Neuanfang in Brüssel?

Die Linke entscheidet auf ihrem Nominierungsparteitag in Essen über ihre Kandidaten zu den Europawahlen und die Selbstachtung der Partei
Von Maren Schneider

Am nächsten Wochenende wird in Essen die Partei Die Linke über ihre Kandidaten für die Europawahlen im Juni entscheiden. Zugleich wird das Wahlprogramm beschlossen. Seit 1999 hat die Partei eine eigene Delegation in Brüssel, anfangs waren es sechs, ab 2004 sieben Abgeordnete. Glaubt man den Umfragewerten, so könnten es diesmal deutlich mehr werden. Die Rede ist von zwölf oder gar mehr Sitzen.

Angesichts solch rosiger Aussichten verwundert es nicht, daß sich viele nach den lukrativen Parlamentssesseln strecken. Dutzende mehr oder weniger Berufene haben sich bereits gemeldet. Die Parteioberen versuchen, das sich anbahnende Hauen und Stechen in Grenzen zu halten. Im Januar traf der Bundesausschuß eine Vorauswahl (siehe unten). Vieles war dabei zu berücksichtigen: die Geschlechterquotierung, das Verhältnis der beiden Quellparteien, die starken Landesverbände, die großen Arbeitsgemeinschaften und nicht zuletzt die verschiedenen Strömungen. Und doch ist für Essen erbitterter Kampf um aussichtsreiche Plätze angesagt. So wird der nicht gesetzte Tobias Pflüger antreten. Der ganz große Show-down wird aber bei den angekündigten Kandidaturen der nicht wieder aufgestellten Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie erwartet.

Mit deren Nichtberücksichtigung will es die Parteispitze diesmal besser machen als 2004. Die damals nominierte Truppe erwies sich nämlich als eine, die sich das Etikett »Pleiten, Pech und Pannen« über die Jahre redlich verdiente. So gab es von Beginn an faktisch zwei Delegationen. Eine Mehrheitsgruppe, bestehend aus André Brie, Helmuth Markov, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Feleknas Uca und Gabi Zimmer. Sie bestimmte über Geld, Personal und Öffentlichkeitsarbeit, sie verteilte die Posten in Fraktion und Partei. Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger blieben außen vor. Merkwürdig nur, daß ausgerechnet diese beiden aufgrund ihrer Arbeit in den fünf Jahren bekannter und geachteter wurden als alle anderen zusammen.

Der Ärger mit der Truppe begann bereits einen Tag nach der Wahl. Am 14. Juni 2004 erklärte Sylvia-Yvonne Kaufmann unter der Überschrift »Die Haltung zu Europa ist für die sozialistische Linke eine strategische Frage«, daß »sich die Partei nun entscheiden (müsse), ob sie die im Verfassungsvertrag enthaltenen deutlichen Fortschritte in Richtung von mehr Demokratie, gestärkten Bürgerrechten sowie in sozialer Hinsicht unterstützt oder sich in der Tradition der KPD bewegt, die das Grundgesetz ablehnte und sich damit ins gesellschaftliche Aus katapultierte«. Die Partei hatte sich aber längst entschieden. Im Wahlprogramm stand die klare Ablehnung des Verfassungsvertrages, des heutigen Lissabonner Vertrages. Damit hatte man erfolgreich Wahlkampf gemacht. Die Kaufmann-Erklärung war daher ein glatter Wählerbetrug. Noch auf dem Nominierungsparteitag hatte sie über den Verfassungsvertrag gesagt: »Aber Parteien müssen Debatten auch abschließen und eine klare Position formulieren. Wir haben uns entschieden, Nein zum vorliegenden Entwurf zu sagen, weil wir Aufrüstung entschieden bekämpfen und weil wir neoliberale Wirtschaftspolitik nicht tolerieren. Zugleich fordern wir einen Volksentscheid über die Verfassung.« (Disput, 22/04)

Die Europaabgeordnete Kaufmann gefällt sich seitdem in der Rolle der einsamen Kämpferin für den Vertrag und gegen die eigene Partei. Ihr stehen dabei die Türen der erlauchten, »proeuropäischen« Kreise weit offen. Und die großen Medien tätscheln sie, denn bei ihr ist darauf Verlaß, daß sie die Linke beschimpft. So erklärte sie in der taz vom 21.6.2007: »Ich hätte mir gewünscht, daß es eine ganz klare politische Trennlinie zu nationalistischen und antieuropäischen Kräften seitens der Linken gegeben hätte. Diese Trennlinie haben leider viele nicht gezogen.« Am 3. Februar 2009 erhielt sie nun aus der Hand des Präsidenten des Europaparlaments, dem CDU-Abgeordneten Hans-Gert Pöttering, den Bundesverdienstorden. Begründet wurde die für Mitglieder der Linkspartei wohl einzigartige Ehrung»mit dem »langjährigen Engagement für ein friedliches soziales und demokratisches Europa«. Ein Schuft, der Böses dabei denkt!

Unvergessen ist die von der Europadelegation ausgelöste Kuba-Krise der Partei im Frühjahr 2006. Drei ihrer Mitglieder, André Brie, Helmuth Markov und Gabi Zimmer, hatten einer Resolution des Europäischen Parlaments zugestimmt, in der u. a. »die Mitgliedstaaten nachdrücklich aufgefordert wurden, auf die kubanische Regierung entschiedenen Druck dahingehend auszuüben, die Verteidigung der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte zu fördern«. Unterstrichen wurde das Ziel des Parlaments, das »Übergangsverfahren zu einer pluralistischen Demokratie« zu begünstigen. Der Text der Resolution beruhte auf einem kaum veränderten Entwurf des spanischen konservativen Europaabgeordneten José Ignacio Salafranca, ein Mann mit besten Kontakten zur Rechten Südamerikas. Sylvia-Yvonne Kaufmann und Feleknas Uca enthielten sich, solidarisierten sich aber wenig später mit den drei Unterstützern. Sahra Wagenknecht stimmte dagegen, Tobias Pflüger nahm an der Abstimmung nicht teil.

Die Partei war geschockt. Wochenlang hagelte es Resolutionen und empörte Aufrufe. Zu Hunderten gingen beim Neuen Deutschland und bei der jungen Welt Leserbriefe ein. Die kubanische Regierung verschob die Reise einer Delegation der Partei. Zur Eindämmung des Schadens erklärte der Parteivorstand schließlich einstimmig: »Die Zustimmung zur Resolution entspricht nicht der Position der Linkspartei.PDS.« Doch darauf hatten die kommerziellen Medien und die anderen Parteien nur gewartet. Umgehend schlug man sich auf die Seite der tapferen Abweichler, die von »den alten stalinistischen Betonköpfen«, so der CDU-Abgeordnete Peter Weiß am 16.3.2006 im Deutschen Bundestag, drangsaliert würden. FDP und Grüne stellten im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus Anträge, in denen die EP-Resolution ausdrücklich begrüßt wurde. Man machte sich einen Spaß daraus, die Partei gegen die Mehrheit ihrer Europaabgeordneten auszuspielen.

André Brie, der große Vor- und Querdenker, als Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Europaparlaments über Entstehung und Inhalt der Kuba-Resolution bestens unterrichtet, stellte sich begriffsstutzig. Als habe er noch nie etwas von der Instrumentalisierung der Menschenrechte im Kampf gegen die Linke gehört, berief er sich ohne jede Analyse der konkreten Situation auf ihre »universelle Geltung«. Zugleich vergaß er nicht, gezielt, in der von ihm gewohnten Manier, die eigene Partei zu treten: »Die Erklärung des Parteivorstandes ist unfaßbar und abenteuerlich.« Und zu der darin enthaltenen Verteidigung Kubas fiel ihm lediglich ein: »Das ist rückwärtsgewandte Politik. Wenn diese Linie sich fortsetzt, sind wir auf dem Rückweg in die DDR.« (Spiegel online, 1.3.2006) Auch die Haltung der Partei gegenüber Bundeswehreinsätzen in Afghanistan und im Kosovo griff er an: »Ohne Militär und Polizei aus dem Ausland würden dort Blutbäder drohen.« (taz vom 3.3.2006).

Der anstehende Nominierungsparteitag wird nicht alleine darüber entscheiden, ob es einen Neuanfang bei der Linken in Brüssel geben wird. Es geht um die Selbstachtung einer Partei. Nominiert sie wieder Abgeordnete, von denen sie jetzt schon weiß, daß die dort systematisch das Gegenteil von dem vertreten, wofür die Partei steht, so zeigt sie allen, daß sie sich selbst nicht ernst nimmt. Eine solche Partei kann daher auch der Wähler nicht ernst nehmen. Er hätte keinen Grund, sie zu wählen.
Vorschlag für die Bundesliste zur Europawahl 2009
Vorschlag des Bundesausschusses Die Linke für die ersten 16 Plätze der Bundesliste zur Europawahl. Sie werden der Bundesvertreterversammlung unterbreitetet, die am 28. Februar und 1. März in Essen über die Bundesliste der Partei Die Linke zur Europawahl 2009 abstimmt:

1. Lothar Bisky
2. Sabine Wils (Hamburg)
3. Gabriele Zimmer (Thüringen)
4. Thomas Händel (Bayern)
5. Cornelia Ernst (Sachsen)
6. Jürgen Klute (Nordrhein-Westfalen)
7. Sabine Lösing (Niedersachsen)
8. Helmut Scholz (Brandenburg)
9. Martina Michels (Berlin)
10. Wilfried Telkämper (Baden-Württemberg)
11. Sidar Demirdögen (Hessen)
12. Sascha Wagener (Sachsen)
13. Teresa Maria Thiel (Berlin)
14. Dominic Heilig (Berlin)
15. Ulrike Voltmer (Saarland)
16. Bernd Schneider (Niedersachsen)

Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/5535475/modTrackback

logo
tobias pflueger DieLinke_RGB


Startseite
Über mich
Kontakt

Suche

 

RSS-Feed: Informationsstelle Militarisierung

Kundgebung gegen Preisverleihung an Prof. Klaus Gestwa
Mittwoch, 15.5.2024, 16:30, Pfleghofstraße Ausgerechnet...
IMI - 2024/05/14 16:11
Aufrüstung unter dem Stern desSchengen-Beitritts
————————————–...
IMI - 2024/05/02 16:01
Aufrüstung und Grenzgewalt unter dem Stern des bulgarischen Schengen-Beitritts
Die türkisch-bulgarische Grenze gilt unter Nichtregierungsorganisatio nen...
IMI - 2024/05/02 13:57
Klaus Gestwa: Kein Wissenschaftspreis für Kriegspropaganda!
— Einer der vehementesten Fürsprecher für Waffenlieferungen...
IMI - 2024/04/30 11:07
Warnung vor einer Senkung der Hemmschwelle durch den Einsatz...
Expert:innen im Bereich unbemenschter Systeme fordern,...
IMI - 2024/04/29 09:55

Archiv

Status

Online seit 7187 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2013/01/26 00:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.