Die neue NATO-Strategie ist noch schlimmer als erwartet

In Lissabon demonstrierten 30000 gegen die Konferenz des Militärbündnisses. Gespräch mit Tobias Pflüger
Tobias Pflüger ist Mitglied im Bundes­vorstand der Linkspartei. Von 2004 bis 2009 vertrat er sie als Abgeordneter im Europaparlament.


Die NATO hat am Wochenende in Lissabon ein neues strategisches Konzept beschlossen. Entspricht die neue Strategie dem, was Sie erwartet haben?

Ja, allerdings ist sie noch schlimmer, als wir zuvor anhand der verfügbaren Informationen erwartet hatten. Insbesondere die wachsweiche Formulierung zur angeblichen Abrüstung von Atomwaffen und der Abschnitt zur Kooperation zwischen NATO und EU sind doch heftig.

Was hat sich aus friedenspolitischer Sicht verschlimmert im künftigen Verhältnis zwischen NATO und EU? Sie kennen die Militarisierungsbestrebungen der EU ja aus Ihrer Zeit als Europaabgeordneter.

Im Punkt 32 des neuen strategischen Konzepts der NATO steht: »Die EU ist ein einzigartiger und essentieller Partner der NATO […] Wir begrüßen das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages.« Und dann sagt das Militärbündnis ganz offen, daß für diese neue strategische Partnerschaft die vollständige Umsetzung des Lissaboner Vertrages der EU essentiell ist.

Das bedeutet erstens, daß unsere Kritik am Lissabon-Vertrag sich wieder einmal bestätigt. Und zweitens, daß die EU von der NATO auch als Militärbündnis wahrgenommen wird. Wir müssen uns in der Friedensbewegung und in der Linkspartei der Zusammenarbeit NATO–EU und ihrer Bedeutung für Europa deutlich mehr widmen. Das gilt auch in bezug auf das künftige Programm meiner Partei, dessen Passagen zur EU zwar nicht falsch, aber auch nicht auf dem aktuellen Stand sind. Sie müßten präziser und kritischer formuliert werden. Die neueren Entwicklungen nach Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages wurden bisher nicht berücksichtigt.

Das Verhältnis EU–NATO war ja auch ein wichtiges Thema auf dem NATO-Gegengipfel »Contra Cimeira«, den Sie als Mitglied der Internationalen Anti-NATO-Koordination (ICC) mitorganisiert haben. War der Gegengipfel erfolgreich?

Er war inhaltlich sehr gut. Wir haben in internationaler Besetzung alle relevanten Themen diskutiert, die auch auf dem tatsächlichen NATO-Gipfel eine Rolle gespielt haben, z. B. Raketenabwehr, Atomwaffen und Afghanistan, und wir konnten weitere internationale Arbeit gegen die NATO-Kriegspolitik vereinbaren.

Meiner Wahrnehmung nach kamen an dem gesamten Wochenende insgesamt höchstens 150 Besucher vorbei. Woran lag das?

Das Interesse war auf jeden Fall da. Wir hatten z.B. gute Zugriffszahlen auf unseren Livestream. Das wissen wir auch durch die Rückmeldungen, die wir erhalten haben. Vielleicht war einigen einfach der Weg nach Lissabon zu weit. Ansonsten hatten wir das Problem, daß nicht alle Linken und Friedenskräfte in Portugal für den Gegengipfel mobilisiert haben. Insbesondere die Kommunistische Partei Portugals (PCP) hat den NATO-Gipfel weitgehend als nationale Frage verstanden.

Die KP und ihre Vorfeldorganisationen halten sich für die Friedensbewegung an sich. Sie sind logischerweise gerade hier in Portugal ein sehr wichtiger Teil, doch das Monopol haben sie nicht. Sämtliche Aktivitäten gegen den NATO-Gipfel, die in Bündnissen organisiert wurden, an denen sie nicht teilnehmen wollten, wurden von ihnen schlechtgemacht. Die Demonstration selbst war sehr erfolgreich und mit 30000 Teilnehmern nach Angaben der Veranstalter wirklich gut besucht.

Interview: Martin Lejeune, Lissabon
Erschienen in: Junge Welt, 22.11.2010

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