Brüsseler Spitzen: Die falschen Makler

Artikel in: Neues Deutschland, 12.08.05, Tobias Pflüger

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob es das so ähnlich alles schon mal gegeben habe. Das Szenario im Streit zwischen der Regierung Irans und der EU bzw. den USA hat viele Parallelen zum Countdown in Sachen Irak. Wieder riecht alles nach Krieg. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Hauptakteur auf westlicher Seite sind nicht die USA, es ist die EU, besser gesagt es sind die drei Großen der EU: Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

Die USA und die EU sind übereingekommen, dass zuerst die »EU-Troika« Verhandlungen mit der Regierung in Teheran führt. Sie verlangen dabei von Iran Rechtswidriges: Nach den völkerrechtlichen Bestimmungen kann Teheran niemand das Recht auf Urananreicherung versagen. Nur die militärische Nutzung des erzeugten angereichten Urans wäre verboten. Es ist völlig naiv, auf eine gute Verhandlungsstrategie der EU-Verantwortlichen zu hoffen. Denn die haben ihre eigenen Interessen.

Karsten Voigt, USA-Koordinator der Bundesregierung, sagte einmal: Die EU und die USA verfolgten die gleichen Ziele in Sachen Iran, nur manchmal mit etwas anderen Methoden. Und er erklärte das Agieren der Union zum Präzedenzfall für die neue weltpolitische Rolle der EU. Ähnlich äußern sich der britische Außenminister Jack Straw und viele seiner Kollegen. Ist Iran also das Gesellenstück für den neuen »Global Player« EU?

Wer gegen Atomwaffen glaubwürdig kämpfen will, muss bei sich selbst anfangen; die »EU-Troika« ist nicht glaubwürdig. Großbritannien und Frankreich haben selber Atomwaffen, Frankreich hat eine starke zivilmilitärische Atomindustrie, hat so viele Atomkraftwerke wie kein anderes EU-Land und plant derzeit neue. Die EU steckt immer größere Summen in die Atomforschung. Im 7. Forschungsrahmenprogramm sind dafür 3,1 Milliarden Euro eingeplant, doppelt so viel wie im Programm davor.

In der EU wird das »European Defense Paper« diskutiert, in dem es heißt: »Wir haben es nicht vermieden, Szenarien zu präsentieren, in welchen die nationalen Nuklearstreitkräfte europäischer Mitgliedstaaten in die Planung mit einfließen könnten.« Der Sozialdemokrat Jan-Marinus Wiersma meinte bei den Verhandlungen über die Resolution des Europaparlaments zum Atomwaffensperrvertrag offen: »Wir sind gegen ein atomwaffenfreies Europa.« Und die Büroleiterin von Javier Solana erklärte bei einer Anhörung im Ausschuss fälschlicherweise die Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens zu »legalen Atomwaffen«. Und Deutschland? In Deutschland wurde durch Rot-Grün eine langfristige Bestandsgarantie für Atomkraftwerke gesichert, und hier läuft seit 2004 das »Atomei« in Garching, bei dessen Betrieb waffenfähiges Uran anfällt.

Es ist paradox: Iran meint, sich mit Atomwaffen gegen Angriffe schützen zu können, wenn in Iran allerdings tatsächlich Atomwaffen entwickelt werden, ist dies eine Begründung für Krieg. Realistisch gesehen, gibt es derzeit zwei Varianten: Entweder die Urananreicherung wird als Anlass für Sanktionen und später Krieg genommen, oder es gibt eine mit der IAEA abgestimmte Urananreicherung in Iran.

Die tatsächliche Lösung, der Verzicht auf Atomenergie und Atomwaffen in Iran und allen (auch den westlichen) Staaten, steht jedoch nicht zur Debatte. Gerhard Schröder meint: »Ich glaube, niemand denkt zur Zeit über eine militärische Auseinandersetzung nach.« Schröder sagt »zur Zeit« – nutzen wir diese also. Die Position für die Linke kann dabei nur sein: Keine Atomwaffen und keine Atomkraftwerke – und zwar überall!

Von Tobias Pflüger

Der parteilose Abgeordnete sitzt für die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments

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