Flughafen Leipzig-Halle bald NATO-Drehkreuz?

Interview in: Radio Corax, 8.9.2005

MODERATOR: Stellen Sie sich vor, ganz in Ihrer Nähe befindet sich einer der größten Flughäfen der Region. So weit, so gut. Doch stellen Sie sich vor, dieser Flughafen wird nicht nur für zivile Zwecke genutzt. Stellen Sie sich vor, dieser Flughafen wird Anflugsziel der lautesten Transportflugzeuge der Welt. Stellen Sie sich vor, dieser Flughafen wird zentraler Umschlagplatz für NATO Großraumtransporte inklusive Waffentransporte der NATO. Stellen Sie sich vor, diese Tatsache bricht die Zwei-Plus-Vier Verträge, jene Verträge die Voraussetzung für die Souveränität Ihres Landes sind. Stellen Sie sich vor, dieser Flughafen wird größter Militärflughafen Ihres Kontinents. Stellen Sie sich vor, dieser Flughafen wird Ausgangspunkt kriegerischer Interventionen weltweit. Stellen Sie sich vor, dieser Flughafen könnte dadurch Toppziel für terroristische Anschläge werden. Stellen Sie sich vor, diese Thematik wird vor Ihnen, der Bevölkerung, verheimlicht. Das Thema findet in der Öffentlichkeit nicht statt. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass all das nicht den Phantasien eines Corax Redakteurs entsprungen ist. Nein, all das soll Realität werden.
Die Fakten: Der Flughafen Leipzig-Halle wurde zu einem zentralem Umschlagplatz für NATO Großraumtransporte ausgebaut. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und im Schatten der DHL-Ansiedlung. Die Vertragsverhandlungen mit einem zivilen Anbieter des größten und zugleich eines der lautesten Transportflugzeuge der Welt, vom Typ Antonov, stehen unmittelbar vor dem Abschluss. Vom Flughafen aus sollen EU- und NATO-Truppen weltweit interventionsfähig sein. Etwa sollen sie schwere Kriegswaffen über große Entfernungen von Leipzig aus transportieren. Dadurch wird der Flughafen in Leipzig zu einem der bedeutendsten europäischen Umschlagplätze für Großwaffen und dadurch zur NATO-Drehscheibe für künftige Kriege. Tobias Pflüger, Abgeordneter im EU-Parlament, hat sich dem Thema angenommen. Wie ist seine Einschätzung?

PFLÜGER: Ich habe den Eindruck dass die Strategie von der Firma aber auch von dem Flughafen und auch von der EU und NATO ist, zu sagen "Das ist eine zivile Geschichte, regt euch nicht auf". Ich denke, da werden sich die Betreiber des Flughafens noch wundern. Der Geschäftsführer wollte uns klar machen, die NATO sei ein normaler Geschäftspartner. Aber jeder der die NATO kennt, weiß, die wollen dann einen Sicherheitszaun und die wollen einen bestimmten Bereich kontrollieren und wenn da Kriegsmaterial verschifft wird, dann ist das kein normaler Geschäftskunde.
Das ist eines der ganz zentralen Projekte, einerseits der Militarisierung der Europäischen Union und andererseits der NATO Politik. Insofern kann ich bloß sagen, da wird auf den Flughafen und auf die Anwohner noch einiges zukommen.

MODERATOR: Als Folge sieht Pflüger auch den Bruch der Zwei-Plus-Vier -Verträge. Diese untersagen die militärische Nutzung von Seiten der NATO in Ostdeutschland.

PFLÜGER: Wir müssen darauf hinweisen, die Verschiffung von Kriegsmaterial bedeutet natürlich auch, dass Soldaten dort vor Ort sind. Was heißt das anderes, als dass sie dort stationiert sind? Und wenn irgenwann mal eine Intervention, zum Beispiel in Namibia, stattfindet, wird der ganze Transport über den Flughafen Leipzig laufen, dass heißt, dass darüber Kriegsmaterial läuft und das ist nicht das, was im Zwei-Plus-Vier Vertrag steht.

MODERATOR: Steigt mit einer Stationierung die Terrorgefahr?

PFLÜGER: Mein Eindruck ist der, dass man sich tatsächlich so etwas wie Unsicherheit organisieren kann, unter dem Label es sei Sicherheit, die da organisiert wird. Meine Position ist die, dass ich will, dass die deutschen Truppen aus den Krisen- und Kriegsgebieten alle abgezogen werden. Es wäre mit Sicherheit so, wenn zum Beispiel der Afghanistaneinsatz nicht durchgeführt würde, dass diejenigen, die meinen, terroristisch vorgehen zu müssen, dann keinen Vorwand mehr hätten und sich auf nichts berufen könnten. Sicherer wird die Region durch den NATO Flughafen unter Garantie nicht. Zumal diese Antonvs zum Teil auch gefährliche Güter transportieren.

MODERATOR: Das beängstigt. Sieht Pflüger Chancen, die Stationierung noch zu verhindern?

PFLÜGER: Im Moment eigentlich noch ganz gute. Der Vertrag ist noch nicht unterschrieben. Wir haben das Thema jetzt öffentlich gemacht und dadurch darauf hingewiesen, dass Leute das jetzt beobachten. Und ich habe versprochen, das Ganze von EU-Seite aus zu begleiten und ganz genau darauf zu achten, ob die Aussagen des Geschäftsführers auch zutreffen. Wobei ich davon ausgehe, dass sie nicht zutreffen, weil er sagt, dass sei weitestgehend zivil.
Das heißt, es muss jetzt vor Ort dazu etwas entsehen. Wir hatten ja auch ein Gespräch mit der BI "Nachtflugverbot" und die Bürgerinitiative war insbesondere über die Information beunruhigt, dass zwei Antonovs dort ständig und bis zu sechs weitere auf Abruf stationiert werden sollen. Das heißt natürlich einfach auch Lärmbelastung. Insofern ist die wesentliche Komponente, dass die Leute vor Ort sich artikulieren und wehren. Dann kann jemand wie ich das unterstützen und die Information dazu geben, was das für eine militärische Bedeutung hat. Ich glaube, wir haben da durchaus noch Chancen, weil eine Reihe von Leuten vor Ort ziemlich sensibel auf dieses Thema reagiert hat. Wir müssen es einfach probieren, Informationen weiter geben und die Menschen müssen sich dann, wenn sie es wollen, von sich aus wehren und dann kann man das unterstützen.

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