Nicht mehr sprachlos
Pressebericht in: junge Welt vom 11.11.2005
Sind die USA hinüber? Wo bleibt Afrika? Solche und ähnliche Fragen verhandelt ab heute der Kongreß »Kapitalismus.reloaded« in Berlin
Zurück auf Los, aber reflektiert und konstruktiv: »Kapitalismus.reloaded« heißt eine internationale Konferenz, die heute in Berlin beginnt und Sonntag endet. Finanziert wurde sie von der PDS-nahen Rosa Luxemburg Stiftung, der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Schon diese Eintracht ist selten genug. Noch Unversöhnlicheres geht in der Liste der Veranstalter zusammen: ATTAC, BuKo, Linksruck, Kritik & Praxis, ak, Soz usw. – Linke, die sich im Tagesgeschäft lieber beharken oder schneiden, drücken bis Sonntag gemeinsam Berliner Hochschulbänke, um ihre Kapitalismusanalysen auf den neuesten Stand zu bringen.
Die Linke hätte ihre »Sprachlosigkeit seit dem angeblichen ›Ende der Geschichte‹ (1989) überwunden«, heißt es in der Einladung. Damit man das auch merkt, referieren auf Podien oder in Arbeitsgruppen Hochschullehrer (Giovanni Arrighi/USA, Edgardo Lander/Venezuela, Yosh Tandon/Tasania und Uganda), Gewerkschafter (Sibylle Stamm/ ver.di, Hans-Jürgen Urban (IG Metall) und andere Teilnehmer. Viele sind dem Leser dieser Zeitung bekannt (Dario Azzellini, Alex Demirovic, Tobias Pflüger, Werner Rügemer, Mag Wompel).
Zum Auftakt der Konferenz am heutigen Abend, 19 Uhr, im Audimax der Humboldt-Universität, dokumentiert jW Ausführungen zweier Konferenzteilnehmer. Die erste stammt von Giovanni Arrighi, einem Mitbegründer der Weltsystemtheorie mit Lehrauftrag der John-Hopkins-Universität in Baltimore. Entnommen ist sie dem 80seitigen Aufsatz »Hegemony Unravelling« (Die schwindende Hegemonie, nachzulesen in der New Left Review-Ausgabe vom März/April diesen Jahres oder im Internet: www.newleftreview.net).
Arrighi erklärt das Ende der Supermacht USA in diesem Aufsatz für besiegelt. Ihren Niedergang verhandelt er vor einem weit gespannten geschichtsphilosophischen Horizont. Imperiale Zentren kommen und gehen seit fünf Jahrhunderten. Arrighi orientiert seine Bestandsaufnahme dieser Entwicklung an Überlegungen von David Harvey, was ihn mit beachtlichem Optimismus erfüllt.
Recht hoffnungsfroh blickt auch der Konferenzteilnehmer Yash Tandon in die Zukunft. Er lehrt an Universitäten in Uganda und Tansania politische Ökonomie. jW dokumentiert den Auszug einer Rede, die er im Januar diesen Jahres auf einer Protestveranstaltung gegen den Davos-Gipfel hielt. (jW)
Goldfinger
In den späten 70ern gab es kaum Alternativen zum Dollar als Weltwährung. Der Euro war eher eine Idee als Realität. D-Mark und Yen hatten nicht das nötige Gewicht, internationales Zahlungsmittel oder Reservewährung zu werden. Da es keinen anderen Ausweg gab, flüchtete das Geldkapital aus dem Dollar ins Gold. Keine Kapitalmacht hatte in Zeiten ökonomischer Stagnation Interesse, das Gold wieder in Geld umzutauschen, insbesondere angesichts der Tatsache, daß eine solche Remonetarisierung ein Druckmittel in die Hände der UdSSR gelegt hätte. Versuche der USA, den Dollarstandard zu erhalten, konnten auf die aktive Zusammenarbeit aller Länder bauen, die eine Rolle in internationalen Währungsvereinbarungen spielten.
Heute ist die Situation ganz anders. Die entscheidenden Regierungen sind noch sehr bereit, mit der US-Regierung zu kooperieren, den Dollarstandard zu erhalten. Aber diese Bereitschaft basiert auf einer Grundlage, die für die USA weniger günstig ist. Wie der frühere US-Finanzminister Lawrence Summers kürzlich darstellte, ist die US-Abhängigkeit von ausländischem Geldzufluß »noch besorgniserregender« als ihre Abhängigkeit von Energieimporten: »Die größte Weltmacht ist gleichzeitig der Welt größter Schuldner. Zwar verspüren die ausländischen Regierungen und Investoren, die den Ausgabenrausch der Supermacht finanzieren, keinerlei Anreiz, die US-Wirtschaft in den Bankrott zu treiben, indem sie plötzlich ihre Dollarreserven hinschmeißen. Die nachfolgende Finanzkrise würde ernsthaft ihre eigenen Ökonomien beschädigen. Aber wenn man schließlich dem Gleichgewicht des Terrors des Kalten Krieges entkommen ist, sollten die USA nicht leichtfertig eine neue Version der eingestandenen, gegenseitigen Zerstörungsmöglichkeit akzeptieren ...«
Tatsächlich ist es für die USA weitaus schwerer, das neue »Gleichgewicht des Terrors« zu ihren Gunsten zu kippen. Im Kalten Krieg hatte sie entscheidende finanzielle Vorteile. In der neuen Konfrontation ist die finanzielle Macht nicht auf Seiten der USA, sondern gegen sie. Sollte es nochmals zu einem Dollarverfall kommen, haben die europäischen und ostasiatischen Regierungen viel bessere Möglichkeiten als vor 25 Jahren, realistische Alternativen zum Dollarstandard zu entwickeln. Der Anteil des Euros an den amtlichen Währungsreserven ist ständig gestiegen von 13,5 Prozent aller ausländischen Guthaben 1999 auf 19,7 Prozent 2003. Die Wirtschaft der Eurozone ist ungefähr so groß wie die der USA. Im Gegensatz zu den USA ist die Eurozone jedoch Nettogläubiger.
Die US-Regierung mag also meinen, ein sinkender Dollar sei nichts als dafür geeignet, Freunde und Feinde zu zwingen, das US-Wirtschaftswachstum zu finanzieren, insbesondere US-Kriegseinsätze. Tatsächlich aber ist das Sinken des Dollars der 2000er Jahre Ausdruck einer viel ernsteren Krise der US-Hegemonie als der sinkende Dollar der 70er. Ob das Ende nun abrupt kommt oder stufenweise – die USA haben ihre zentrale Rolle in der globalen politischen Ökonomie verloren. Um das Ausmaß und das Wesen dieses Verlustes einzuschätzen, müssen wir uns konzentrieren auf das, was rückblickend als das größte Scheitern des neokonservativen Projektes auf dem Weg zur Weltherrschaft erscheinen wird: das Versagen, China daran zu hindern, ein mögliches Zentrum der globalen Weltökonomie zu werden ...
Giovanni Arrighi
Jenseits von Afrika
Mitte der 70er Jahre begann die momentane Phase der Globalisierung. Zwei Kräfte waren dabei entscheidend. Zum einen erhöhte sich der Druck auf Unternehmensgewinne als Ergebnis der steigenden Forderungen der Arbeiter im Westen nach höheren Löhnen und der steigenden Materialkosten, besonders des Öls. Die andere Kraft war der verschärfte Wettbewerb mit Ländern in Asien.
In dieser Phase entstanden »historische Persönlichkeiten« wie Thatcher und Reagan. Tatkräftig deregulierten und liberalisierten sie die Wirtschaft. Paradoxerweise begann die »Deregulation« mit der Regulierung der Gewerkschaften zwecks Unterdrückung von Lohnforderungen. Durch den Verzicht auf staatliche Eingriffsmöglichkeiten (das Konzept des minimalisierten Staates) wurden dem privaten Sektor neue Handlungsspielräume eröffnet.
Staatlicherseits ermutigt, legten die Unternehmen bald etliche Programme zur Rationalisierung der Produktion auf – einschließlich der »Flexibilisierung« der Arbeitskräfte –, initiierten Fusionen und Übernahmen. Gleichzeitig expandierten sie in gesellschaftliche Bereiche, die ihnen bislang verschlossen waren. Der Staat begann (besonders in Großbritannien, wo das Sozialsystem weiter entwickelt war als in den USA) mit der Privatisierung von Transport, Energie, später Gesundheit und Bildung. Es folgten pro-unternehmerische Steuerreformen. In den 1990ern wurden Rentenfonds in den privaten Sektor überführt. Schließlich wurden auch die nationalen Börsen liberalisiert.
Die soziale Lage vieler Menschen im Westen hat sich durch diese Maßnahmen deutlich verschlechtert. Aber noch ist die Krise der Überproduktion in Europa, den USA und Japan lange nicht überwunden. Alle, die in dieser Situation behaupten, die Globalisierung und der Neoliberalismus seien »unabwendbar«, man könne wenig dagegen tun, außer sich zu unterwerfen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen, haben die Geschichte nicht verstanden, schon gar nicht die Befreiungskämpfe der Völker.
Die Geschichte wurde nicht nur von den Eroberern geschrieben, sondern auch von denen, die der Eroberung Widerstand leisteten. Sie mögen vielleicht während einer Periode unterlegen sein, aber sie werden nicht in alle Ewigkeit die Verlierer sein.
Afrika hat sich selbst vom Kolonialismus und von der Apartheid befreit. Der nächste Kampf richtet sich gegen die Mächte der Globalisierung und des Neoliberalismus, die Afrika in ständiger Knechtschaft einer kolonialen Wirtschaftsordnung halten wollen, welche mit der Ausbeutung der Rohstoffe und mit der Privatisierung der öffentlichen Dienste die Basis für Profite für jene global operierenden Kräfte schaffen, welche nicht nachlassen werden, bis der letzte Dollar abgezogen und in Kapital umgesetzt ist.
Hat Afrika die Freiheit, seine Zukunft selbst zu bestimmen? Ja, sicher, es hat sie. Die Kräfte der Vergangenheit sind nicht so unveränderlich und unbesiegbar, wie die Theoretiker der Globalisierung sie beschreiben. Der Behauptung von Margaret Thatcher, »Es gibt keine Alternative« (TINA) ist entgegen zu halten, es gibt Hunderte von Alternativen (There are Hundreds of Alternatives, TAHA.)
Sie entstehen in ländlichen Gegenden Afrikas und in den ärmlichen, informellen Sektoren in städtischen Gebieten, wo die Menschen versuchen, alternative Formen der Produktion und des Handels zu finden, alternative Formen für das Angebot sozialer Dienste, und sogar alternative Formen von Geld.
Yash Tandon
Sind die USA hinüber? Wo bleibt Afrika? Solche und ähnliche Fragen verhandelt ab heute der Kongreß »Kapitalismus.reloaded« in Berlin
Zurück auf Los, aber reflektiert und konstruktiv: »Kapitalismus.reloaded« heißt eine internationale Konferenz, die heute in Berlin beginnt und Sonntag endet. Finanziert wurde sie von der PDS-nahen Rosa Luxemburg Stiftung, der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Schon diese Eintracht ist selten genug. Noch Unversöhnlicheres geht in der Liste der Veranstalter zusammen: ATTAC, BuKo, Linksruck, Kritik & Praxis, ak, Soz usw. – Linke, die sich im Tagesgeschäft lieber beharken oder schneiden, drücken bis Sonntag gemeinsam Berliner Hochschulbänke, um ihre Kapitalismusanalysen auf den neuesten Stand zu bringen.
Die Linke hätte ihre »Sprachlosigkeit seit dem angeblichen ›Ende der Geschichte‹ (1989) überwunden«, heißt es in der Einladung. Damit man das auch merkt, referieren auf Podien oder in Arbeitsgruppen Hochschullehrer (Giovanni Arrighi/USA, Edgardo Lander/Venezuela, Yosh Tandon/Tasania und Uganda), Gewerkschafter (Sibylle Stamm/ ver.di, Hans-Jürgen Urban (IG Metall) und andere Teilnehmer. Viele sind dem Leser dieser Zeitung bekannt (Dario Azzellini, Alex Demirovic, Tobias Pflüger, Werner Rügemer, Mag Wompel).
Zum Auftakt der Konferenz am heutigen Abend, 19 Uhr, im Audimax der Humboldt-Universität, dokumentiert jW Ausführungen zweier Konferenzteilnehmer. Die erste stammt von Giovanni Arrighi, einem Mitbegründer der Weltsystemtheorie mit Lehrauftrag der John-Hopkins-Universität in Baltimore. Entnommen ist sie dem 80seitigen Aufsatz »Hegemony Unravelling« (Die schwindende Hegemonie, nachzulesen in der New Left Review-Ausgabe vom März/April diesen Jahres oder im Internet: www.newleftreview.net).
Arrighi erklärt das Ende der Supermacht USA in diesem Aufsatz für besiegelt. Ihren Niedergang verhandelt er vor einem weit gespannten geschichtsphilosophischen Horizont. Imperiale Zentren kommen und gehen seit fünf Jahrhunderten. Arrighi orientiert seine Bestandsaufnahme dieser Entwicklung an Überlegungen von David Harvey, was ihn mit beachtlichem Optimismus erfüllt.
Recht hoffnungsfroh blickt auch der Konferenzteilnehmer Yash Tandon in die Zukunft. Er lehrt an Universitäten in Uganda und Tansania politische Ökonomie. jW dokumentiert den Auszug einer Rede, die er im Januar diesen Jahres auf einer Protestveranstaltung gegen den Davos-Gipfel hielt. (jW)
Goldfinger
In den späten 70ern gab es kaum Alternativen zum Dollar als Weltwährung. Der Euro war eher eine Idee als Realität. D-Mark und Yen hatten nicht das nötige Gewicht, internationales Zahlungsmittel oder Reservewährung zu werden. Da es keinen anderen Ausweg gab, flüchtete das Geldkapital aus dem Dollar ins Gold. Keine Kapitalmacht hatte in Zeiten ökonomischer Stagnation Interesse, das Gold wieder in Geld umzutauschen, insbesondere angesichts der Tatsache, daß eine solche Remonetarisierung ein Druckmittel in die Hände der UdSSR gelegt hätte. Versuche der USA, den Dollarstandard zu erhalten, konnten auf die aktive Zusammenarbeit aller Länder bauen, die eine Rolle in internationalen Währungsvereinbarungen spielten.
Heute ist die Situation ganz anders. Die entscheidenden Regierungen sind noch sehr bereit, mit der US-Regierung zu kooperieren, den Dollarstandard zu erhalten. Aber diese Bereitschaft basiert auf einer Grundlage, die für die USA weniger günstig ist. Wie der frühere US-Finanzminister Lawrence Summers kürzlich darstellte, ist die US-Abhängigkeit von ausländischem Geldzufluß »noch besorgniserregender« als ihre Abhängigkeit von Energieimporten: »Die größte Weltmacht ist gleichzeitig der Welt größter Schuldner. Zwar verspüren die ausländischen Regierungen und Investoren, die den Ausgabenrausch der Supermacht finanzieren, keinerlei Anreiz, die US-Wirtschaft in den Bankrott zu treiben, indem sie plötzlich ihre Dollarreserven hinschmeißen. Die nachfolgende Finanzkrise würde ernsthaft ihre eigenen Ökonomien beschädigen. Aber wenn man schließlich dem Gleichgewicht des Terrors des Kalten Krieges entkommen ist, sollten die USA nicht leichtfertig eine neue Version der eingestandenen, gegenseitigen Zerstörungsmöglichkeit akzeptieren ...«
Tatsächlich ist es für die USA weitaus schwerer, das neue »Gleichgewicht des Terrors« zu ihren Gunsten zu kippen. Im Kalten Krieg hatte sie entscheidende finanzielle Vorteile. In der neuen Konfrontation ist die finanzielle Macht nicht auf Seiten der USA, sondern gegen sie. Sollte es nochmals zu einem Dollarverfall kommen, haben die europäischen und ostasiatischen Regierungen viel bessere Möglichkeiten als vor 25 Jahren, realistische Alternativen zum Dollarstandard zu entwickeln. Der Anteil des Euros an den amtlichen Währungsreserven ist ständig gestiegen von 13,5 Prozent aller ausländischen Guthaben 1999 auf 19,7 Prozent 2003. Die Wirtschaft der Eurozone ist ungefähr so groß wie die der USA. Im Gegensatz zu den USA ist die Eurozone jedoch Nettogläubiger.
Die US-Regierung mag also meinen, ein sinkender Dollar sei nichts als dafür geeignet, Freunde und Feinde zu zwingen, das US-Wirtschaftswachstum zu finanzieren, insbesondere US-Kriegseinsätze. Tatsächlich aber ist das Sinken des Dollars der 2000er Jahre Ausdruck einer viel ernsteren Krise der US-Hegemonie als der sinkende Dollar der 70er. Ob das Ende nun abrupt kommt oder stufenweise – die USA haben ihre zentrale Rolle in der globalen politischen Ökonomie verloren. Um das Ausmaß und das Wesen dieses Verlustes einzuschätzen, müssen wir uns konzentrieren auf das, was rückblickend als das größte Scheitern des neokonservativen Projektes auf dem Weg zur Weltherrschaft erscheinen wird: das Versagen, China daran zu hindern, ein mögliches Zentrum der globalen Weltökonomie zu werden ...
Giovanni Arrighi
Jenseits von Afrika
Mitte der 70er Jahre begann die momentane Phase der Globalisierung. Zwei Kräfte waren dabei entscheidend. Zum einen erhöhte sich der Druck auf Unternehmensgewinne als Ergebnis der steigenden Forderungen der Arbeiter im Westen nach höheren Löhnen und der steigenden Materialkosten, besonders des Öls. Die andere Kraft war der verschärfte Wettbewerb mit Ländern in Asien.
In dieser Phase entstanden »historische Persönlichkeiten« wie Thatcher und Reagan. Tatkräftig deregulierten und liberalisierten sie die Wirtschaft. Paradoxerweise begann die »Deregulation« mit der Regulierung der Gewerkschaften zwecks Unterdrückung von Lohnforderungen. Durch den Verzicht auf staatliche Eingriffsmöglichkeiten (das Konzept des minimalisierten Staates) wurden dem privaten Sektor neue Handlungsspielräume eröffnet.
Staatlicherseits ermutigt, legten die Unternehmen bald etliche Programme zur Rationalisierung der Produktion auf – einschließlich der »Flexibilisierung« der Arbeitskräfte –, initiierten Fusionen und Übernahmen. Gleichzeitig expandierten sie in gesellschaftliche Bereiche, die ihnen bislang verschlossen waren. Der Staat begann (besonders in Großbritannien, wo das Sozialsystem weiter entwickelt war als in den USA) mit der Privatisierung von Transport, Energie, später Gesundheit und Bildung. Es folgten pro-unternehmerische Steuerreformen. In den 1990ern wurden Rentenfonds in den privaten Sektor überführt. Schließlich wurden auch die nationalen Börsen liberalisiert.
Die soziale Lage vieler Menschen im Westen hat sich durch diese Maßnahmen deutlich verschlechtert. Aber noch ist die Krise der Überproduktion in Europa, den USA und Japan lange nicht überwunden. Alle, die in dieser Situation behaupten, die Globalisierung und der Neoliberalismus seien »unabwendbar«, man könne wenig dagegen tun, außer sich zu unterwerfen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen, haben die Geschichte nicht verstanden, schon gar nicht die Befreiungskämpfe der Völker.
Die Geschichte wurde nicht nur von den Eroberern geschrieben, sondern auch von denen, die der Eroberung Widerstand leisteten. Sie mögen vielleicht während einer Periode unterlegen sein, aber sie werden nicht in alle Ewigkeit die Verlierer sein.
Afrika hat sich selbst vom Kolonialismus und von der Apartheid befreit. Der nächste Kampf richtet sich gegen die Mächte der Globalisierung und des Neoliberalismus, die Afrika in ständiger Knechtschaft einer kolonialen Wirtschaftsordnung halten wollen, welche mit der Ausbeutung der Rohstoffe und mit der Privatisierung der öffentlichen Dienste die Basis für Profite für jene global operierenden Kräfte schaffen, welche nicht nachlassen werden, bis der letzte Dollar abgezogen und in Kapital umgesetzt ist.
Hat Afrika die Freiheit, seine Zukunft selbst zu bestimmen? Ja, sicher, es hat sie. Die Kräfte der Vergangenheit sind nicht so unveränderlich und unbesiegbar, wie die Theoretiker der Globalisierung sie beschreiben. Der Behauptung von Margaret Thatcher, »Es gibt keine Alternative« (TINA) ist entgegen zu halten, es gibt Hunderte von Alternativen (There are Hundreds of Alternatives, TAHA.)
Sie entstehen in ländlichen Gegenden Afrikas und in den ärmlichen, informellen Sektoren in städtischen Gebieten, wo die Menschen versuchen, alternative Formen der Produktion und des Handels zu finden, alternative Formen für das Angebot sozialer Dienste, und sogar alternative Formen von Geld.
Yash Tandon
Tobias Pflüger - 2005/11/16 11:37
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