative Schirm verloren, den SIA/M und JEM bislang über die vielen verschiedenen Interessensgruppen gespannt hatten. Außer der Gruppe von Minawi sah keine andere Rebellengruppe ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen im DFA ausreichend berücksichtigt. Seither ist die AMIS mit einer nur schwer überschaubaren Anzahl regional agierender Splittergruppen konfrontiert. Diese kämpfen nicht nur gegen Khartum und die Djanjawid, sondern mittlerweile auch gegeneinander, gegen das AMIS-Personal, die Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. Die Zustimmung der Bevölkerung zur AU- Mission und zum DFA nimmt daher ständig ab." Soweit die, meiner Ansicht nach, sehr realistische Beschreibung der komplizierten Situation vor Ort.
3. Forderungen nach Militärinterventionen sind kontraproduktiv
In dieser Situation betreiben die britische und vor allem die us-amerikanische Regierung ein gefährliches Spiel. George W. Bush und Tony Blair bestehen seit langem auf der Entsendung westlicher Soldaten in den Sudan. So forderte der US-Präsident am 19. September 2006, in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung, die Entsendung von Truppen der NATO-Staaten ein. Auch Prominente werden aufgefahren, um die Legitimation einer Militärintervention in der Weltöffentlichkeit zu erreichen. Die allen UN - Reporten widersprechende verfälschende und vereinfachende Kennzeichnung der Situation vor Ort als Völkermord, soll zur rechtlichen Legitimation dienen.
Mark Malloch Brown, stellvertretender Generalsekretär der UN bezeichnete diese "Megafon-Diplomatie" der Regierungen der USA und Großbritanniens im Darfur-Konflikt als "geradezu kontraproduktiv". Diese führe lediglich dazu, dass der Sudan sich nach dem US-Einmarsch im Irak und in Afghanistan als weiteres Opfer des "Kreuzzuges" darstelle, so Malloch Brown in einem Interview mit der britischen Zeitung "The Independent".
Die Aufforderung an Khartum, die Stationierung von UN-Truppen zu akzeptieren, sei "nicht plausibel".
Diese Position hat Malloch Brown im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments auf meine Nachfrage noch einmal bestätigt. Malloch Brown will, dass China im Darfur-Konflikt mit ins Boot geholt wird. Der Druck auf das afrikanische Land müsse aus Anreizen und Sanktionen bestehen und von einer "diplomatischen Koalition" gestützt werden.
Also ist die zentrale Frage, wie der Bevölkerung in Darfur wirklich geholfen werden kann. Die EU-Kommission und der EU-Rat, die ich ja wirklich selten lobe, konzentrieren ihre Arbeit auf humanitäre Hilfe.
In Deutschland wird die Position, die der Vorbereitung der "humanitären Intervention" in Jugoslawien in vieler Hinsicht ähnelt, am prägnantesten von den Grünen vertreten. So spricht die ehemalige grüne Staatsministerin Kerstin Müller von einem "schleichenden Völkermord" und möchte explizit mehr deutsche Soldaten in den Sudan entsenden. Meine Kollegin in Brüssel, Angelika Beer, fordert sogar den Einsatz der ersten offiziell aufgestellten EU-Battle-Group im Sudan ab 01.01.2007.
Ein ganz wesentlicher Punkt wird dabei in der Debatte immer - bewusst? - außen vor gelassen: Eine Stationierung von UN-Truppen ist nur mit der Zustimmung der sudanesischen Regierung möglich. Doch die liegt nicht vor. Wer sich also für eine Militärintervention einsetzt, muss erklären, wie diese denn ohne Zustimmung der sudanesischen Regierung zustande kommen soll. Ein solches Vorgehen würde einer Kriegserklärung gleichen.
Um es klar auf den Punkt zu bringen: Die Forderung nach einer Militärintervention ist für die leidende Bevölkerung im Sudan völlig kontraproduktiv, sie ist verbalradikal und geht am eigentlichen Konflikt völlig vorbei.
4. Rettung durch wesentliche Mitverursacher?
Warum soll ausgerechnet die Entsendung von UN -mandatierten EU-Truppen, NATO-Truppen oder einer Koalition der Willigen mit deutscher Beteiligung, die die zur Zeit dort stationierten afrikanischen Truppen ersetzen sollen, der Bevölkerung Sudan Frieden bringen soll? Das häufig vorgetragene Argument, die afrikanischen Truppen der AU seien schlecht ausgerüstet und deshalb nicht in der Lage die Flüchtlinge zu schützen, scheint in diesem Zusammenhang eher vorgeschoben. Selbst wenn man die Meinung teilt, dass die Entsendung von Truppen in den Sudan etwas an der Situation ändern könnte und sie nicht noch verschlimmern würde, muss man sich doch die Frage stellen, warum sollen ausgerechnet NATO- und EU-Soldaten in den Sudan? Was haben Deutschland, die USA oder die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien dort verloren? Die USA und Großbritannien führen seit mehr als drei Jahren einen völkerrechtswidrigen Krieg im Irak, der nach Analysen von unabhängigen Institutionen bisher 650.000 Menschen das Leben gekostet hat. Und Deutschland leistet Beihilfe zu diesem Krieg. Die Bundesregierung stimmt zu, dass ein Großteil des Nachschubs für den Irak-Krieg über US-Militärbasen hier läuft. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu festgestellt, dass wer Beihilfe an einem völkerrechtswidrigen Krieg leistet, handelt, als würde er ihn selbst mit führen.
Die Frage, warum die USA und Großbritannien so sehr auf eine westliche Militärintervention im Sudan drängen, hat sicher mehrere Facetten. Auch wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle. Der Sudan ist einer der größten afrikanischen Erdöllieferanten Chinas und bisher sind westliche Erdölfirmen eher sporadisch an der Ausbeutung der sudanesischen Rohstoffe beteiligt. Im Süden scheint zwar vorerst das deutsche Eisenbahnprojekt zur Abschöpfung eines Teils der Erdöleinkünfte auf Eis gelegt. Insgesamt wird aber beklagt, dass sich China einen zu großen Teil des Kuchens abschneidet und westliche Konzerne stärker zum Zug kommen sollten. Vielleicht wichtiger aber als diese unmittelbare militärische Interessensflankierung, ist die Option als westliche Führungsmacht durch die Entsendung von Truppen in den Sudan die moralische Legitimität für den Führungsanspruch als Weltmacht zurück zu gewinnen und damit die moralische Beschädigung durch die Konflikte in Afghanistan und im Irak auszugleichen. Warum Linke dies unterstützen sollten, erschließt sich mir nicht.
5. Öffnung der Linken für Zustimmung zu Militärinterventionen
Offensichtlich ist ein zentraler Grund Deines offenen Briefes aber nicht die Situation in Darfur sondern die Situation der Linken in Deutschland.
Mittlerweile sind große Teile der Bevölkerung in der Bundesrepublik skeptisch gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr. So heißt es in einer Agenturmeldung: "Eine große Mehrheit der Deutschen will die Auslandseinsätze der Bundeswehr verringern. 73 Prozent der Befragten sprachen sich in einer N-tv-Forsa-Umfrage für eine Reduzierung der Einsätze deutscher Soldaten im Ausland aus. Lediglich 23 Prozent waren demnach der Meinung, die Bundeswehr solle ihre Auslandsaktivitäten nicht reduzieren. Vor allem die Ostdeutschen sind für ein geringeres militärisches Engagement Deutschlands (84 Prozent), aber auch im Westen unterstützen 71 Prozent diese Meinung. Für die Umfrage wurden am 30. und 31. Oktober 1005 Menschen befragt." Die Nachrichten insbesondere aus Afghanistan aber auch aus dem Kongo tragen dazu bei, dass sich diese Skepsis verstärkt. Zum ersten Mal seit 15 Jahren überlegen selbst CDU- und SPD-Militärpolitiker deutsche Truppen aus dem Ausland zurückzuziehen.
Und jetzt soll ausgerechnet die LINKE einen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen von EU und NATO im Sudan mit einfordern? Das wäre nicht nur fatal, sondern würde die Glaubwürdigkeit der LINKEN erheblich erschüttern, die bei den Bundestagswahlen 2005 noch mit dem Ziel angetreten war, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden.
In diesem Sinne halte ich auch Deine Forderung nach einer programmatischen Öffnung der LINKEN hin zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr für einen schweren Fehler. Statt selbst Kriterien aufstellen zu wollen, unter welchen Bedingungen Krieg geführt werden soll, wäre eine Klärung angebracht, dass die LINKE für zivile Konfliktlösung und Abrüstung steht und eine andere Außenpolitik will, als die Politik der Militärinterventionen - ob mit oder ohne UN-Mandat. Eine unmissverständliche Absage an Auslandseinsätze der Bundeswehr sollte deshalb im neuen Programm klar verankert werden.
Friedenspolitik ohne klare Grundsätze wird nicht funktionieren. Wohin Prinzipienlosigkeit führt, lässt sich bei den Grünen gut beobachten. Ihre Antwort auf die Krise der Militärinterventionen heißt jetzt: noch mehr deutsche Soldaten ins Ausland, noch mehr Militärinterventionen. Die LINKE sollte einen anderen Weg wählen. Es ist die Aufgabe der Linken den vielen Bürgerinnen und Bürgern die generell Militärinterventionen skeptisch gegenüberstehen, eine parlamentarische Stimme zu geben.
Ich schlage vor eine Initiative zu einer Kampagne zum Rückzug der Truppen aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu starten. Angefangen mit Afghanistan, wo nicht nur das Kommando Spezialkräfte an vorderster Linie kämpft, sondern inzwischen auch die UN - mandatierten NATO - Truppen einen Offensivkrieg führen. Eine solche Kampagne jetzigen würde der Linken Glaubwürdigkeit verleihen. Lass uns gemeinsam damit anfangen.
Beste Grüße,
Tobias
Die Antwort auf den offenen Brief als PDF-Dokument:
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Tobias Pflüger - 2006/11/03 10:12
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