»Wir sind alle 129a«

Pressebericht in: Neues Deutschland, 11.05.07

Nach der Razzia gegen Linke wird Kritik am Strafrecht laut

Von Tom Strohschneider

Nach der Großrazzia gegen linke Projekte haben am Mittwochabend in über 15 Städten Tausende gegen die Kriminalisierung der Gipfelproteste im Vorfeld des G 8-Treffens in Heiligendamm protestiert. Dabei ist einmal mehr der Paragraf 129a Strafgesetzbuch ins Zentrum der Kritik gerückt.

Als die Zeitungen am Morgen danach noch von angeblich geplanten Anschlägen gegen den Gipfel in Heiligendamm zu berichten wussten, war ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe schon längst zurückgerudert. Die Groß-razzia »diente nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen«, erklärte Andreas Christeleit noch am Mittwochabend im Fernsehen. »Dafür gab es keine Anhaltspunkte.«

Anfangs hatte die Karlsruher Ermittlungsbehörde noch davon gesprochen, die Aktion richte sich gegen Linke, die in Verdacht stünden, »eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder Mitglieder einer solchen Vereinigung zu sein, deren Ziel es insbesondere ist, mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen« den Gipfel in Heiligendamm »erheblich zu stören oder zu verhindern«. Die entsprechenden Ermittlungsverfahren würden wegen der »Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß Paragraf 129a Strafgesetzbuch« laufen.
Die Strafrechtsnorm 129 hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Von 1871 bis 1945 wurden mit dem Politparagrafen unter der Überschrift »staatsfeindliche Verbindungen« vor allem Vereinigungen der Arbeiterbewegung kriminalisiert. In der Weimarer Republik richtete sich der Paragraf als vorverlegter Staatsschutz vor allem gegen Kommunisten – nicht nur konkrete Taten wurden verfolgt, sondern allein schon die Gesinnung reichte für eine Verurteilung aus. Und davon gab es mehr als genug: Allein in den Jahren 1924 und 1925 wurden innerhalb von 16 Monaten mehr als 6300 Arbeiter zu langen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt.
In der Bundesrepublik richtete sich der Paragraf 129 nominell gegen »kriminelle Vereinigungen«, praktisch aber weiterhin gegen die politische Linke. In den 50er Jahren wurden zehntausende Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der KPD eingeleitet, die seit 1951 als eine solche »kriminelle Vereinigung« galt und 1956 schließlich verboten wurde. In den 80er Jahren trafen Ermittlungsverfahren wegen des Paragrafen 129 hunderte Hausbesetzer.

Verschärfung 1976

Eine nochmalige Verschärfung erfuhr das politische Strafrechtsinstrument 1976 im Zuge des ausufernden staatlichen Vorgehens gegen die Rote Armee Fraktion: Mit der Einführung des Paragraf 129a, der die »Bildung einer terroristischen Vereinigung« mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Ermittlungsverfahren werden automatisch von der Bundesanwaltschaft übernommen – die damit zur Verfolgungszentrale gegen linksradikale Gruppen geworden ist.
Dass der Paragraf 129a als Allzweckwaffe staatlicher Verfolgung dient, beklagt der Republikanische Anwaltsverein (RAV). Entsprechende Verfahren würden »in den meisten Fällen eingestellt und dienten in letzter Zeit oft lediglich zur Einschüchterung und Ausforschung funktionierender oppositioneller Strukturen«, sagt Britta Eder vom Vorstand des RAV.

Spaltungsversuch

Auch der parteilose Europaabgeordnete Tobias Pflüger spricht von einer »Terrorismus-Keule«, mit der »immer häufiger legitimer Protest mit Terrorismus gleichgesetzt wird«. Die Linkspartei-Abgeordnete Petra Pau nennt es eine »Einfallstür zu rechtlicher Willkür«.

Bei einer der Demonstration gegen die Großrazzia erschallte am Mittwochabend der Ruf »Wir sind alle 129a« durch Berlin-Kreuzberg. Dem Staat, hieß es in einem Redebeitrag, werde es aber nicht gelingen, »die Anti-G 8-Bewegung in einen militanten und einen friedlichen Teil zu spalten«. Die Mobilisierung nach Heiligendamm geht unterdessen weiter. »Wir werden uns«, sagt Peter Wahl von Attac, »nicht einschüchtern lassen.«

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