Parlamentarische Fessel für EU-Battle-Groups

Gespräch mit Tobias Pflüger in: Junge Welt, 01.07.2009. Interview: Claudia Wangerin

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Trick den Lissabon-Vertrag ratifizierbar gemacht.
Tobias Pflüger, Linkspartei, ist Mitglied der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europaparlament. Sein Mandat endet am 14. Juli 2009

Sie haben als Europaabgeordneter lange gegen den Vertrag von Lissabon gekämpft, jetzt aber in Teilen das am gestrigen Dienstag verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, das den Vertrag im Grundsatz billigt. Können Sie das näher ausführen?

Ich kämpfe weiter gegen den Vertrag. Nun wurde aber das Begleitgesetz dazu für verfassungswidrig erklärt – das Gesetz also, das der Bundestag als Beitrag zur Ratifizierung beschlossen hat. Das ist schon was!

Die Frage war unter anderem, wer entscheidet, ob sich die Bundeswehr an einem EU-Militäreinsatz beteiligt. Die Regelung im Vertrag besagt, daß darüber der Rat der EU entscheidet. Die Verfassungsrichter haben nun klargestellt, daß darüber ausschließlich der Bundestag zu entscheiden hat.

Faktisch widerspricht der Vertrag also dem Grundgesetz, aber dieser Widerspruch wurde jetzt elegant gelöst, indem man entschieden hat, der Vertrag selbst sei grundgesetzkonform, aber das Begleitgesetz nicht. Was natürlich ein Trick ist, um den Vertrag doch noch ratifizieren zu können.

Wie würden die Entscheidungsprozesse demnach ablaufen?

Das wird an einem Punkt sehr spannend, nämlich bei der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« nach Protokoll 10 des Lissabonner Vertrages. Dort ist von Militäreinsätzen der »EU-Battle-Groups« innerhalb von fünf bis 30 Tagen die Rede. Die sind aber durch das Karlsruher Urteil praktisch kaum durchführbar, denn der Bundestag müßte jedes Mal erst einberufen werden. Insgesamt können wir das Urteil natürlich nicht gutheißen, aber dieser Punkt ist für uns das Gute im Schlechten.
Ich habe meine Zweifel, ob sich in der genannten Frist überhaupt eine Entscheidung des Bundestages herbeiführen läßt. Das heißt: Entweder ist diese Regelung hinfällig, oder es wird noch eine Möglichkeit geschaffen, den Bundestag so schnell einzuberufen. Oder: Das Parlament als Ganzes wird doch noch umgangen.

Könnte es passieren, daß die EU-Battle-Groups dann grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen?

Das Verfassungsgerichtsurteil ist zunächst eine parlamentarische Fessel für die Battle-Groups. Was nun fehlt – und was der Bundestag jetzt nacharbeiten muß –, ist ein neues Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag mit einer Regelung für die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der EU. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn ich zum Beispiel an den Geor­gien-Krieg im vergangenen Jahr denke – mitten im Sommer! –, dann erscheint mir eine solche Regelung doch sehr unrealistisch. Es könnte durchaus sein, daß die Funktion der Battle-Groups als schnelle Interventionstruppen dadurch ausgehebelt wird.

Wie erklären Sie sich, daß zuvor Abgeordnete von CDU, CSU, FDP und SPD mit dem Lissabon-Vertrag ihre eigenen Entscheidungsrechte beschnitten haben. Hatten sie das nicht durchschaut oder wollten sie die Verantwortung für deutsche Auslandseinsätze von sich schieben, weil sie wissen, daß die Mehrheit der Bevölkerung diese nicht billigt?

Ich vermute letzteres. In ihren Wahlkreisen erklären die Abgeordneten sicherlich ungern, warum sie für Auslandseinsätze stimmen und wieso man unbedingt deutsche Soldaten im Rahmen von EU-Militäreinsätzen in den Kongo oder in den Tschad schicken muß. Obwohl Parlamente nicht alles sind, gibt es doch Situationen, in denen sie eine wesentliche Rolle spielen, z. B. bei der Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Wäre es denn im Umkehr­schluß nicht auch denkbar, daß der Rat der EU militärischen Alleingängen seiner Mitgliedsstaaten einen Riegel vorschiebt?

Die Karlsruher Entscheidung bezieht sich auf EU-Militäreinsätze, an denen deutsche Soldaten teilnehmen sollen. Wenn Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Rahmen der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« des Vertrages entscheiden sollten, Soldaten z. B. nach Namibia zu schicken, müßte das nach wie vor vom Rat der EU genehmigt werden. Aber die beteiligten Staaten könnten dann später selbst über Truppenaufstockungen und die Dauer der Einsätze entscheiden.

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