Ein militaristisches Europa wird möglich
Artikel in: Neues Deutschland, 11.01.2008 / Debatte / Seite 14
Tobias Pflüger
Der am 13.12.2007 von den EU-Regierungschefs unterzeichnete EU-Reformvertrag wird die Politik in der EU wesentlich ändern. Die offiziellen Stellen der EU und die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlamentes werden nicht müde, die Vorteile dieses "Vertrages von Lissabon" anzupreisen. DIE LINKE lehnt diesen Reformvertrag wie zuvor den fast identischen EU-Verfassungsvertrag ab. Der Vergleich der Artikel zeigt, dass der Inhalt des EU-Verfassungsvertrages und des Reformvertrages fast übereinstimmend ist. "Etwa 90 Prozent des Kernpakets bleiben gegenüber dem europäischen Verfassungsvertrag unverändert", so der irische Regierungschef Bertie Ahern.
Der, so der offizielle Name "Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" ist ein Änderungsvertrag zu den bestehenden Verträgen. Valéry Giscard d’Estaing hat darauf verwiesen, dass der Inhalt größtenteils unverändert geblieben sei, sie würden lediglich anders dargestellt. Die Regierungen der EU hätten sich auf 'kosmetische Veränderungen' der Verfassung geeinigt, um ihn leichter verdaulich zu machen, weil der neue Text dem Verfassungsvertrag nicht ähneln dürfe. Was sind nun die wesentlichen Gründe für die Ablehnung des Reformvertrages? Neben einer Neustrukturierung der EU-Institutionen werden durch den Reformvertrag inhaltliche Festlegungen in wesentlichen Politikbereichen vorgenommen, vor allem im Bereich Wirtschafts-, Militär- und Migrationspolitik, insbesondere in den beiden letztgenannten einiges neu.
Die bisherigen EG- und EU-Verträge verbieten einen eigenen permanenten EU-Militärhaushalt. Dieser soll nun durch den Reformvertrag ermöglicht werden. Mit dem "Anschubfond" (Art. 28(3)) können auch operative EU-Militärausgaben beglichen werden. Damit gibt es zusätzlich zu den einzelstaatlichen Militärhaushalten einen eigenen EU-Militärhaushalt(stitel.) Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen EU und NATO im militärischen Bereich wird mit dem Reformvertrag abgesichert. Die NATO taucht direkt im Reformvertrag auf: Die ESVP solle zur "Vitalität eines erneuerten Atlantischen Bündnisses" beitragen (Art. 28a (7) Protokoll Nr. 4). Im Artikel 28 c(3) findet sich die viel kritisierte Aufrüstungsverpflichtung "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" nun auch im Reformvertrag. Umsetzen soll dies vor allem auch die EU-Rüstungsagentur (Art. 28), die nun mit dem Reformvertrag primärrechtlich verankert werden soll.
Im "Protokoll über die ständige strukturierte Zusammenarbeit" heißt es, dass die EU "spätestens 2010 über die Fähigkeit zu verfügen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die auf die in Aussicht genommenen Missionen ausgerichtet sind, taktisch als Gefechtsverband konzipiert sind, über Unterstützung unter anderem für Transport und Logistik verfügen und fähig sind, innerhalb von 5 bis 30 Tagen Missionen nach Artikel 28b/des Vertrags über die Europäische Union aufzunehmen, um insbesondere Ersuchen der Organisation der Vereinten Nationen nachzukommen, und diese Missionen für eine Dauer von zunächst 30 Tagen, die bis auf 120 Tage ausgedehnt werden kann, aufrechtzuerhalten." Das Recht des Bundestages (immerhin durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 festgelegt) über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, wird erheblich ausgehöhlt.
Im neuen EU-Vertrag selbst findet sich die Aufforderung die entsprechenden einzelstaatlichen Vorschriften an die verkürzte Einsatzzeit der EU-Battle-Groups anzupassen und die "nationalen Beschlussfassungsverfahren" zu überprüfen (Protokoll Nr. 4). Die damalige britische Ratspräsidentschaft antwortete mir auf meine Frage im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung, wie die kurze Einsatzzeit der EU Battle Groups (5 bis 30 Tage) mit der in Deutschland festgeschriebenen Parlamentsbeteiligung in Übereinstimmung zu bringen sind, dass die deutschen Kollegen angemerkt hätten, dass eine Zustimmung des Bundestages, auch mal im Nachhinein möglich sei. Gleichzeitig ist bekannt, dass das deutsche Verteidigungsministerium an Bestimmungen arbeitet, wie "Dauergenehmigungen" für EU Battle Groups und NATO Response Force erteilt werden könnten. Auf Staatssekretärsebene wird dies auch öffentlich gefordert.
Mit dem Reformvertrag wird ein militärisches Kerneuropa durch das Instrument der "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" ermöglicht. Dies schafft einen Primärrechtsrahmen für die verstärkte Entsendung von EU-Battle Groups (Art. 28, Protokoll Nr. 4). Der Gerichtshof der Europäischen Union ist explizit nicht zuständig "für die Bestimmungen hinsichtlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und für die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsakte" (Art 11, 240a). Das Europäische Parlament ist ebenfalls nicht zuständig, wird lediglich auf dem Laufenden gehalten. (Art. 21) Dieser "Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" soll sowohl Teil des EU-Rates als auch der EU-Kommission sein.
Die institutionelle Vermischung von Außen- und Militärpolitik wird, rechtsstaatlich äußert fragwürdig, weiterhin festgeschrieben. (Art. 9b, d, e). Das Thema Migrationskontrolle spielt eine sehr wichtige Rolle. Im neuen Paragraphen 62 des Reformvertrages heißt es u.a.: "Die Union entwickelt eine Politik, mit der (c) schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden soll." Die LINKE hat dazu klare politische Positionen. "Aber der vorliegende Verfassungsentwurf soll alle EU-Staaten zur Aufrüstung verpflichten. Er befördert die Militarisierung der EU. Neoliberale Wettbewerbspolitik soll Verfassungsrang erhalten. Das für mehr Demokratie in der EU Erreichte bleibt hinter dem Notwendigen zurück. ... Wir werden alle Möglichkeiten auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene nutzen, um dies zu verhindern. Die PDS sagt Nein zu dem vorliegenden Verfassungsentwurf."
Dies war die Aussage im Europawahlprogramm der PDS 2004. Die Europäische Linkspartei (EL) hat auf ihrem Kongress am 24./25.Novemver den EU-Reformvertrag klar abgelehnt. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE beschloss am 26.11. in einer Sonderfraktionssitzung einstimmig (!) die Ablehnung des EU-Reformvertrages. Genügend Anlässe, um nun aktiv - auch mit einer Informationskampagne - dafür zu kämpfen, dass der EU-Reformvertrag nicht umgesetzt wird. Weitere Informationen: www.reformvertrag.de
Tobias Pflüger wurde 1965 in Stuttgart geboren. Er studierte Politikwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Seit den achtziger Jahren ist er in der Friedensbewegung aktiv und gründete 1996 zusammen mit anderen Friedensaktivisten die Informationsstelle Militarisierung (IMI). Pflüger ist im wissenschaftlichen Beirat von Attac aktiv und Redakteur der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden. Auf der PDS-Liste kandidierte er als Parteiloser 2004 für das EU-Parlament und ist seitdem Abgeordneter der Europäischen Linken.
Tobias Pflüger
Der am 13.12.2007 von den EU-Regierungschefs unterzeichnete EU-Reformvertrag wird die Politik in der EU wesentlich ändern. Die offiziellen Stellen der EU und die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlamentes werden nicht müde, die Vorteile dieses "Vertrages von Lissabon" anzupreisen. DIE LINKE lehnt diesen Reformvertrag wie zuvor den fast identischen EU-Verfassungsvertrag ab. Der Vergleich der Artikel zeigt, dass der Inhalt des EU-Verfassungsvertrages und des Reformvertrages fast übereinstimmend ist. "Etwa 90 Prozent des Kernpakets bleiben gegenüber dem europäischen Verfassungsvertrag unverändert", so der irische Regierungschef Bertie Ahern.
Der, so der offizielle Name "Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" ist ein Änderungsvertrag zu den bestehenden Verträgen. Valéry Giscard d’Estaing hat darauf verwiesen, dass der Inhalt größtenteils unverändert geblieben sei, sie würden lediglich anders dargestellt. Die Regierungen der EU hätten sich auf 'kosmetische Veränderungen' der Verfassung geeinigt, um ihn leichter verdaulich zu machen, weil der neue Text dem Verfassungsvertrag nicht ähneln dürfe. Was sind nun die wesentlichen Gründe für die Ablehnung des Reformvertrages? Neben einer Neustrukturierung der EU-Institutionen werden durch den Reformvertrag inhaltliche Festlegungen in wesentlichen Politikbereichen vorgenommen, vor allem im Bereich Wirtschafts-, Militär- und Migrationspolitik, insbesondere in den beiden letztgenannten einiges neu.
Die bisherigen EG- und EU-Verträge verbieten einen eigenen permanenten EU-Militärhaushalt. Dieser soll nun durch den Reformvertrag ermöglicht werden. Mit dem "Anschubfond" (Art. 28(3)) können auch operative EU-Militärausgaben beglichen werden. Damit gibt es zusätzlich zu den einzelstaatlichen Militärhaushalten einen eigenen EU-Militärhaushalt(stitel.) Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen EU und NATO im militärischen Bereich wird mit dem Reformvertrag abgesichert. Die NATO taucht direkt im Reformvertrag auf: Die ESVP solle zur "Vitalität eines erneuerten Atlantischen Bündnisses" beitragen (Art. 28a (7) Protokoll Nr. 4). Im Artikel 28 c(3) findet sich die viel kritisierte Aufrüstungsverpflichtung "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" nun auch im Reformvertrag. Umsetzen soll dies vor allem auch die EU-Rüstungsagentur (Art. 28), die nun mit dem Reformvertrag primärrechtlich verankert werden soll.
Im "Protokoll über die ständige strukturierte Zusammenarbeit" heißt es, dass die EU "spätestens 2010 über die Fähigkeit zu verfügen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen, die auf die in Aussicht genommenen Missionen ausgerichtet sind, taktisch als Gefechtsverband konzipiert sind, über Unterstützung unter anderem für Transport und Logistik verfügen und fähig sind, innerhalb von 5 bis 30 Tagen Missionen nach Artikel 28b/des Vertrags über die Europäische Union aufzunehmen, um insbesondere Ersuchen der Organisation der Vereinten Nationen nachzukommen, und diese Missionen für eine Dauer von zunächst 30 Tagen, die bis auf 120 Tage ausgedehnt werden kann, aufrechtzuerhalten." Das Recht des Bundestages (immerhin durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 festgelegt) über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, wird erheblich ausgehöhlt.
Im neuen EU-Vertrag selbst findet sich die Aufforderung die entsprechenden einzelstaatlichen Vorschriften an die verkürzte Einsatzzeit der EU-Battle-Groups anzupassen und die "nationalen Beschlussfassungsverfahren" zu überprüfen (Protokoll Nr. 4). Die damalige britische Ratspräsidentschaft antwortete mir auf meine Frage im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung, wie die kurze Einsatzzeit der EU Battle Groups (5 bis 30 Tage) mit der in Deutschland festgeschriebenen Parlamentsbeteiligung in Übereinstimmung zu bringen sind, dass die deutschen Kollegen angemerkt hätten, dass eine Zustimmung des Bundestages, auch mal im Nachhinein möglich sei. Gleichzeitig ist bekannt, dass das deutsche Verteidigungsministerium an Bestimmungen arbeitet, wie "Dauergenehmigungen" für EU Battle Groups und NATO Response Force erteilt werden könnten. Auf Staatssekretärsebene wird dies auch öffentlich gefordert.
Mit dem Reformvertrag wird ein militärisches Kerneuropa durch das Instrument der "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" ermöglicht. Dies schafft einen Primärrechtsrahmen für die verstärkte Entsendung von EU-Battle Groups (Art. 28, Protokoll Nr. 4). Der Gerichtshof der Europäischen Union ist explizit nicht zuständig "für die Bestimmungen hinsichtlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und für die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsakte" (Art 11, 240a). Das Europäische Parlament ist ebenfalls nicht zuständig, wird lediglich auf dem Laufenden gehalten. (Art. 21) Dieser "Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" soll sowohl Teil des EU-Rates als auch der EU-Kommission sein.
Die institutionelle Vermischung von Außen- und Militärpolitik wird, rechtsstaatlich äußert fragwürdig, weiterhin festgeschrieben. (Art. 9b, d, e). Das Thema Migrationskontrolle spielt eine sehr wichtige Rolle. Im neuen Paragraphen 62 des Reformvertrages heißt es u.a.: "Die Union entwickelt eine Politik, mit der (c) schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden soll." Die LINKE hat dazu klare politische Positionen. "Aber der vorliegende Verfassungsentwurf soll alle EU-Staaten zur Aufrüstung verpflichten. Er befördert die Militarisierung der EU. Neoliberale Wettbewerbspolitik soll Verfassungsrang erhalten. Das für mehr Demokratie in der EU Erreichte bleibt hinter dem Notwendigen zurück. ... Wir werden alle Möglichkeiten auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene nutzen, um dies zu verhindern. Die PDS sagt Nein zu dem vorliegenden Verfassungsentwurf."
Dies war die Aussage im Europawahlprogramm der PDS 2004. Die Europäische Linkspartei (EL) hat auf ihrem Kongress am 24./25.Novemver den EU-Reformvertrag klar abgelehnt. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE beschloss am 26.11. in einer Sonderfraktionssitzung einstimmig (!) die Ablehnung des EU-Reformvertrages. Genügend Anlässe, um nun aktiv - auch mit einer Informationskampagne - dafür zu kämpfen, dass der EU-Reformvertrag nicht umgesetzt wird. Weitere Informationen: www.reformvertrag.de
Tobias Pflüger wurde 1965 in Stuttgart geboren. Er studierte Politikwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Seit den achtziger Jahren ist er in der Friedensbewegung aktiv und gründete 1996 zusammen mit anderen Friedensaktivisten die Informationsstelle Militarisierung (IMI). Pflüger ist im wissenschaftlichen Beirat von Attac aktiv und Redakteur der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden. Auf der PDS-Liste kandidierte er als Parteiloser 2004 für das EU-Parlament und ist seitdem Abgeordneter der Europäischen Linken.
Tobias Pflüger - 2008/01/11 12:44
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