Gebirgsjäger feiern zu Pfingsten "Leistungen der Vergangenheit"

Pressebericht in: Raumzeit, Monatzeitung aus Nürnberg, Erlangen, Fürth, 23.04.2005

In oberbayerischen Mittenwald nahe dem Karwendel tut sich einiges. Das Eisstadion des Ortes wurde frisch renoviert, ein Geigenbaumuseum wird im April nach Restaurationsarbeiten wiedereröffnet und das adidas BIKE Transalp Challenge 2005 wird im Juli von Mitttenwald aus starten.
Das alles steht auf der Homepage des Urlaubsortes zu lesen. Was man dort nicht erfährt: Jeden Pfingsten findet dort eine der größten soldatischen Feiern Deutschlands statt - so auch in diesem Jahr.

Heutige und früheren Angehörige der Gebirgsjäger treffen sich seit 1952 in Mittenwald. Seit einigen Jahren findet das Treffen der Bundeswehrsoldaten und ehemaligen Wehrmachtsmitglieder nicht mehr ungestört statt. Der "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege" organisiert Gegenveranstaltungen und Demonstrationen und stört damit den Frieden des Gebirgsortes. Der Grund: Die Elitetruppe hat im 2. Weltkrieg zahlreiche Massaker angerichtet.

Wer zur Bundeswehr geht, kann dort mehr erreichen, als nur seinen Wehrdienst abzusitzen. Mit etwas Engagement kann man dort auch Karriere machen. Zum Beispiel als Gebirgsjäger: "Der Gebirgsjäger kämpft unter extremen Witterungs- und Geländebedingungen in schwierigem und bebauten Gelände. Dies geschieht entweder zu Fuß oder im Winter auf Ski. Er bedient, pflegt und wartet eine Vielzahl von Handwaffen, gegebenenfalls auch die Panzerabwehrrakete MILAN."

An diesem Werbetext der Bundeswehr sieht man schon: Gebirgsjäger sind etwas Besonderes, und man kann stolz sein zu dieser Truppe zu gehören. Aus diesem Grund sind sie auch besonders traditionsbewusst.

Ihr Tradition pflegen die Alten Herren jedes Jahr in Mittenwald, einem Ort nahe der österreichischen Grenze, umgeben von herrlichen Gebirgsseen und hohen Gipfeln. Jedes Jahr treffen sie sich dort zu Pfingsten und das schon seit 1952.

Auch der Bayerische Ministerpräsident hat seine Grundausbildung bei den Gebirrgsjägern abgeleistet und ist - so sagte er auf einem der Treffen in Mittenwald - "stolz auf diese spezifisch bayerische Truppe und ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart".

Diese Leistungen sind der Grund, aus dem seit wenigen Jahren die Pfingsttreffen der Gebirgsjäger nicht mehr ungestört verlaufen. Bei einer Kundgebung in Mittenwald 2004 kritisierte Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung: "Hier in Mittenwald werden Gebirgsjäger auf Kriege vorbereitet, hier in Mittenwald üben sie, wie sie in anderen Ländern Krieg führen können." Pflüger wandte sich gegen Kriegstruppen und für die Auflösung der Bundeswehr und ein ziviles Europa und kündigte weitere Proteste gegen die Gebirgsjäger und ihr jährliches Treffen an.

Mit Demonstrationen und Gegenveranstaltungen machen linke KritikerInnen der Traditionspflege den Gebirgsjägern die Suppe madig. Doch der Hauptgrund der Proteste ist nicht die Bundeswehrkaserne, in der - so der Redner - Soldaten für neue Kriege ausgebildet werden, sondern die "Leistungen der Vergangenheit". Dazu gehören zahlreiche Kriegsverbrechen. Insgesamt 66 Massaker wurden im Zweiten Weltkrieg von Gebirgsjägern verübt. Doch davon - wie sollte es anders sein - wollen viele Mitglieder der Elitetruppe nicht gewusst haben. "Ich bin Gebirgsjäger gewesen, ich hab keine Ahnung wer da Verbrechen verübt hat", schimpfte ein Mittenwalder am Straßenrand während der Demonstration durch den Ort im letzten Jahr. "Ich hab kein Verbrechen gesehen, das waren Andere", setzt er noch hinterher.

In Finnland, in der heutigen Ukraine, in Jugoslawien, in Italien, Frankreich und Griechenland führten Gebirgsjäger "Sühnemaßnahmen" und "Vergeltungsaktionen" durch, wie es in der Propagandaspreche der Wehrmacht hieß. Im Klartext: Als Gegenmaßnahme gegen PartisanInnenaktivitäten brannte man Dörfer nieder und ermordete Zivilisten.

Die Kameraden von heute und gestern legen auf ihren Treffen auch Kränze nieder - für die Gefallenen. Von den Opfern der Kriegsverbrechen ist dort keine Rede. GegnerInnen des Traditionstreffens wollten dort 2001 eine Schweigeminute für die Ermordeten abhalten. Doch sie stießen auf heftige Ablehnung, berichtet Ralph Klein vom "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege": "Die Reaktion bestand aus tieffliegenden Stühlen, aus Salat und Bier, das über uns geschüttet wurde, einer Frau von uns wurde das Nasenbein eingeschlagen und wir mussten uns dann vor dieser Gewalt zurückziehen."

Für den Arbeitskreis, der die Gegenaktionen organisiert, steht deshalb die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im Vordergrund. So wurde im Vorjahr ein Hearing zur Entschädigung von NS-Opfern abgehalten, zu dem auch griechische VertreterInnen der Opfer eingeladen waren. Doch der militärische Traditionsverein unter dem Edelweiß zeigt sich trotz eindeutiger Beweislage wenig einsichtig, erläutert Ralph Klein: "Es gibt in ihrem Vereinsheft immer wieder Artikel, in denen sie die von uns belegten Massakern aus ihrer Sicht beschreiben. Das ähnelt dann eher so Landserheftbeschreibungen a la "Wie ich einmal in Griechenland einen Partisanenüberfall gerächt habe".

Immerhin gab es 2004 Anzeigen dafür, dass die Bundeswehr zukünftig etwas mehr Distanz zum Pfingsttreffen der Gebirgsjäger walten lässt. Das Treffen sollte zunächst ohne die musikalische Untermalung der Bundewehr auskommen. Aber dann marschierten die uniformierten Musiker doch ganz offiziell auf. Traditionen lässt man sich in Soldatenkreisen eben nicht so einfach nehmen.

Die Mittenwalder selbst zeigen sich irritiert durch die jährlichen Gegendemonstrationen. Sie möchten am liebsten neutral beiben oder finden erwartungsgemäß, dass es dem Fremdenverkehr schadet - wie ein Mittenwalder am Rande der Kundgebung, der zufälligerweise selbst Gebirgsjäger war. "Das ist ein Saustall", schimpfte er über die Demonstration, "das ist ein Fremdenverkehrsort, und das hier ist ein Saustall". Und fügte hinzu: "Was im Krieg geschehen ist, müsst ihr erst einmal mitmachen. Ihr seid doch viel zu jung!"

AutorIn: Michael Liebler

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