EU ohne gemeinsame Energiepolitik

Pressebericht in: Neues Deutschland, 06.01.06

Brüssel auf Krisen nicht vorbereitet / Kritik an Plänen zum Ausbau der Kernkraftwerke

Von Olaf Standke

Man konnte den Stein förmlich plumpsen hören, der den EU-Verantwortlichen in Brüssel vom Herzen fiel. Mit der Einigung zwischen Russland und der Ukraine im Gasstreit wurde nicht nur ein wirtschaftliches Problem vorläufig entspannt.
Die Gasversorgung aus Russland ist für die EU weiter gesichert. Die Energiepartnerschaft mit Moskau bleibe ein »strategischer Eckpfeiler der deutsch-russischen Beziehungen», heißt es etwa in Berlin. Auch politisch barg die Auseinandersetzung erheblichen Zündstoff, ist doch das Verhältnis der Union sowohl zu Moskau als auch zu Kiew sensibel. So warnte EU-Energiekommissar Andris Piebalgs Russland davor, die EU als »Geisel« im Gasstreit zu nehmen, nachdem man dort gedrängt hatte, die Ukraine wegen des Diebstahls von Gas zu verklagen. Beide Seiten seien ihrer Verantwortung für die Energieversorgung Europas gerecht geworden, lobte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nun die Streitbeilegung. Ein Thema wird sie beim Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am 16. Januar gleichwohl sein. Auch wenn Piebalgs jetzt die EU »glücklich« nannte, weil Moskau und Kiew mit der Vereinbarung zufrieden seien – viele Punkte sind noch längst nicht endgültig geklärt und könnten schnell zum erneuten Aufflammen der Streitigkeiten führen.

Die Europäische Union brauchte wieder einmal eine Krise, um sich seit langem drängenden Fragen zu stellen. Die Wirtschaftsgroßmacht EU ist in Sachen Erdöl und Erdgas weit gehend auf Einfuhren angewiesen. Ein Viertel des EU-weit verbrauchten Gases kommt dabei heute aus Russland, vor allem über die Ukraine. »Unser Energiesystem kann ohne russisches Gas nicht leben«, so der Lette Piebalgs. Die EU spreche in diesem Zusammenhang aber nicht von einer Lieferabhängigkeit, sondern von Vertragserfüllung. Schließlich zahle man einen guten Preis.

Die Brüsseler Kommission nutzt zwar ihr Instrument des Wettbewerbsrechts, um die Öffnung der europäischen Energiemärkte voranzutreiben, doch eine gemeinsame EU-Energiepolitik gibt es bisher nicht. Selbst im Krisenfall ist kein abgestimmtes Vorgehen vorgesehen. Es existiere kein »Gemeinschaftsrahmen, der ein Mindestmaß an Sicherheit bezüglich der Erdgasversorgung in der EU gewährleistet«, heißt es etwa in einem Kommissionspapier. Ein schon 2002 vorgelegtes Maßnahmenpaket zur Sicherung der Energieversorgung ist noch immer nicht beschlossen. Vor allem London legt sich quer – angeblich aus Furcht vor der Brüsseler Regulierungswut, die dann die britischen Bohrinseln in der Nordsee erfassen würde.
Ob die EU nun ihre Lektion gelernt hat, wie der Vorsitzende des EU-Energieministerrats und österreichische Ressortchef Martin Bartenstein nach einer Krisensitzung in Brüssel erklärte, muss sich noch zeigen. Eilig präsentierte man Pläne für neue Pipelines über die Türkei, Griechenland und den Balkan, will die Versorgung mit Gas aus Nordafrika verstärken. Piebalgs nannte aber auch die geplante Ostsee-Pipeline angesichts der aktuellen Lage »notwendig«. Nur sollten solche großen Infrastrukturvorhaben vor Baubeginn die Zustimmung aller EU-Staaten haben, sagte er mit Blick auf die Kritik aus Polen. Von einem z.B. von SPD-Energiepolitiker Hermann Scheer geforderten Abkommen mit Russland über Liefermengen, »fair aufgeteilt und gleichpreisig unter den Empfängerländern», war keine Rede.

Die EU sollte nach Meinung Piebalgs dagegen auch verstärkt auf die Nutzung der Kernenergie setzen. Nicht nur für Tobias Pflüger von der Linksfraktion im Straßburger Parlament ein Irrweg. Wer auf eine Verlängerung der Laufzeiten und den Neubau von Atommeilern setze, schaffe nicht mehr Versorgungssicherheit, betont der Europaabgeordnete: »Wie hoch sind denn die Uranvorkommen innerhalb der EU? Die bedeutenden Uranabbaugebiete liegen u.a. in Russland, Kasachstan, Niger und Namibia.« Es sei völlig unsinnig, dass trotz ungelöster Endlagerfrage, gefährlichen Atommülltransporten und radioaktiver Kontamination rund um Atomanlagen weiterhin auf Kernkraft, dem Dinosaurier unter den Energieträgern, gesetzt wird. Ganz davon abgesehen, dass sich hier auch die Unglaubwürdigkeit der EU-Positionen im Streit um das Teheraner Atomprogramm zeige. »Den eigenen Mitgliedstaaten werden Neuerrichtungen von Atomanlagen nahe gelegt, während etwa Iran auf Urananreicherung verzichten soll.« Statt Uran und fossilen Energiequellen müsse der effiziente und dezentrale Einsatz von regenerativen Energieträgern gefördert werden, so Pflüger. Gefordert sind jetzt verbindliche EU-Richtlinien für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Vor allem die neuen EU-Mitglieder sind auf russische Gaslieferungen angewiesen. Litauen, Lettland, Estland und die Slowakei beziehen praktisch ihr gesamtes Erdgas aus Russland. Tschechien und Ungarn sind zu 81 bis 82 Prozent von Russland abhängig, Slowenien mit 62 Prozent – nur unwesentlich mehr als Österreich. Auch für Deutschland ist Moskau der wichtigste Lieferant; der Anteil beträgt 36 Prozent. In Frankreich ist es ein Viertel. Neben Malta und Zypern liegen Irland, die Niederlande und Großbritannien am Ende dieser Skala. Die EU verlässt sich bei der Primärenergie zu knapp einem Viertel auf Erdgas und bezieht etwa 24 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. 59 Prozent des Gases werden in der EU plus Norwegen selbst erzeugt.

Quelle:
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=83680&IDC=43

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