Über den EU-Vertrag muss das Volk entscheiden!
Pressebericht in: Zeitfragen, Nr.15 / Mo. 07. April 2008
von Dietrich Antelmann, Berlin
zf. Am 13. März 2007 beriet der Deutsche Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon («EU-Reformvertrag»). Allein die Fraktion «Die Linke» brachte dazu einen Antrag ein (Drucksache 16/7446), der davon sprach, dass der neue Vertrag «nicht transparent und für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar» sei, und forderte, den Vertrag nicht zu unterzeichnen, bevor «ein umfassender zivilgesellschaftlicher Dialog über den Reformvertrag erfolgt ist».
In der Tat: Der neue Vertragsentwurf ist für den Leser in jeglicher Hinsicht ungeniessbar, und eine öffentliche Diskussion über ihn findet in Deutschland – und auch in den anderen EU-Ländern – praktisch nicht statt. Nach dem bisherigen Stand der Dinge werden allein die Iren über den neuen Vertrag abstimmen können. Allen anderen Völkern in Europa soll dieses natürliche Recht vorenthalten werden. Dass es aber keinen Anlass gibt, dem neuen Vertragswerk mit Gleichgültigkeit zu begegnen, zeigt die folgende Analyse.
Dietrich Antelmann engagiert sich sehr dafür, dass die Deutschen in einem Volksentscheid über den neuen Vertrag abstimmen können. Gemeinsam mit Freunden und Kollegen in Gruppen der Berliner Friedenskoordination ist eine Bürgerinitiative «Für eine Volksabstimmung über den neuen EU-Vertrag» entstanden. Unterschriftenlisten und weitere Informationen sind bei Laura von Wimmersperg, Hauptstrasse 37, D-10827 Berlin, zu erhalten.
Auf dem EU-Gipfel in Lissabon erzielten am 18.10.2007 die europäischen Regierungschefs eine weitgehende Einigung über den Text des sogenannten EU-Reformvertrages. Dieser «Vertrag» hat nach wie vor den Charakter einer Verfassung und entspricht inhaltlich der vorangegangenen, gescheiterten EU-Verfassung. Der amtierende EU-Ratspräsident José Socrates erklärte dazu: «Es ist ein phantastischer Tag, und ich glaube, wir bekommen einen phantastischen Vertrag.»
Die Vorarbeit dazu leistete Deutschlands grösste Denkfabrik, die Bertelsmann-Stiftung. In einer Studie des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) der Bertelsmann-Stiftung heisst es: «Man könnte in einem oder – besser noch – in mehreren Texten den dringend notwendigen Reformkern sichern, ohne polarisierende Plebiszite bemühen zu müssen.»
Frankreichs Fehler durfte sich nicht noch einmal wiederholen. Als einziger Mitgliedstaat der EU hatte Frankreich nämlich allen Haushalten den vollständigen Text der geplanten EU-Verfassung zur Verfügung gestellt. Ein Lehrer arbeitete den Verfassungstext durch. Was er nicht für möglich hielt, stellte er als Fragen ins Internet. Dadurch wurde eine breite Öffentlichkeit auf den geplanten neoliberalen und militärischen Kern dieser Verfassung aufmerksam, was bekanntlich zur Ablehnung durch Volksabstimmung führte.
Auf Parlamente ist Verlass
Das lettische Parlament hatte zum Beispiel dem Verfassungsvertrag zugestimmt, ohne den Text zu kennen. Die Übersetzung erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt und war zudem wegen gravierender Übersetzungsfehler unbrauchbar.1 Das Parlament von Bulgarien stimmte dem EU-Verfassungsvertrag ohne Diskussion und ohne Information der Öffentlichkeit zu.2 Das deutsche Parlament verabschiedete die geplante EU-Verfassung im Mai 2005 mit überwältigender Mehrheit. Alle kritischen Abgeordneten der im Parlament vertretenen Fraktionen erhielten praktisch Redeverbot. Allein ausgesuchte Verfassungsbefürworter wurden zu den wesentlichen Lesungen vor der Abstimmung zur Rede zugelassen. Nur die beiden fraktionslosen Abgeordneten der damaligen PDS konnten in jeweils dreiminütigen Beiträgen ihre Kritik an dem Vertrag zur Sprache bringen. Eine Antwort auf ihre Kritik haben sie nicht bekommen.3
Wegen des mit demokratischen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Zustandekommens und auch weil der EU-Verfassungsvertrag in weiten Teilen gegen elementare Grundsätze des Völkerrechts und des Grundgesetzes verstösst, hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler am 27. Mai 2005 Organklage und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundespräsidenten untersagt, das Zustimmungsgesetz zur EU-Verfassung zu unterzeichnen. Damit ist entgegen der öffentlichen Wahrnehmung neben Frankreich und Holland auch in Deutschland keine Zustimmung zu diesem Vertragswerk zustande gekommen.
Wie die Bürger hintergangen werden
Nach der gescheiterten Verfassung hat die Bevölkerung Europas erwartet, dass nachgebessert wird. Irrtum. Es ist «verschlimmbessert» worden. Als EU-Ratspräsidentin und Kanzlerin der stärksten Wirtschaftsmacht Europas hat Angela Merkel in einem vertraulichen Brief ihren Amtskollegen Vorschläge unterbreitet, wie der harte neoliberale und militärische Kern der abgelehnten Verfassung erhalten werden kann, ohne dass es die Bürger merken. So schlug sie für den EU-Gipfel im Juni 2007 vor, den Vertragstext nur dort zu kürzen oder zu umschreiben, wo es «absolut notwendig» sei. Zur Disposition gestellt wurden EU-Symbole wie Flagge, Hymne, die Grundrechte-Charta und alles, was nach Verfassung klingt. Statt dessen sollte der Entwurf einen bürokratisch-technischen Titel bekommen, damit Franzosen, Holländer und Briten das Werk umsetzen können, ohne erneut die Bürger zu befragen.4 Merkels Vorschläge überzeugten. Sie wurden einstimmig auf dem EU-Gipfel im Juni dieses Jahres angenommen und fanden ihren Niederschlag in den «Schlussfolgerungen des Vorsitzes», den Europäischen Rat (Brüssel) betreffend, vom 21./22. Juni 2007.
In diesen «Schlussfolgerungen» ist alles Wesentliche geregelt worden, so dass nur noch Detailfragen, wie Abstimmungsmodalitäten, zu klären waren. Als auch hierüber Einigung herrschte, unterzeichneten am 13. Dezember 2007 die Regierungsvertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten in Lissabon den EU-«Reformvertrag». Ohne öffentliche Debatte soll er noch in diesem Frühjahr im Parlament durchgepeitscht werden.
Neoliberale Ausrichtung
Die das Grundgesetz aushöhlende Vorschrift von Artikel I-6 der bisherigen EU-Verfassung, wonach die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben, wird verschleiert. Im «Reformvertrag» wird bestimmt, «dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.»
Der Gerichtshof der EU ist nicht demokratisch legitimiert. Seine Richter werden ohne parlamentarische Mitwirkung von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt. Entsprechend wird zu Lasten des Allgemeinwohls zum Vorteil der Kapitalkräftigen geurteilt. Nach dieser Rechtsprechung ist zum Beispiel die französische Regierung verurteilt worden, eine Autobahnblockade zu räumen, die aus Anlass eines Streiks der Lastkraftwagenfahrer errichtet worden war. Das Recht auf freien Warenverkehr hat Vorrang! Ein Beispiel noch zur Kapitalfreiheit. Mit Sonderaktien wollten Frankreich und Portugal die Energieversorgung der Bevölkerung in Krisensituationen sicherstellen. Der EU-Gerichtshof erachtete die Kapitalverkehrsfreiheit als das höhere Rechtsgut und verwarf die Regelung der Sonderaktien.
Das bisher formulierte Gebot eines Binnenmarktes mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb, das besonders bei den Franzosen zur Ablehnung der Verfassung führte, ist in der neuen Formulierung enthalten, das zu dem Binnenmarkt ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt.
Die vier Freiheiten des Binnenmarkts (freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) erfahren eine weitere Stärkung. Im Gegenzug wird eine Erhöhung der Mobilität der Arbeitnehmer durch Verbesserung der Begründung und des Erhalts von Zusatzrentenansprüchen angestrebt. Hinter diesem harmlos klingenden Satz verbürgt sich ein noch radikalerer Abbau von Arbeitnehmerrechten und der einst als vorbildlich geltenden gesetzlichen Sozialversicherung. Mobilität und Zusatzrentenansprüche sind die Tarnbezeichnungen für die Aufhebung des Kündigungsschutzes, der Tarifbindung, der betrieblichen Mitbestimmung, der Gewerkschaftsrechte und der Ablösung der staatlichen Sozialversicherung zugunsten einer privaten Versorgung.
Nach dem Entwurf der Europäischen Kommission mit dem wohlklingenden Namen «Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts» soll sogar die zulässige Höchstgrenze der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden auf 60 Wochenstunden erhöht werden («Rechte der Beschäftigten werden weiter abgebaut», in: junge Welt vom 5. Oktober 2007). Damit würde auch entgegen allen anderslautenden Beteuerungen die skandalöse Massenarbeitslosigkeit festgeschrieben werden. Abgerundet wird dieser Komplex mit dem neuen Recht auf unternehmerische Freiheit. Ein entsprechender Passus für die Gewerkschaften fehlt. Streiks können dadurch juristisch leichter verboten werden.
Es wird eine Wirtschafts- und Eigentumsordnung weiterentwickelt und alternativlos festgeschrieben, die schon jetzt bewirkt, dass 1% der Weltbevölkerung über 40% des Weltreichtums verfügt.
Freiheit der Wissenschaft und der Lehre wird nur noch geachtet. Frei sollen nur noch Kunst und Forschung bleiben. Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden ebenfalls nicht mehr gewährleistet, sondern nur noch geachtet. Damit werden bürgerliche Freiheiten, auf die jetzt noch ein Rechtsanspruch besteht, auf blosse Absichtserklärungen herabgestuft.
Für ein gedeihliches Zusammenleben wichtige Ziele wie Demokratie, Soziales, Ökologie, Kultur, fachübergreifende Bildung und Frieden werden als Ballast empfunden, nicht mit Inhalt gefüllt und verkommen so zu Leerformeln.
Militärische Ausrichtung
Trotz der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg mit 25 Millionen getöteten Zivilisten und der offenkundig verschlechterten Lage der jeweiligen Bevölkerung durch die jüngsten Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak wird Krieg als Mittel der Politik wieder favorisiert. Alle Mitgliedsstaaten der EU werden zur schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten verpflichtet. Darüber wacht eine ursprünglich als Rüstungsagentur bezeichnete Verteidigungsagentur. In ihr werden Entwicklung der militärischen Fähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung gebündelt. Diese Art der vielbeschworenen, aber nie so bezeichneten Handlungsfähigkeit wird für so wichtig erachtet, dass die «Verteidigungsagentur» bereits im Juli 2004 durch einfachen Ratsbeschluss errichtet wurde. Abrüstung ist nicht vorgesehen.
«Es (gemeint ist die EU) ist nicht länger bloss ein Gegenstand von Pathos und Vision, sondern Produzent von öffentlichen Gütern, an den harte Leistungserwartungen zu richten sind», so Werner Weidenfeld – Dirigent der Münchner Denkfabrik CAP der Bertelsmannstiftung [inzwischen zurückgetreten] und ehemaliger Berater Helmut Kohls – in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Einführung zur Verfassung der Europäischen Union.
Schrankenlose Jagd des Kapitals nach grösstmöglicher Rendite verlangt die Absicherung durch schrankenloses Militär. Parlamente mit ihren umständlichen Prozeduren stehen dem im Wege. Mit dem «Reformvertrag» wird das anders. Alle Bereiche der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) bis hin zur gemeinsamen «Verteidigung» werden in die Zuständigkeit der Union überführt. Der Europäische Rat bestimmt die strategischen Interessen und Ziele. Das EU-Parlament darf in Fragen der GASP weder entscheiden noch eine Kontrollfunktion ausüben. Es dient lediglich der Erzeugung einer Scheinlegitimation. Schon der Name EU-Parlament ist irreführend, weil es über keine Gesetzesinitiative verfügt und über Budgetfragen nicht entscheiden kann. Das Parlament als Vertretung des Volkes als oberste Staatsgewalt wird so zu einer Versammlung europäischer Diätenempfänger degradiert.
Im Orwellschen Sprachgebrauch werden Militäreinsätze als gemeinsame Abrüstungsmassnahmen, humanitäre Rettungseinsätze, Aufgaben der Konfliktverhütung sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten genannt.
Bevor ein Land mit Krieg zwecks Abrüstung überzogen wird, muss es vorher tüchtig aufgerüstet werden. Laut junger Welt vom 19. Dezember 2007 ist die Bundesrepublik mit Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 7,7 Milliarden Euro zum grössten Waffenhändler Europas aufgestiegen. Einer der Hauptabnehmer ist Südafrika.
Propaganda statt Information
Die für eine Demokratie konstitutiven Informationen werden den Bürgern vorenthalten.
Statt dessen werden sie mit PR-Propaganda überschüttet. Das ist der EU immerhin mehr als 180 Millionen Euro jährlich wert («Frankfurter Rundschau» vom 20. Juli 2005). Es ginge auch anders. Im Jahr 2000 wandten sich die Vertreter der Inter Citizens Conferences und des Food First Informations- und Aktionsnetzwerkes mit der Forderung an die Öffentlichkeit, dass es nötig sei, die Bürgerinnen und Bürger am Reformprozess teilhaben zu lassen (zu dieser Zeit tagte nämlich die damalige Regierungskonferenz wieder einmal hinter verschlossenen Türen. Thema: Ost-Erweiterung der EU). Deshalb müssten die anstehenden Debatten zumindest durch eine aktive Presse- und Informationsarbeit, einschliesslich Fernseh- und Rundfunkübertragung, bekanntgemacht werden.
Thematisiert wurde auch die Diskrepanz, dass in der EU etwa 69 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben und Europa immer reicher wird. Die Frage wurde aufgeworfen, wie das Recht auf unternehmerische Freiheit mit dem in der Präambel der Grundrechtecharta verankerten Prinzip der Solidarität in Einklang zu bringen ist. (Mehr als nur Markt, Macht und Monopole Dokumentation von Thomas Fiedler und Ute Hausmann in: «Frankfurter Rundschau» vom 1. Dezember 2000). Statt den berechtigten Forderungen und Anregungen der Nichtregierungsorganisationen zu entsprechen, die in einem Verbindungsbüro in Brüssel immerhin mehr als 1000 Bürgerinitiativen und Menschenrechtsorganisationen vertraten, hat laut «Freitag» vom 16. Februar 2001 (Heimo Claasen: Der Schuss ins eigene Knie) die EU-Kommission unter fadenscheinigen Gründen die ohnehin zu geringen jährlichen Zuwendungen in Höhe von 1,5 Millionen zurückbehalten, so dass das Brüsseler Verbindungsbüro der zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgegeben werden musste.
Wiedereinführung der Todesstrafemit Verfassungsrang
Für den Fall, dass die Bürger merken, wie sie hinters Licht geführt werden, und es wegen schreiender Ungerechtigkeiten zu Aufständen kommt, kann sogar das elementare Recht auf Leben aufgehoben werden. Bei Kriegsgefahr oder in Kriegszeiten kann durch einfachen Ratsbeschluss ohne Beteiligung des Parlaments die Todesstrafe wiedereingeführt werden (Protokoll zu der Grundrechtscharta, mit gleichem Rang). Weil so ein Beschluss ein europäischer Rechtsakt sein wird, geht er Artikel 102 des Grundgesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe vor. Das heisst, die Todesstrafe ist wieder möglich. Die Einschränkung des Rechts auf Leben würde die bisherige Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs bei sozialen Protesten, wie beim G-8-Gipfel, beseitigen. Gegen die Gipfeldemonstranten waren 2450 Soldaten eingesetzt. Darunter befanden sich 641 zum Teil mit G36-Sturmgewehren ausgerüstete Feldjäger und mit Pistolen bewaffnete Kommandanten von Spürpanzern.
Aushöhlung des Völkerrechts durch die EU
Die ganze Tragweite des hinter verschlossenen Türen zustande gekommenen EU-Vertragswerks erschliesst sich bei der Gegenüberstellung mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz.
Das Völkerrecht ist auf Dialog und Partnerschaft ausgelegt. Es soll die internationale Zusammenarbeit fördern und den Weltfrieden sichern. Nach deren Charta werden Krieg und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten geächtet.
Das Grundgesetz gestattet nur die militärische Landesverteidigung und hebt auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ab.
Das geplante EU-Recht hingegen setzt anstelle von Partnerschaft den Verdrängungswettbewerb, missachtet das Gemeinwohl und instrumentalisiert die Menschenrechte als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.
Obwohl in den Mitgliedstaaten der EU unter dem Vorwand, dem Recht auf Sicherheit zum Durchbruch zu verhelfen, demokratische Strukturen nach und nach abgebaut werden, schickt sich die EU an, Demokratie in ausgewählten Ländern ausserhalb der EU aufzubauen. Dazu hat in aller Heimlichkeit ohne Mitwirkung der nationalen Parlamente der Rat mit dem europäischen Parlament mit Wirkung vom 29.Dezember 2006 eine Verordnung erlassen für die weltweite Förderung der Demokratie und Menschenrechte.
Der EU-Haushaltsansatz für diesen Zweck für die Haushaltsperiode von 2007 bis 2013 beträgt 1,104 Milliarden Euro, so dass pro Jahr annähernd 160Millionen Euro verausgabt werden können (junge Welt vom 6.Juli 2007). Das ist das Doppelte von dem, was der amerikanischen Konkurrenzorganisation, der Nationalen Agentur für Demokratie, zur Verfügung steht. Ins Fadenkreuz des EU-Menschenrechtsinstruments geraten demokratisch gewählte Regierungen, die ihrer Bevölkerung keine «Marktwirtschaft mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb» zumuten, sich nicht erpressen oder bestechen lassen und über reiche Rohstoffvorkommen verfügen oder strategisch wichtig sind, wie zum Beispiel Venezuela und die Ukraine.
Laut junger Welt vom 11.Februar 2005 (jW-Bericht: Umsturzpläne für Minsk) verlangte der einflussreichste deutsche Think tank, die Bertelsmann-Stiftung, bereits 2004, dass die EU auf die kommenden Präsidentschaftswahlen in der Republik Belarus direkten Einfluss nehmen und dabei bisher nicht erlaubte Finanzierungsmethoden anwenden soll. So sollten europäische Politiker vor den Präsidentschaftswahlen nach Belarus gebracht und politische Parteien mit technischer Ausrüstung, wahlkampfbezogenen Materialien und Reisekosten unterstützt werden. Um die gültigen EU-Regularien (TACIS) zu umgehen, ist die Gründung eines EU-Fonds vorgeschlagen worden, der ausserhalb der strengen Richtlinien für die üblichen Auslandsprogramme anzusiedeln ist. Klappt der finanziell geförderte Regimewechsel nicht, bleibt die Möglichkeit der militärischen Menschenrechtsintervention. So lobte Dr.Gerhard Sabathil, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, auf der EU-Werbeveranstaltung am 7.Februar 2007 in der Urania in Berlin die Jugoslawien-Mission als ein dem Völkerrecht entsprechendes erfolgreiches Modell, das auch auf andere Länder anwendbar sei.
In den «Schlussfolgerungen des Vorsitzes» des Europäischen Rates in Brüssel vom 21./22.Juni 2007 liest sich das so: «Der Europäische Rat bekräftigt die Zusage, die Afrikanische Union weiterhin zu unterstützen, um unter anderem die Fähigkeit der Afrikanischen Union zur Bewältigung, Lösung und Prävention von Konflikten zu stärken.»
Zur Erinnerung: Im bereits im 1996 erschienenen Buch «Von Mussolini bis Fini» des Elefanten Press Verlages findet sich der Hinweis auf makro-regionale Pläne der EU zur Neuaufteilung zum Beispiel des europäischen Raumes: «Eines dieser Projekte ist die Alpen-Adria-Gemeinschaft, zu der 18 Regionen der mittelöstlichen Alpen und der nördlichen Adria (aus Italien, der BRD, Österreich und der Schweiz, aber auch aus Ex-Jugoslawien – vor allem Slowenien und Kroatien – sowie ungarische Gebiete) mit insgesamt knapp 40 Millionen Einwohnern gezählt werden.» (S. 165).
Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic weigerte sich jedoch standhaft, die noch vorhandene sozialistische Wirtschaft völlig zugunsten einer «Marktwirtschaft» aufzugeben. Die Stunde der Militärs war gekommen. Als erstes wurden PKW- und Lastwagenfabriken und andere wichtige sozialistische Produktionsstätten bombardiert. Fabriken westlicher Kapitalbesitzer blieben verschont. Im Buch des Nomos Verlages «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod» befindet sich unter dem Datum 8. September 1999 folgende Eintragung: «134.
‹Politischer Salon› der Hunzinger Information AG mit Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping MdB als Ehrengast und mit 60 Top-Managern aus der Wirtschaft, darunter der designierte Oberbefehlshaber der Kfor Kosovo-Forces, General Dr. Dr. Klaus Reinhardt. Teilnehmer u. a. Herbert M. Rudolph, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messer GmbH, der sich beim Minister, dem General und Hunzinger dafür bedankte, dass seine Belgrader Niederlassung vom Nato-Bombardement ausgespart blieb.» (S. 121).
So entlarvt sich die von der EU herbeigesehnte grössere Handlungsfähigkeit als militärische Interventionsfähigkeit im Dienste der Öffnung von Gesellschaften und Märkten für den Zugriff kapitalorientierter Kräfte.
In dieses Szenario passt der Film «Als der Wind den Sand berührte», der am Sonntag, 8. Juli 2007, im Berliner Zoopalast aufgeführt wurde. Zu der kostenlosen Filmvorführung waren von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die in ihr organisierten Berliner Lehrerinnen und Lehrer eingeladen. Der Film handelt durchgängig von schwersten Menschenrechtsverletzungen in der afrikanischen Bevölkerung. Hilfe kommt jetzt von der EU. Nach Aussage von Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Partei Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, dient die am 25. Januar 2008 beschlossene EU-Militärmission der politischen und militärischen Absicherung der nicht gerade demokratischen Regierungen im uran- und ölreichen Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik und stellt die Fortsetzung der postkolonialen Politik Frankreichs unter EU- Flagge dar (junge Welt vom 29. Januar 2008 unter der Rubrik «Abgeschrieben»).
Als Herr über Krieg und Frieden war ein EU-Aussenminister vorgesehen, jetzt heisst er – bei gleicher Funktion – «Hoher Repräsentant der Union für Aussen- und Sicherheitspolitik». Nationale Parlamente und das Europäische Parlament sollen nur noch über die wichtigsten Entscheidungen unterrichtet werden. Der für demokratische Verhältnisse unabdingbare Grundsatz der Gewaltenteilung wird abgeschafft. Der Rechtsphilosoph und Professor für Öffentliches Recht, Dr. Erhard Denninger, resümiert in der «Frankfurter Rundschau» vom 20. Juni 2005 die «seit dem Ende des Dreissigjährigen Kriegs (1648) geltende Friedensordnung, die sich über das Recht definierte, gelte nicht mehr». Nunmehr etabliere sich eine «Weltgewaltordnung» (Der Titel des Artikels lautet: «Recht, Gewalt und Moral» von Erhard Denninger).
Abschliessend möchte ich noch auf den Artikel in der jungen Welt vom 28. April 2005 «Weltmachtpolitik auf dem eurasischen Schachbrett» aufmerksam machen. Danach mussten alle ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten, die inzwischen der EU angehören, erst Nato-Mitglieder werden, ehe sie die Chance erhielten, in die EU aufgenommen zu werden.
Scheinlegitimation für Polizei- und Militärstaat
Begründet werden Polizeistaat und dramatische Aufrüstung mit dem Zauberwort «Internationaler Terrorismus». Nach der Auflösung des Warschauer Paktes und des Zusammenbruchs des sozialistischen Staatensystems befand sich die Nato in einer tiefen Legitimationskrise. Das Feindbild war abhanden gekommen. Ein neues musste geschaffen werden. Wie wär’s mit Terrorismus Schliesslich verfügen die staatlichen Geheimdienste über jahrzehntelange Erfahrungen auf diesem Gebiet (siehe Andreas von Bülow, in: «Im Namen des Staates – CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste»).
So liess der erste Terroranschlag nicht lange auf sich warten. 1993 erfolgte der erste Anschlag auf das World-Trade-Center. Eine Bombe explodierte und riss sechs Menschen in den Tod, mehr als tausend wurden verletzt. Hierzu Andreas von Bülow im «Tagesspiegel» vom 13. Januar 2002: «Da stand im Mittelpunkt als Bombenbastler ein ehemaliger ägyptischer Offizier. Er hatte sich für den Anschlag einige Muslime zusammengeholt. Diese waren trotz Einreiseverboten des State Department von der CIA ins Land gelotst worden. Gleichzeitig war der Chef der Bande Informant des FBI. Und er vereinbarte mit den Behörden: Im letzten Moment werde das gefährliche Sprengmaterial durch ein harmloses Pulver ersetzt. Das FBI hielt sich nicht daran. Die Bombe ist sozusagen mit Wissen des FBI hochgegangen. Die offizielle Tatversion war rasch gefunden: Täter waren böse Muslime.»
Damit nicht unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung noch mehr Unheil angerichtet wird, hat der frühere italienische Staatspräsident Francesco Cossiga in der Online-Ausgabe der angesehenen Tageszeitung «Corriere Della Sera» vom 30. November 2007 die «Angriffe» vom 11. September 2001 als ein von amerikanischen und nahöstlichen Geheimdiensten inszeniertes Attentat bezeichnet, was den anderen Geheimdiensten der Welt allgemein bekannt gewesen sei (Schweizer Wochenzeitung Zeit-Fragen Nr. 49 vom 10. Dezember 2007, «Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga: 9/11 war eine ‹false flag operation› westlicher Geheimdienste»). Der Ex-Präsident weiss, wovon er spricht. Schliesslich war er laut Freitag vom 21. Dezember 2007 («Italiens Ex-Präsident attackiert CIA und Mossad») der einstige Kontaktmann von Gladio, einer Geheimorganisation von CIA und Nato, die für spektakuläre Sprengstoffanschläge in Italien verantwortlich war.
Bemerkenswert ist auch, dass bei den Attentaten in New York, London und Madrid jedesmal eine zur Aufklärung notwendige unabhängige Untersuchungskommission mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die nationalen Sicherheitsinteressen gefährdet würden. Laut junge Welt vom 3. Januar 2008 («Washington nervös») hat kürzlich der frühere Leiter der von der amerikanischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission zugegeben, dass die Aufklärung zu den Anschlägen vom 11. September vom US-Auslandsgeheimdienst CIA systematisch blockiert wurde.
Seminare über den internationalen Terrorismus und die neue Sicherheitsphilosophie sind in Deutschland kostenlos. An Schulen für Erwachsenenbildung sind Dozentenstellen für Sicherheitspolitik neu eingerichtet worden. Im Seminar-Programm 2006 des Europäischen Bildungs- und Tagungshauses Bad Bevensen heisst es zum Beispiel: «Die Öffentliche Hand verringert trotz der Aufforderung nach lebenslangem Lernen weiter die finanzielle Unterstützung für die freie Erwachsenenbildung. Im gleichen Masse sind unabhängige Einrichtungen wie das Gustav Stresemann Institut in Niedersachsen e. V. gefordert, mit Partnern zu kooperieren und Gastgruppen für Tagungen in unserem Haus zu gewinnen.» Als Kooperationspartner werden unter anderem genannt: Bundeswehr-Panzertruppenschule und Akademie Führung & Kompetenz am Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München (CAP).
Ein- und Ausblick
Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungskonvents, Giuliano Amato, erklärte nach der auf dem Brüsseler Gipfel im Juni 2007 erfolgten Verabschiedung der «Schlussfolgerungen», dass die Regierungschefs sich auf einen schwer lesbaren Text verständigt hätten, damit die Kernreformen nicht auf Anhieb erkennbar seien und sich die Forderungen nach Referenden in den Mitgliedsstaaten vermeiden liessen (Europa-Abgeordnete Sahra Wagenknecht: «Ein neuer Umschlag», in: marx 21 – Magazin für internationalen Sozialismus – Nr. 2, September 2007).
Damit diese Rechnung nicht aufgeht, ist es nach wie vor geboten, Widerstand gegen den Reformvertrag zu leisten und für ein friedliches, gerechtes, soziales und umweltschonendes Europa einzutreten. •
1 Oliver Eberl: Notaktion Tankstelle. Der Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung treibt groteske Blüten, in: Frankfurter Rundschau, 16.2.2005
2 Peter Bachmaier: Von der zweiten zur dritten Welt. Bulgariens Weg vom Staatssozialismus zum Neoliberalismus 1989–2007, in: Zeit-Fragen Nr. 29, 24.7.2007
3 Karl Albrecht Schachtschneider, Organklage
S. 9–14, unter: www.KASchachtschneider.de
4 Merkels Weg zur Verfassung, in: Spiegel Nr. 17, 23.4.2007
von Dietrich Antelmann, Berlin
zf. Am 13. März 2007 beriet der Deutsche Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon («EU-Reformvertrag»). Allein die Fraktion «Die Linke» brachte dazu einen Antrag ein (Drucksache 16/7446), der davon sprach, dass der neue Vertrag «nicht transparent und für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar» sei, und forderte, den Vertrag nicht zu unterzeichnen, bevor «ein umfassender zivilgesellschaftlicher Dialog über den Reformvertrag erfolgt ist».
In der Tat: Der neue Vertragsentwurf ist für den Leser in jeglicher Hinsicht ungeniessbar, und eine öffentliche Diskussion über ihn findet in Deutschland – und auch in den anderen EU-Ländern – praktisch nicht statt. Nach dem bisherigen Stand der Dinge werden allein die Iren über den neuen Vertrag abstimmen können. Allen anderen Völkern in Europa soll dieses natürliche Recht vorenthalten werden. Dass es aber keinen Anlass gibt, dem neuen Vertragswerk mit Gleichgültigkeit zu begegnen, zeigt die folgende Analyse.
Dietrich Antelmann engagiert sich sehr dafür, dass die Deutschen in einem Volksentscheid über den neuen Vertrag abstimmen können. Gemeinsam mit Freunden und Kollegen in Gruppen der Berliner Friedenskoordination ist eine Bürgerinitiative «Für eine Volksabstimmung über den neuen EU-Vertrag» entstanden. Unterschriftenlisten und weitere Informationen sind bei Laura von Wimmersperg, Hauptstrasse 37, D-10827 Berlin, zu erhalten.
Auf dem EU-Gipfel in Lissabon erzielten am 18.10.2007 die europäischen Regierungschefs eine weitgehende Einigung über den Text des sogenannten EU-Reformvertrages. Dieser «Vertrag» hat nach wie vor den Charakter einer Verfassung und entspricht inhaltlich der vorangegangenen, gescheiterten EU-Verfassung. Der amtierende EU-Ratspräsident José Socrates erklärte dazu: «Es ist ein phantastischer Tag, und ich glaube, wir bekommen einen phantastischen Vertrag.»
Die Vorarbeit dazu leistete Deutschlands grösste Denkfabrik, die Bertelsmann-Stiftung. In einer Studie des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) der Bertelsmann-Stiftung heisst es: «Man könnte in einem oder – besser noch – in mehreren Texten den dringend notwendigen Reformkern sichern, ohne polarisierende Plebiszite bemühen zu müssen.»
Frankreichs Fehler durfte sich nicht noch einmal wiederholen. Als einziger Mitgliedstaat der EU hatte Frankreich nämlich allen Haushalten den vollständigen Text der geplanten EU-Verfassung zur Verfügung gestellt. Ein Lehrer arbeitete den Verfassungstext durch. Was er nicht für möglich hielt, stellte er als Fragen ins Internet. Dadurch wurde eine breite Öffentlichkeit auf den geplanten neoliberalen und militärischen Kern dieser Verfassung aufmerksam, was bekanntlich zur Ablehnung durch Volksabstimmung führte.
Auf Parlamente ist Verlass
Das lettische Parlament hatte zum Beispiel dem Verfassungsvertrag zugestimmt, ohne den Text zu kennen. Die Übersetzung erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt und war zudem wegen gravierender Übersetzungsfehler unbrauchbar.1 Das Parlament von Bulgarien stimmte dem EU-Verfassungsvertrag ohne Diskussion und ohne Information der Öffentlichkeit zu.2 Das deutsche Parlament verabschiedete die geplante EU-Verfassung im Mai 2005 mit überwältigender Mehrheit. Alle kritischen Abgeordneten der im Parlament vertretenen Fraktionen erhielten praktisch Redeverbot. Allein ausgesuchte Verfassungsbefürworter wurden zu den wesentlichen Lesungen vor der Abstimmung zur Rede zugelassen. Nur die beiden fraktionslosen Abgeordneten der damaligen PDS konnten in jeweils dreiminütigen Beiträgen ihre Kritik an dem Vertrag zur Sprache bringen. Eine Antwort auf ihre Kritik haben sie nicht bekommen.3
Wegen des mit demokratischen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Zustandekommens und auch weil der EU-Verfassungsvertrag in weiten Teilen gegen elementare Grundsätze des Völkerrechts und des Grundgesetzes verstösst, hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler am 27. Mai 2005 Organklage und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundespräsidenten untersagt, das Zustimmungsgesetz zur EU-Verfassung zu unterzeichnen. Damit ist entgegen der öffentlichen Wahrnehmung neben Frankreich und Holland auch in Deutschland keine Zustimmung zu diesem Vertragswerk zustande gekommen.
Wie die Bürger hintergangen werden
Nach der gescheiterten Verfassung hat die Bevölkerung Europas erwartet, dass nachgebessert wird. Irrtum. Es ist «verschlimmbessert» worden. Als EU-Ratspräsidentin und Kanzlerin der stärksten Wirtschaftsmacht Europas hat Angela Merkel in einem vertraulichen Brief ihren Amtskollegen Vorschläge unterbreitet, wie der harte neoliberale und militärische Kern der abgelehnten Verfassung erhalten werden kann, ohne dass es die Bürger merken. So schlug sie für den EU-Gipfel im Juni 2007 vor, den Vertragstext nur dort zu kürzen oder zu umschreiben, wo es «absolut notwendig» sei. Zur Disposition gestellt wurden EU-Symbole wie Flagge, Hymne, die Grundrechte-Charta und alles, was nach Verfassung klingt. Statt dessen sollte der Entwurf einen bürokratisch-technischen Titel bekommen, damit Franzosen, Holländer und Briten das Werk umsetzen können, ohne erneut die Bürger zu befragen.4 Merkels Vorschläge überzeugten. Sie wurden einstimmig auf dem EU-Gipfel im Juni dieses Jahres angenommen und fanden ihren Niederschlag in den «Schlussfolgerungen des Vorsitzes», den Europäischen Rat (Brüssel) betreffend, vom 21./22. Juni 2007.
In diesen «Schlussfolgerungen» ist alles Wesentliche geregelt worden, so dass nur noch Detailfragen, wie Abstimmungsmodalitäten, zu klären waren. Als auch hierüber Einigung herrschte, unterzeichneten am 13. Dezember 2007 die Regierungsvertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten in Lissabon den EU-«Reformvertrag». Ohne öffentliche Debatte soll er noch in diesem Frühjahr im Parlament durchgepeitscht werden.
Neoliberale Ausrichtung
Die das Grundgesetz aushöhlende Vorschrift von Artikel I-6 der bisherigen EU-Verfassung, wonach die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben, wird verschleiert. Im «Reformvertrag» wird bestimmt, «dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.»
Der Gerichtshof der EU ist nicht demokratisch legitimiert. Seine Richter werden ohne parlamentarische Mitwirkung von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt. Entsprechend wird zu Lasten des Allgemeinwohls zum Vorteil der Kapitalkräftigen geurteilt. Nach dieser Rechtsprechung ist zum Beispiel die französische Regierung verurteilt worden, eine Autobahnblockade zu räumen, die aus Anlass eines Streiks der Lastkraftwagenfahrer errichtet worden war. Das Recht auf freien Warenverkehr hat Vorrang! Ein Beispiel noch zur Kapitalfreiheit. Mit Sonderaktien wollten Frankreich und Portugal die Energieversorgung der Bevölkerung in Krisensituationen sicherstellen. Der EU-Gerichtshof erachtete die Kapitalverkehrsfreiheit als das höhere Rechtsgut und verwarf die Regelung der Sonderaktien.
Das bisher formulierte Gebot eines Binnenmarktes mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb, das besonders bei den Franzosen zur Ablehnung der Verfassung führte, ist in der neuen Formulierung enthalten, das zu dem Binnenmarkt ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt.
Die vier Freiheiten des Binnenmarkts (freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) erfahren eine weitere Stärkung. Im Gegenzug wird eine Erhöhung der Mobilität der Arbeitnehmer durch Verbesserung der Begründung und des Erhalts von Zusatzrentenansprüchen angestrebt. Hinter diesem harmlos klingenden Satz verbürgt sich ein noch radikalerer Abbau von Arbeitnehmerrechten und der einst als vorbildlich geltenden gesetzlichen Sozialversicherung. Mobilität und Zusatzrentenansprüche sind die Tarnbezeichnungen für die Aufhebung des Kündigungsschutzes, der Tarifbindung, der betrieblichen Mitbestimmung, der Gewerkschaftsrechte und der Ablösung der staatlichen Sozialversicherung zugunsten einer privaten Versorgung.
Nach dem Entwurf der Europäischen Kommission mit dem wohlklingenden Namen «Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts» soll sogar die zulässige Höchstgrenze der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden auf 60 Wochenstunden erhöht werden («Rechte der Beschäftigten werden weiter abgebaut», in: junge Welt vom 5. Oktober 2007). Damit würde auch entgegen allen anderslautenden Beteuerungen die skandalöse Massenarbeitslosigkeit festgeschrieben werden. Abgerundet wird dieser Komplex mit dem neuen Recht auf unternehmerische Freiheit. Ein entsprechender Passus für die Gewerkschaften fehlt. Streiks können dadurch juristisch leichter verboten werden.
Es wird eine Wirtschafts- und Eigentumsordnung weiterentwickelt und alternativlos festgeschrieben, die schon jetzt bewirkt, dass 1% der Weltbevölkerung über 40% des Weltreichtums verfügt.
Freiheit der Wissenschaft und der Lehre wird nur noch geachtet. Frei sollen nur noch Kunst und Forschung bleiben. Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden ebenfalls nicht mehr gewährleistet, sondern nur noch geachtet. Damit werden bürgerliche Freiheiten, auf die jetzt noch ein Rechtsanspruch besteht, auf blosse Absichtserklärungen herabgestuft.
Für ein gedeihliches Zusammenleben wichtige Ziele wie Demokratie, Soziales, Ökologie, Kultur, fachübergreifende Bildung und Frieden werden als Ballast empfunden, nicht mit Inhalt gefüllt und verkommen so zu Leerformeln.
Militärische Ausrichtung
Trotz der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg mit 25 Millionen getöteten Zivilisten und der offenkundig verschlechterten Lage der jeweiligen Bevölkerung durch die jüngsten Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak wird Krieg als Mittel der Politik wieder favorisiert. Alle Mitgliedsstaaten der EU werden zur schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten verpflichtet. Darüber wacht eine ursprünglich als Rüstungsagentur bezeichnete Verteidigungsagentur. In ihr werden Entwicklung der militärischen Fähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung gebündelt. Diese Art der vielbeschworenen, aber nie so bezeichneten Handlungsfähigkeit wird für so wichtig erachtet, dass die «Verteidigungsagentur» bereits im Juli 2004 durch einfachen Ratsbeschluss errichtet wurde. Abrüstung ist nicht vorgesehen.
«Es (gemeint ist die EU) ist nicht länger bloss ein Gegenstand von Pathos und Vision, sondern Produzent von öffentlichen Gütern, an den harte Leistungserwartungen zu richten sind», so Werner Weidenfeld – Dirigent der Münchner Denkfabrik CAP der Bertelsmannstiftung [inzwischen zurückgetreten] und ehemaliger Berater Helmut Kohls – in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Einführung zur Verfassung der Europäischen Union.
Schrankenlose Jagd des Kapitals nach grösstmöglicher Rendite verlangt die Absicherung durch schrankenloses Militär. Parlamente mit ihren umständlichen Prozeduren stehen dem im Wege. Mit dem «Reformvertrag» wird das anders. Alle Bereiche der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) bis hin zur gemeinsamen «Verteidigung» werden in die Zuständigkeit der Union überführt. Der Europäische Rat bestimmt die strategischen Interessen und Ziele. Das EU-Parlament darf in Fragen der GASP weder entscheiden noch eine Kontrollfunktion ausüben. Es dient lediglich der Erzeugung einer Scheinlegitimation. Schon der Name EU-Parlament ist irreführend, weil es über keine Gesetzesinitiative verfügt und über Budgetfragen nicht entscheiden kann. Das Parlament als Vertretung des Volkes als oberste Staatsgewalt wird so zu einer Versammlung europäischer Diätenempfänger degradiert.
Im Orwellschen Sprachgebrauch werden Militäreinsätze als gemeinsame Abrüstungsmassnahmen, humanitäre Rettungseinsätze, Aufgaben der Konfliktverhütung sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten genannt.
Bevor ein Land mit Krieg zwecks Abrüstung überzogen wird, muss es vorher tüchtig aufgerüstet werden. Laut junger Welt vom 19. Dezember 2007 ist die Bundesrepublik mit Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 7,7 Milliarden Euro zum grössten Waffenhändler Europas aufgestiegen. Einer der Hauptabnehmer ist Südafrika.
Propaganda statt Information
Die für eine Demokratie konstitutiven Informationen werden den Bürgern vorenthalten.
Statt dessen werden sie mit PR-Propaganda überschüttet. Das ist der EU immerhin mehr als 180 Millionen Euro jährlich wert («Frankfurter Rundschau» vom 20. Juli 2005). Es ginge auch anders. Im Jahr 2000 wandten sich die Vertreter der Inter Citizens Conferences und des Food First Informations- und Aktionsnetzwerkes mit der Forderung an die Öffentlichkeit, dass es nötig sei, die Bürgerinnen und Bürger am Reformprozess teilhaben zu lassen (zu dieser Zeit tagte nämlich die damalige Regierungskonferenz wieder einmal hinter verschlossenen Türen. Thema: Ost-Erweiterung der EU). Deshalb müssten die anstehenden Debatten zumindest durch eine aktive Presse- und Informationsarbeit, einschliesslich Fernseh- und Rundfunkübertragung, bekanntgemacht werden.
Thematisiert wurde auch die Diskrepanz, dass in der EU etwa 69 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben und Europa immer reicher wird. Die Frage wurde aufgeworfen, wie das Recht auf unternehmerische Freiheit mit dem in der Präambel der Grundrechtecharta verankerten Prinzip der Solidarität in Einklang zu bringen ist. (Mehr als nur Markt, Macht und Monopole Dokumentation von Thomas Fiedler und Ute Hausmann in: «Frankfurter Rundschau» vom 1. Dezember 2000). Statt den berechtigten Forderungen und Anregungen der Nichtregierungsorganisationen zu entsprechen, die in einem Verbindungsbüro in Brüssel immerhin mehr als 1000 Bürgerinitiativen und Menschenrechtsorganisationen vertraten, hat laut «Freitag» vom 16. Februar 2001 (Heimo Claasen: Der Schuss ins eigene Knie) die EU-Kommission unter fadenscheinigen Gründen die ohnehin zu geringen jährlichen Zuwendungen in Höhe von 1,5 Millionen zurückbehalten, so dass das Brüsseler Verbindungsbüro der zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgegeben werden musste.
Wiedereinführung der Todesstrafemit Verfassungsrang
Für den Fall, dass die Bürger merken, wie sie hinters Licht geführt werden, und es wegen schreiender Ungerechtigkeiten zu Aufständen kommt, kann sogar das elementare Recht auf Leben aufgehoben werden. Bei Kriegsgefahr oder in Kriegszeiten kann durch einfachen Ratsbeschluss ohne Beteiligung des Parlaments die Todesstrafe wiedereingeführt werden (Protokoll zu der Grundrechtscharta, mit gleichem Rang). Weil so ein Beschluss ein europäischer Rechtsakt sein wird, geht er Artikel 102 des Grundgesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe vor. Das heisst, die Todesstrafe ist wieder möglich. Die Einschränkung des Rechts auf Leben würde die bisherige Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs bei sozialen Protesten, wie beim G-8-Gipfel, beseitigen. Gegen die Gipfeldemonstranten waren 2450 Soldaten eingesetzt. Darunter befanden sich 641 zum Teil mit G36-Sturmgewehren ausgerüstete Feldjäger und mit Pistolen bewaffnete Kommandanten von Spürpanzern.
Aushöhlung des Völkerrechts durch die EU
Die ganze Tragweite des hinter verschlossenen Türen zustande gekommenen EU-Vertragswerks erschliesst sich bei der Gegenüberstellung mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz.
Das Völkerrecht ist auf Dialog und Partnerschaft ausgelegt. Es soll die internationale Zusammenarbeit fördern und den Weltfrieden sichern. Nach deren Charta werden Krieg und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten geächtet.
Das Grundgesetz gestattet nur die militärische Landesverteidigung und hebt auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ab.
Das geplante EU-Recht hingegen setzt anstelle von Partnerschaft den Verdrängungswettbewerb, missachtet das Gemeinwohl und instrumentalisiert die Menschenrechte als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.
Obwohl in den Mitgliedstaaten der EU unter dem Vorwand, dem Recht auf Sicherheit zum Durchbruch zu verhelfen, demokratische Strukturen nach und nach abgebaut werden, schickt sich die EU an, Demokratie in ausgewählten Ländern ausserhalb der EU aufzubauen. Dazu hat in aller Heimlichkeit ohne Mitwirkung der nationalen Parlamente der Rat mit dem europäischen Parlament mit Wirkung vom 29.Dezember 2006 eine Verordnung erlassen für die weltweite Förderung der Demokratie und Menschenrechte.
Der EU-Haushaltsansatz für diesen Zweck für die Haushaltsperiode von 2007 bis 2013 beträgt 1,104 Milliarden Euro, so dass pro Jahr annähernd 160Millionen Euro verausgabt werden können (junge Welt vom 6.Juli 2007). Das ist das Doppelte von dem, was der amerikanischen Konkurrenzorganisation, der Nationalen Agentur für Demokratie, zur Verfügung steht. Ins Fadenkreuz des EU-Menschenrechtsinstruments geraten demokratisch gewählte Regierungen, die ihrer Bevölkerung keine «Marktwirtschaft mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb» zumuten, sich nicht erpressen oder bestechen lassen und über reiche Rohstoffvorkommen verfügen oder strategisch wichtig sind, wie zum Beispiel Venezuela und die Ukraine.
Laut junger Welt vom 11.Februar 2005 (jW-Bericht: Umsturzpläne für Minsk) verlangte der einflussreichste deutsche Think tank, die Bertelsmann-Stiftung, bereits 2004, dass die EU auf die kommenden Präsidentschaftswahlen in der Republik Belarus direkten Einfluss nehmen und dabei bisher nicht erlaubte Finanzierungsmethoden anwenden soll. So sollten europäische Politiker vor den Präsidentschaftswahlen nach Belarus gebracht und politische Parteien mit technischer Ausrüstung, wahlkampfbezogenen Materialien und Reisekosten unterstützt werden. Um die gültigen EU-Regularien (TACIS) zu umgehen, ist die Gründung eines EU-Fonds vorgeschlagen worden, der ausserhalb der strengen Richtlinien für die üblichen Auslandsprogramme anzusiedeln ist. Klappt der finanziell geförderte Regimewechsel nicht, bleibt die Möglichkeit der militärischen Menschenrechtsintervention. So lobte Dr.Gerhard Sabathil, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, auf der EU-Werbeveranstaltung am 7.Februar 2007 in der Urania in Berlin die Jugoslawien-Mission als ein dem Völkerrecht entsprechendes erfolgreiches Modell, das auch auf andere Länder anwendbar sei.
In den «Schlussfolgerungen des Vorsitzes» des Europäischen Rates in Brüssel vom 21./22.Juni 2007 liest sich das so: «Der Europäische Rat bekräftigt die Zusage, die Afrikanische Union weiterhin zu unterstützen, um unter anderem die Fähigkeit der Afrikanischen Union zur Bewältigung, Lösung und Prävention von Konflikten zu stärken.»
Zur Erinnerung: Im bereits im 1996 erschienenen Buch «Von Mussolini bis Fini» des Elefanten Press Verlages findet sich der Hinweis auf makro-regionale Pläne der EU zur Neuaufteilung zum Beispiel des europäischen Raumes: «Eines dieser Projekte ist die Alpen-Adria-Gemeinschaft, zu der 18 Regionen der mittelöstlichen Alpen und der nördlichen Adria (aus Italien, der BRD, Österreich und der Schweiz, aber auch aus Ex-Jugoslawien – vor allem Slowenien und Kroatien – sowie ungarische Gebiete) mit insgesamt knapp 40 Millionen Einwohnern gezählt werden.» (S. 165).
Der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic weigerte sich jedoch standhaft, die noch vorhandene sozialistische Wirtschaft völlig zugunsten einer «Marktwirtschaft» aufzugeben. Die Stunde der Militärs war gekommen. Als erstes wurden PKW- und Lastwagenfabriken und andere wichtige sozialistische Produktionsstätten bombardiert. Fabriken westlicher Kapitalbesitzer blieben verschont. Im Buch des Nomos Verlages «Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod» befindet sich unter dem Datum 8. September 1999 folgende Eintragung: «134.
‹Politischer Salon› der Hunzinger Information AG mit Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping MdB als Ehrengast und mit 60 Top-Managern aus der Wirtschaft, darunter der designierte Oberbefehlshaber der Kfor Kosovo-Forces, General Dr. Dr. Klaus Reinhardt. Teilnehmer u. a. Herbert M. Rudolph, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messer GmbH, der sich beim Minister, dem General und Hunzinger dafür bedankte, dass seine Belgrader Niederlassung vom Nato-Bombardement ausgespart blieb.» (S. 121).
So entlarvt sich die von der EU herbeigesehnte grössere Handlungsfähigkeit als militärische Interventionsfähigkeit im Dienste der Öffnung von Gesellschaften und Märkten für den Zugriff kapitalorientierter Kräfte.
In dieses Szenario passt der Film «Als der Wind den Sand berührte», der am Sonntag, 8. Juli 2007, im Berliner Zoopalast aufgeführt wurde. Zu der kostenlosen Filmvorführung waren von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die in ihr organisierten Berliner Lehrerinnen und Lehrer eingeladen. Der Film handelt durchgängig von schwersten Menschenrechtsverletzungen in der afrikanischen Bevölkerung. Hilfe kommt jetzt von der EU. Nach Aussage von Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Partei Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, dient die am 25. Januar 2008 beschlossene EU-Militärmission der politischen und militärischen Absicherung der nicht gerade demokratischen Regierungen im uran- und ölreichen Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik und stellt die Fortsetzung der postkolonialen Politik Frankreichs unter EU- Flagge dar (junge Welt vom 29. Januar 2008 unter der Rubrik «Abgeschrieben»).
Als Herr über Krieg und Frieden war ein EU-Aussenminister vorgesehen, jetzt heisst er – bei gleicher Funktion – «Hoher Repräsentant der Union für Aussen- und Sicherheitspolitik». Nationale Parlamente und das Europäische Parlament sollen nur noch über die wichtigsten Entscheidungen unterrichtet werden. Der für demokratische Verhältnisse unabdingbare Grundsatz der Gewaltenteilung wird abgeschafft. Der Rechtsphilosoph und Professor für Öffentliches Recht, Dr. Erhard Denninger, resümiert in der «Frankfurter Rundschau» vom 20. Juni 2005 die «seit dem Ende des Dreissigjährigen Kriegs (1648) geltende Friedensordnung, die sich über das Recht definierte, gelte nicht mehr». Nunmehr etabliere sich eine «Weltgewaltordnung» (Der Titel des Artikels lautet: «Recht, Gewalt und Moral» von Erhard Denninger).
Abschliessend möchte ich noch auf den Artikel in der jungen Welt vom 28. April 2005 «Weltmachtpolitik auf dem eurasischen Schachbrett» aufmerksam machen. Danach mussten alle ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten, die inzwischen der EU angehören, erst Nato-Mitglieder werden, ehe sie die Chance erhielten, in die EU aufgenommen zu werden.
Scheinlegitimation für Polizei- und Militärstaat
Begründet werden Polizeistaat und dramatische Aufrüstung mit dem Zauberwort «Internationaler Terrorismus». Nach der Auflösung des Warschauer Paktes und des Zusammenbruchs des sozialistischen Staatensystems befand sich die Nato in einer tiefen Legitimationskrise. Das Feindbild war abhanden gekommen. Ein neues musste geschaffen werden. Wie wär’s mit Terrorismus Schliesslich verfügen die staatlichen Geheimdienste über jahrzehntelange Erfahrungen auf diesem Gebiet (siehe Andreas von Bülow, in: «Im Namen des Staates – CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste»).
So liess der erste Terroranschlag nicht lange auf sich warten. 1993 erfolgte der erste Anschlag auf das World-Trade-Center. Eine Bombe explodierte und riss sechs Menschen in den Tod, mehr als tausend wurden verletzt. Hierzu Andreas von Bülow im «Tagesspiegel» vom 13. Januar 2002: «Da stand im Mittelpunkt als Bombenbastler ein ehemaliger ägyptischer Offizier. Er hatte sich für den Anschlag einige Muslime zusammengeholt. Diese waren trotz Einreiseverboten des State Department von der CIA ins Land gelotst worden. Gleichzeitig war der Chef der Bande Informant des FBI. Und er vereinbarte mit den Behörden: Im letzten Moment werde das gefährliche Sprengmaterial durch ein harmloses Pulver ersetzt. Das FBI hielt sich nicht daran. Die Bombe ist sozusagen mit Wissen des FBI hochgegangen. Die offizielle Tatversion war rasch gefunden: Täter waren böse Muslime.»
Damit nicht unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung noch mehr Unheil angerichtet wird, hat der frühere italienische Staatspräsident Francesco Cossiga in der Online-Ausgabe der angesehenen Tageszeitung «Corriere Della Sera» vom 30. November 2007 die «Angriffe» vom 11. September 2001 als ein von amerikanischen und nahöstlichen Geheimdiensten inszeniertes Attentat bezeichnet, was den anderen Geheimdiensten der Welt allgemein bekannt gewesen sei (Schweizer Wochenzeitung Zeit-Fragen Nr. 49 vom 10. Dezember 2007, «Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga: 9/11 war eine ‹false flag operation› westlicher Geheimdienste»). Der Ex-Präsident weiss, wovon er spricht. Schliesslich war er laut Freitag vom 21. Dezember 2007 («Italiens Ex-Präsident attackiert CIA und Mossad») der einstige Kontaktmann von Gladio, einer Geheimorganisation von CIA und Nato, die für spektakuläre Sprengstoffanschläge in Italien verantwortlich war.
Bemerkenswert ist auch, dass bei den Attentaten in New York, London und Madrid jedesmal eine zur Aufklärung notwendige unabhängige Untersuchungskommission mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die nationalen Sicherheitsinteressen gefährdet würden. Laut junge Welt vom 3. Januar 2008 («Washington nervös») hat kürzlich der frühere Leiter der von der amerikanischen Regierung eingesetzten Untersuchungskommission zugegeben, dass die Aufklärung zu den Anschlägen vom 11. September vom US-Auslandsgeheimdienst CIA systematisch blockiert wurde.
Seminare über den internationalen Terrorismus und die neue Sicherheitsphilosophie sind in Deutschland kostenlos. An Schulen für Erwachsenenbildung sind Dozentenstellen für Sicherheitspolitik neu eingerichtet worden. Im Seminar-Programm 2006 des Europäischen Bildungs- und Tagungshauses Bad Bevensen heisst es zum Beispiel: «Die Öffentliche Hand verringert trotz der Aufforderung nach lebenslangem Lernen weiter die finanzielle Unterstützung für die freie Erwachsenenbildung. Im gleichen Masse sind unabhängige Einrichtungen wie das Gustav Stresemann Institut in Niedersachsen e. V. gefordert, mit Partnern zu kooperieren und Gastgruppen für Tagungen in unserem Haus zu gewinnen.» Als Kooperationspartner werden unter anderem genannt: Bundeswehr-Panzertruppenschule und Akademie Führung & Kompetenz am Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München (CAP).
Ein- und Ausblick
Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungskonvents, Giuliano Amato, erklärte nach der auf dem Brüsseler Gipfel im Juni 2007 erfolgten Verabschiedung der «Schlussfolgerungen», dass die Regierungschefs sich auf einen schwer lesbaren Text verständigt hätten, damit die Kernreformen nicht auf Anhieb erkennbar seien und sich die Forderungen nach Referenden in den Mitgliedsstaaten vermeiden liessen (Europa-Abgeordnete Sahra Wagenknecht: «Ein neuer Umschlag», in: marx 21 – Magazin für internationalen Sozialismus – Nr. 2, September 2007).
Damit diese Rechnung nicht aufgeht, ist es nach wie vor geboten, Widerstand gegen den Reformvertrag zu leisten und für ein friedliches, gerechtes, soziales und umweltschonendes Europa einzutreten. •
1 Oliver Eberl: Notaktion Tankstelle. Der Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung treibt groteske Blüten, in: Frankfurter Rundschau, 16.2.2005
2 Peter Bachmaier: Von der zweiten zur dritten Welt. Bulgariens Weg vom Staatssozialismus zum Neoliberalismus 1989–2007, in: Zeit-Fragen Nr. 29, 24.7.2007
3 Karl Albrecht Schachtschneider, Organklage
S. 9–14, unter: www.KASchachtschneider.de
4 Merkels Weg zur Verfassung, in: Spiegel Nr. 17, 23.4.2007
Tobias Pflüger - 2008/04/14 15:20
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