Geheime EU-Militäreinsätze? EU-Parlamentarier Pflüger stößt auf Merkwürdigkeiten

Pressebericht in: UZ, Unsere Zeit, 16. Dezember 2005

Der Tübinger Politologe Tobias Pflüger, parteiloses Mitglied der Linksfraktion im Europäischen Parlament, deckte auf, dass die EU militärische Einsätze u .a. in Kambodscha (...) durchführt, die sich der demokratischen Kontrolle der zuständigen Parlamente und Gremien völlig entziehen, da sie offiziell als zivile Maßnahmen deklariert und aus Entwicklungshilfetöpfen finanziert werden.

Annalisa Gianella ist Sonderbeauftragte für Massenvernichtungswaffen des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana. Am 1. Dezember 2005 informierte sie im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europa-Parlaments über das SALW-Programm (Small Arms and Light Weapons), also so genannte Kleinwaffen. Als sie berichtete, dass in Kambodscha Soldaten und Polizisten von der EU ausgebildet würden, horchte Pflüger, der Mitglied dieses Ausschusses ist, auf. "Ich entgegnete, dass mir ein Militäreinsatz in Kambodscha nicht bekannt sei und fragte nach, was genau diese Maßnahme beinhalte", erläuterte er gegenüber der UZ. "Daraufhin legte sie dar, dass diese Soldaten und Polizisten für die Registrierung von Waffen bei Entwaffnungsaktionen ausgebildet würden. Das sei aber keine Mission im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sondern eine zivile ´joint action´ also ´Gemeinsame Aktion´ im Rahmen der EU-Außenpolitik und werde aus dem Europäischen Entwicklungshilfefonds (EDF) finanziert, so Frau Gianella."

Pflüger hakte nach: Er wollte wissen, wer das beschlossen habe, wer daran beteiligt sei und wie viele Soldaten im Einsatz seien. Dass Frau Gianella seinen Fragen auswich, machte ihn noch misstrauischer. Er begann zu recherchieren, zumal ihm der Begriff "joint action" völlig unbekannt war, wie er sagt. "Die Kambodscha-Mission taucht als militärischer Einsatz nicht auf, obwohl Soldaten beteiligt sind. Auf diese Weise werden EU-Militärs offiziell als Zivilisten deklariert und deren Einsätze in zivile ´Gemeinsame Aktionen´ umgewidmet, um sie mit zivilen Haushaltsgeldern bezahlen zu können. Das ist ein offener Bruch der EU-Verträge", moniert der EU-Parlamentarier.

Die Finanzierung von Militäroperationen ist scheinbar ein generelles Problem. "Bei der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen entstehen demokratisch nicht legitimierte und kontrollierte Schattenhaushalte", beschreibt Pflüger. "Im Rahmen des so genannten ATHENA-Mechanismus zahlen die EU-Mitgliedsstaaten für EU-Militäreinsätze in einen Extra-Topf, der explizit nicht ein EU-Haushaltstitel ist. Damit ist das Europaparlament außen vor und eine Kontrolle fast unmöglich."

Das ATHENA-Verfahren werde aktuell für den größten EU-Militäreinsatz, den EUFOR-Althea-Einsatz in Bosnien-Herzegowina angewendet, so Pflüger weiter. In Zukunft solle es insbesondere für "Krisenreaktionsoperationen", also Kriegseinsätze der EU, genutzt werden. "Wahrscheinlich auch für die Einsätze der internationalen EU-Polizeitruppen - unter Beteiligung von schwer bewaffneten Einheiten der italienischen Carabinieri und der spanischen Guardia Civil -, die ab 1. Januar 2006 in Dienst gestellt werden sollen", befürchtet der EU-Parlamentarier. "Damit wird geradezu paradigmatisch die gewollte Vermischung von Zivilem und Militärischem vorgeführt."

Die Recherchen von Tobias Pflüger und seinem Team ergaben, dass zudem seit dem 29. November die EU in einer ähnlichen Mission aktiv ist. Pflüger bewegt u. a. die Frage, ob Bundeswehrsoldaten auch an den so genannten Entwicklungshilfe-Einsätzen in Kambodscha (...) beteiligt sind. Völlig aus der Luft gegriffen ist diese Vermutung nicht, denn die Bundeswehr war, bzw. ist, bereits in der Vergangenheit an beiden Orten aktiv: In Kambodscha von Mai 1992 bis November 1993 mit einem Militärhospital und in Usbekistan seit dem 15. Februar 2002 mit einem Militärflughafen.

Birgit Gärtner

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