Bundeswehr pfeift auf Bundestag

Afghanistan-Elitesoldat berichtet über illegale Einsätze / Regierung verweigert Informationen

Pressebericht in: NEUES DEUTSCHLAND, 10.01.2008

Seit 2001 schweigt die Bundesregierung über die Einsätze von Bundeswehr-Elitesoldaten in Afghanistan. Nun könnte ein Buch Wissenslücken auffüllen helfen.
Berlin (ND-Heilig). »Endstation Kabul« heißt das Buch, das der Econ-Verlag heute in den Räumen der Bundespressekonferenz vorstellt. Autor ist ein »Klaus F.«, der mit bürgerlichem Namen Achim Wohlgethan heißt und als Stabsunteroffizier in Afghanistan gedient hat. Er bestätigt verschiedene andere Meldungen darüber, dass deutsche Soldaten am Hindukusch Aufgaben erledigten, die weit über die vom Parlament erteilten Mandate hinausgehen. So sollen bereits 2002 Bundeswehr-Angehörige mit Wissen ihrer Vorgesetzten außerhalb des vorgeschriebenen Mandatsgebietes operiert haben.

Laut einem Vorabbericht der Illustrierten »Stern« war Wohlgethan bei der Kabul-Brigade der Internationalen Schutztruppe ISAF für – wie es heißt – Sonderaufgaben eingesetzt worden. Er selbst habe »mindestens ein Dutzend Mal« außerhalb der sogenannten »Area of Responsibility« operiert. Zu solchen Einsätzen sei er zum Beispiel von einem Bundeswehr-Major der Abteilung J2 aufgefordert worden. Die J2-Abteilung ist zuständig für das militärische Nachrichtenwesen. Die Truppe sammelt, selektiert und bewertet Informationen, die durch eigene Aufklärung oder die von verbündeten Diensten gewonnen werden.

Wohlgethan und andere deutsche Fernspäher seien auch an der Seite der niederländischen »Korps Commandotroepen« (KCT) außerhalb des ISAF-Gebietes eingesetzt gewesen. Das sollen Dokumente der Bundeswehr und des niederländischen Heeres belegen. Er sei vor Ort gewesen, als Anfang August 2002 südlich von Kabul zwölf Afghanen unter ungeklärten Umständen erschossen wurden.

In Verdacht gerät wieder einmal der Militärische Abschirmdienst (MAD). Mit uniformierten deutschen Militärgeheimdienstlern habe er in Kabul gegen angebliche Waffenhändler- und Labors vorgehen müssen, sagt Wohlgethan. Dem MAD sind Auslandseinsätze jedoch erst seit 2004 gesetzlich erlaubt – und dies nur innerhalb dortiger Bundeswehr-Objekte.

So wie Wohlgethan waren verschiedene Bundeswehrspezialisten immer wieder außerhalb der genehmigten Operationsgebiete tätig. Das betrifft unter anderen Fernmelder, Aufklärer und Ausbilder. Das in Potsdam beheimatete Einsatzführungskommando musste mehrfach solche Einsätze zugeben, summierte sie aber unter im Mandat erlaubte temporäre Verwendungen zur Unterstützung Verbündeter.

Über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in und außerhalb von ISAF erteilt die Bundesregierung generell keine Auskünfte. Nur die Fraktionschefs und die Obleute des Verteidigungsausschusses werden ins »Vertrauen« gezogen Dagegen protestierte die LINKE und stützt sich dabei auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments.

Als Reaktion auf die im Buch erhobenen Vorwürfe fordert die stellvertretende Vorsitzende und sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger »eine sofortige und lückenlose Aufklärung«. Die LINKE geht dagegen über solches Verlangen hinaus. »Die einzige Lösung, dieses illegale Agieren zu unterbinden, ist die Auflösung des Kommandos Spezialkräfte«, meint ihr Europaabgeordneter Tobias Pflüger. Die Bundesregierung müsse vor dem Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, wie es zu einer solchen nicht hinnehmbaren Praxis kommen konnte und wer sie wie gedeckt hat. Zugleich verweist Pflüger auf die europäische Dimension solcher Einsätze.

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