Wir hätten sehr viel schärfer rangehen müssen

Interview in: junge Welt vom 09.06.2009

Wahlkampf der Linkspartei war nicht offensiv genug. Europa-Themen waren ungenügend präsent.
Ein Gespräch mit Tobias Pflüger von Peter Wolter

Tobias Pflüger ist Europaabgeordneter der Linkspartei. Noch: bei der Europawahl am Wochenende bekam er nicht genügend Stimmen für den Wiedereinzug ins Parlament.

Sie haben als linker Linkspartei-Kandidat den Wiedereinzug ins EU-Parlament verpaßt – sollen wir Ihnen jetzt unsere Anteilnahme aussprechen? Oder vielleicht sogar gratulieren?
Politisch ist das Ergebnis der Linken sicher eine Katastrophe. In politischer Hinsicht dürfen Sie mir also ruhig kondolieren.

Und in privater Hinsicht?
Naja, es gibt schönere Dinge als in einem Parlament zu arbeiten, es macht durchaus Spaß, im Leben immer mal etwas anderes zu machen.

Und was?
(lacht) Ich weiß es noch nicht ...

Wie beurteilen Sie die Zusammensetzung der neuen Linksparteitruppe?
Es sind jetzt acht Abgeordnete gewählt, einer mehr als bei der letzten Wahl im Jahre 2004. Sie stehen vor der Aufgabe, daß das recht ordentliche Programm, das die Partei zur Europawahl hatte, auch umgesetzt wird. Und ich hoffe, daß unsere künftigen Abgeordneten ein klares Signal gegen den Rechtstrend setzen. Außerdem stehen demnächst eine Reihe wichtiger Fragen auf der Tagesordnung des Parlaments – da geht es um Außen-, Friedens- und Flüchtlingspolitik.

Nach meiner Rechnung gibt es unter den acht neuen Abgeordneten nur zwei, die klare linke Positionen haben: Sabine Wils und Sabine Lösing.
Es ist sehr gut, daß diese beiden Frauen gewählt wurden, ich erwarte von ihnen eine Reihe von guten politischen Initiativen.

Von Europaabgeordneten der Linkspartei ist man ja so einiges gewohnt. Da wurde mal einer kubafeindlichen Resolution zugestimmt, mal mit einer CIA-gesponserten Terrorgruppe gekungelt – um nur einige bizarre Beispiele zu erwähnen. Müssen wir mit solchen Überraschungen auch künftig rechnen?
Das glaube ich nicht. Im Verhältnis zur vorherigen Linkspartei-Delegation ist das jetzt doch ein enormer Qualitätssprung nach oben. Vor allem weil solche Abgeordneten wie André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann nicht mehr dabei sind.

Beide haben ja kurz vor der Wahl noch einmal alles getan, um gegen DIE LINKE zu agieren: Die eine tritt zur SPD über, der andere polemisiert im Spiegel gegen unseren Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Bei der jetzt gewählten Delegation bin ich mir ziemlich sicher, daß uns solche Ausreißer erspart bleiben.

Das Wahlziel »10 + x« war wohl nix. Es kann doch nicht nur an der geringen Wahlbeteiligung gelegen haben, daß Ihre Partei nur 7,5 Prozent bekommen hat.
Im Wahlkampf ist es leider nicht deutlich geworden, wie sich die Politik der EU im Sozialbereich für jeden einzelnen Bürger auswirkt. Es ist auch nicht gelungen, herauszustellen, daß die Umsetzung des Lissabon-Vertrages die EU als Institution grundlegend verändern würde. Auch das Thema »Krieg und Frieden« ist nach meinem Geschmack zu unterbelichtet geblieben.

Also falsche Wahlkampfführung? Die Plakate der Linkspartei machten ja durchweg einen recht biederen Eindruck.
Die Plakate waren ganz in Ordnung -- sie waren jedenfalls nicht kontraproduktiv. Ihnen hätte aber mehr Offensivpotential wohlgetan. Europapolitische Themen hätten eine viel größere Rolle spielen müssen.

Natürlich darf man auch nicht den Einfluß der bürgerlichen Medien geringschätzen. Journalisten wollten von mir immer wieder wissen, ob wir für oder gegen Europa sind -- was einfach eine schwachsinnige Frage ist. Wir müssen mehr klarmachen, daß wir nicht gegen Europa, wohl aber gegen die Politik sind, die gegenwärtig in der EU gemacht wird.

Welchen Rat geben Sie Ihrer Partei für den Bundestagswahlkampf?
Wir müssen schärfer in die Kontroverse gegen die neoliberalen Parteien gehen. Ein Schmusewahlkampf bringt überhaupt nichts, denn wir müssen klar machen, daß sich die Linkspartei in den Kernfragen grundsätzlich von allen anderen Parteien unterscheidet.

Es war also Ihrer Ansicht nach ein »Schmusewahlkampf«, den die Linkspartei geführt hat?
An der Basis haben viele Genossinnen und Genossen intensiv und einfallsreich gekämpft, was mich persönlich sehr beeindruckt hat. Wir hätten aber wesentlich schärfer ’rangehen müssen – am Thema »Lissabonvertrag« hätte man das Lügengebäude wunderbar auseinandernehmen können, das die anderen Parteien aufgebaut haben.
LESERBRIEFE
Tobias Pflüger und das EUP
Ich bin überaus unzufrieden, dass Thomas Pflüger nicht mehr im EU-Parlament sein wird. Bis jetzt hat er im schroffen Gegensatz z. B. zu Kaufmann ein begründetes politisches Gespür für die Folgen des eben auch neoliberalistischen und militaristischen Inhalts der jetzigen Fassung des Lissabon-Memorandums bewiesen und warnte deshalb vor dessen Annahme. Seine Ausführungen über den Inhalt in seinen Auftritten in der Öffentlichkeit zeugten von hoher Sachkenntnis des Inhalts eines derart umfangreichen Dokuments. Man konnte froh sein, dass es jemenden gab, der in das Wesen der Sache eingedrungen war und nun den Leuten sagen konnte, was da auf sie zukommen könnte.

Ich wünsche der neuen Mannschaft (leider ohne Pflüger) viel Erfolg in der Bewältigung der Aufgaben im Ringen um ein besseres Europa, als es momentan angedacht ist (leider auch unter Mithilfe einer Kaufmann).

Tobias wünsche ich alles Gute für seine weitere politische Zukunft im Kreis der Linken.

Bleib stark und diene auch weiterhin mit deiner Klugheit unserer Sache!
Willfried Baldauf
irreführende Bildunterschrift

Die Bildunterschrift "Tobias Pflüger ist Europaageordneter der Linkspartei. Noch: bei der Europawahl am Wochenende bekam er nicht genügend Stimmen für den Wiedereinzug ins Parlament" ist irreführend, weil man ja nur die Liste der "Linken" wählen konnte und nicht einzelne KanditatInnen! Ich ärgere mich besonders darüber, weil ich meine Stimme am liebsten DIREKT Tobias Pflüger gegeben hätte! Und damit bin ich nicht allein: Einerseits gab es den Aufruf, der auch in der jW abgedruckt war. Andererseits gingen linksalternativen Email-Listen Aufrufe rum, die Linke WEGEN Tobias Pflüger zu wählen - wobei andere davon abrieten, weil man damit erwartbarerweise nur den vor ihm Plazierten seien Stimme gibt... Es ist echt ärgerlich, dass - auf welchem innerparteilichen Weg auch immer - er nur den letzten Listenplatz bekommen hat! Wir brauchen seine kluge, kenntnisreiche anti-militaristische Stimme! Ich hoffe, dass er tatsächlich ein anderes wirksames oder sogar noch wirksameres Forum findet!
Lea Hagbard

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