Drei Gesichter aus dem Kreis für Europa
Artikel in: Schwäbisches Tagblatt, 02.06.2009
Von Renate Angstmann-Koch
Die bevorstehende Abstimmung über das EU-Parlament spielte bisher im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle.
Wie hoch war die Beteiligung an der Europawahl? Das wird zu den ersten Fragen gehören, wenn am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale schließen.
Tübingen. 40,6 Prozent. Auf dieses Tief stürzte die Beteiligung an der Europawahl 1999 landesweit ab. Im Kreis Tübingen lag sie kaum höher. Vor fünf Jahren, als dann EU-Parlament und Kommunalvertretungen am selben Tag gewählt wurden, stieg das Interesse der Wähler auf 56,7 Prozent.
Zwar dürfte also die Beteiligung an der Europawahl am Sonntag von den gleichzeitigen Wahlen des Kreistags und der Gemeinde- und Ortschaftsräte profitieren. Doch der Europawahlkampf geriet wohl gerade wegen der Kommunalwahlen zuletzt ins Hintertreffen. Die Parteien waren weitgehend damit ausgelastet, ihre Kreistags- und Ratskandidaten bekannt zu machen.
Von den 99 deutschen EU-Abgeordneten kommen elf aus Baden-Württemberg. Unter ihnen ist der 44-jährige Tübinger Tobias Pflüger. Der Friedens- und Anti-AKW-Aktivist hatte 2004 als Parteiloser auf Platz vier der PDS-Liste kandidiert. Jetzt hofft er, mit Listenplatz zehn der Partei „Die Linke“, der er auch angehört, erneut einen Sitz im Europäischen Parlament zu erreichen.
Die anderen Tübinger Kandidaten treten vor allem an, um ihre Ideen bekannt zu machen: Max-Richard Freiherr von Rassler steht auf Rang 53 der FDP-Liste, Thomas Maurer kandidiert mit weiteren Tübinger Freunden und Familienangehörigen für die Wählergemeinschaft „Für Volksentscheide“. Maurer hatte schon 2004 kandidiert, seine Liste bekam damals im Landkreis 0,42 Prozent. Wir befragten die drei Tübinger Kandidaten zu zentralen Themen der Europapolitik. Hier die Fragen und Antworten im Wortlaut.
Neuer Vertrag nötig. - Tobias Pflüger, DIE LINKE
Tobias Pflüger, 44, hat Politikwissenschaft und EKW studiert. Er war Initiator der Informationsstelle Militarisierung (IMI), wurde 2004 ins Europäische Parlament gewählt und kandidiert für die Linke.
1. Was halten Sie vom Lissabon-Vertrag?
Der Lissabonvertrag schreibt neoliberale Politik fest. Er würde „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten Ländern“ verbieten: Eine Regelung, die der bisherigen wirtschaftsliberalen EU-Politik mit totaler Binnenmarkt-Orientierung entspricht. Dies ist aber angesichts der Finanzkrise nicht zeitgemäß. Die EU solle zur Vitalität der NATO beitragen, schafft mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ ein militärisches Kerneuropa. Erstmal könnte dann der EU-Haushalt für Militärisches genutzt werden. Die Battle Groups und die Rüstungsagentur würden primärrechtlich verankert. Der Lissabonvertrag ist inhaltlich falsch, deshalb ist Die Linke gegen ihn. Wir fordern einen neuen Vertrag für eine neue Zeit!
2. Soll die Türkei in die EU aufgenommen werden?
Der Grundsatzbeschluss dazu ist gefallen, seit Jahren werden Beitrittsverhandlungen geführt. Wer also heute fordert, die Verhandlungen abzubrechen oder mit dem Ziel zu führen, dass es keinen Beitritt gibt, handelt unredlich. Die Linke ist im Grundsatz für den Beitritt. Allerdings machen sowohl die EU als auch die Türkei erhebliche Fehler. So schaut die EU neben den Menschenrechten (was richtig ist – es ist zum Beispiel inakzeptabel, dass die Armee nicht demokratisch kontrolliert wird) vor allem auf wirtschaftliche Angleichung. Das kann in der Türkei und der EU einen Schub nach unten in den sozialen Standards bedeuten.
3. Was verbinden Sie persönlich mit der EU, was ist der Grund für ihre Kandidatur?
Seit 2004 habe ich im Europaparlament mit den Schwerpunkten Außen- und Friedenspolitik gearbeitet. Die Veränderung der EU zu einer Militärunion geht „mit Lichtgeschwindigkeit“ (Javier Solana) voran. Die EU will ihre Kapazitäten für Militärmissionen ausbauen. Zugleich werden Rüstungsindustrie ausgebaut und Rüstungsexporte forciert, vor allem zwischen Mitgliedsstaaten. Den Bericht dazu hat die baden-württembergische Grünen-Europaabgeordnete verfasst. Ich will hier Gegenakzente setzen. EU und Mitgliedstaaten betreiben eine unmenschliche Politik gegen Flüchtlinge, zum Beispiel mit der Abschieberichtlinie und der Agentur „Frontex“. Diese Politik will ich weiterhin kritisieren. Für die meiner Ansicht nach falsche Politik in der EU, vor allem Sozial- und Friedenspolitik, haben in vielen Fällen Konservative und Sozialdemokraten gemeinsam gestimmt. Mit der Wahl der Linken setzen Sie ein Zeichen für mehr Soziales und mehr Frieden.
Von Renate Angstmann-Koch
Die bevorstehende Abstimmung über das EU-Parlament spielte bisher im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle.
Wie hoch war die Beteiligung an der Europawahl? Das wird zu den ersten Fragen gehören, wenn am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale schließen.
Tübingen. 40,6 Prozent. Auf dieses Tief stürzte die Beteiligung an der Europawahl 1999 landesweit ab. Im Kreis Tübingen lag sie kaum höher. Vor fünf Jahren, als dann EU-Parlament und Kommunalvertretungen am selben Tag gewählt wurden, stieg das Interesse der Wähler auf 56,7 Prozent.
Zwar dürfte also die Beteiligung an der Europawahl am Sonntag von den gleichzeitigen Wahlen des Kreistags und der Gemeinde- und Ortschaftsräte profitieren. Doch der Europawahlkampf geriet wohl gerade wegen der Kommunalwahlen zuletzt ins Hintertreffen. Die Parteien waren weitgehend damit ausgelastet, ihre Kreistags- und Ratskandidaten bekannt zu machen.
Von den 99 deutschen EU-Abgeordneten kommen elf aus Baden-Württemberg. Unter ihnen ist der 44-jährige Tübinger Tobias Pflüger. Der Friedens- und Anti-AKW-Aktivist hatte 2004 als Parteiloser auf Platz vier der PDS-Liste kandidiert. Jetzt hofft er, mit Listenplatz zehn der Partei „Die Linke“, der er auch angehört, erneut einen Sitz im Europäischen Parlament zu erreichen.
Die anderen Tübinger Kandidaten treten vor allem an, um ihre Ideen bekannt zu machen: Max-Richard Freiherr von Rassler steht auf Rang 53 der FDP-Liste, Thomas Maurer kandidiert mit weiteren Tübinger Freunden und Familienangehörigen für die Wählergemeinschaft „Für Volksentscheide“. Maurer hatte schon 2004 kandidiert, seine Liste bekam damals im Landkreis 0,42 Prozent. Wir befragten die drei Tübinger Kandidaten zu zentralen Themen der Europapolitik. Hier die Fragen und Antworten im Wortlaut.
Neuer Vertrag nötig. - Tobias Pflüger, DIE LINKE
Tobias Pflüger, 44, hat Politikwissenschaft und EKW studiert. Er war Initiator der Informationsstelle Militarisierung (IMI), wurde 2004 ins Europäische Parlament gewählt und kandidiert für die Linke.
1. Was halten Sie vom Lissabon-Vertrag?
Der Lissabonvertrag schreibt neoliberale Politik fest. Er würde „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten Ländern“ verbieten: Eine Regelung, die der bisherigen wirtschaftsliberalen EU-Politik mit totaler Binnenmarkt-Orientierung entspricht. Dies ist aber angesichts der Finanzkrise nicht zeitgemäß. Die EU solle zur Vitalität der NATO beitragen, schafft mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ ein militärisches Kerneuropa. Erstmal könnte dann der EU-Haushalt für Militärisches genutzt werden. Die Battle Groups und die Rüstungsagentur würden primärrechtlich verankert. Der Lissabonvertrag ist inhaltlich falsch, deshalb ist Die Linke gegen ihn. Wir fordern einen neuen Vertrag für eine neue Zeit!
2. Soll die Türkei in die EU aufgenommen werden?
Der Grundsatzbeschluss dazu ist gefallen, seit Jahren werden Beitrittsverhandlungen geführt. Wer also heute fordert, die Verhandlungen abzubrechen oder mit dem Ziel zu führen, dass es keinen Beitritt gibt, handelt unredlich. Die Linke ist im Grundsatz für den Beitritt. Allerdings machen sowohl die EU als auch die Türkei erhebliche Fehler. So schaut die EU neben den Menschenrechten (was richtig ist – es ist zum Beispiel inakzeptabel, dass die Armee nicht demokratisch kontrolliert wird) vor allem auf wirtschaftliche Angleichung. Das kann in der Türkei und der EU einen Schub nach unten in den sozialen Standards bedeuten.
3. Was verbinden Sie persönlich mit der EU, was ist der Grund für ihre Kandidatur?
Seit 2004 habe ich im Europaparlament mit den Schwerpunkten Außen- und Friedenspolitik gearbeitet. Die Veränderung der EU zu einer Militärunion geht „mit Lichtgeschwindigkeit“ (Javier Solana) voran. Die EU will ihre Kapazitäten für Militärmissionen ausbauen. Zugleich werden Rüstungsindustrie ausgebaut und Rüstungsexporte forciert, vor allem zwischen Mitgliedsstaaten. Den Bericht dazu hat die baden-württembergische Grünen-Europaabgeordnete verfasst. Ich will hier Gegenakzente setzen. EU und Mitgliedstaaten betreiben eine unmenschliche Politik gegen Flüchtlinge, zum Beispiel mit der Abschieberichtlinie und der Agentur „Frontex“. Diese Politik will ich weiterhin kritisieren. Für die meiner Ansicht nach falsche Politik in der EU, vor allem Sozial- und Friedenspolitik, haben in vielen Fällen Konservative und Sozialdemokraten gemeinsam gestimmt. Mit der Wahl der Linken setzen Sie ein Zeichen für mehr Soziales und mehr Frieden.
Tobias Pflüger - 2009/06/02 10:58
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