Markov: Problem ist nicht Ziel, sondern Strategie
Pressebericht in: LinksZeitung, 16.03.2006
Bericht des Think Tanks verteilt derbe „Bruegel“
Von unserem Korrespondenten Holger Elias
Straßburg (LiZ) - Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich im Frühjahr 2000 in Lissabon darauf geeinigt, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Doch die Europäer und ihre Lissabon-Strategie befindet sich am Scheidepunkt. Wenn das Ziel - drei Prozent jährliches Wirtschaftswachstum und eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent bis 2010 - noch erreicht werden soll, müssten die massiven Defizite rasch behoben werden. Experten fordern eine Korrektur der Leitlinien beim EU-Gipfel am 23. und 24. März.
Die EU-Kommission wird im Bericht des in Brüssel ansässigen Think Tanks „Bruegel“ aufgefordert, eine neue Methode zur Beurteilung der nationalen Bemühungen zu schaffen. Es müsste öffentlich gemacht werden, welche Mitgliedstaaten besser und welche schlechter abschneiden. Die EU-Staaten sollten sehr viel stärker an die von ihnen selbst vorgegebenen Ziele gemessen werden. Damit müsste erreicht werden, dass die Regierungen auch an der Umsetzung der Wachstumspläne gemessen werden und ihre Anstrengungen verstärken.
Die österreichische Ratspräsidentschaft hatte indes schon registrieren müssen, auf welche Ablehnung jene Versuche stoßen, die Regierungen stärker an ihren ursprünglichen Maßstäben zu messen. Der Vorschlag etwa, beim März-Gipfel jeweils konkrete Maßnahmen aufzustellen, die in kürzester Zeit von den EU-Ländern umgesetzt werden sollen, wurde von den Mitgliedstaaten kurzerhand vom Tisch gestimmt.
Ähnlich beurteilte auch die Präsidentin des Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), Anne-Marie Sigmund, die Situation. Sie erklärte vor der Presse, dass die organisierte Zivilgesellschaft sehr viel stärker in die Umsetzung der Lissabon-Strategie eingebunden werden müsse. Es fehle die Verankerung dieser Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung bei den Betroffenen.
Für den linken Europaabgeordnete Helmuth Markov ist das Problem nicht die Zielstellung sondern die Strategie, „mit der man das erreichen will“. Die heutigen Realitäten zeigten, dass die EU-Mitgliedsstaaten heute bei durchschnittlich 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum liegen, aber nur etwa ein Viertel der erhofften neuen Arbeitsplätze geschaffen hätten. Die „sehr schlecht bezahlten Arbeitsplätze“ seien das Problem. „Seit sechs Jahren wird dieser Kurs so weitergeführt. Auch die Leitlinien, die letzthin verabschiedet wurden und die jetzt auch in den nationalen Plänen umgesetzt werden, tragen genau diese Handschrift.“ Die Produktivitätsgewinne explodieren in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Lohnzuwächse „bleiben auf demselben Niveau“, sagte Markov in seiner Rede. Hohe Löhne brächten letztendlich auch Wirtschaftswachstum, doch dies erfordere ein politisches Umdenken.
Die EU-Kommission wehrt sich gegen das vernichtende Zeugnis, das ihnen im Bericht des in Brüssel ansässigen Think Tanks "Bruegel" ausstellt. Er basiere "auf unvollständigen und fehlerhaften Informationen", ziehe Schlüsse aus einem "sehr kurzen Zeitraum", stelle "tiefes Unverständnis der integrierten Leitlinien" unter Beweis und "ignoriere wichtige Argument gegen seine wichtigsten Empfehlung". Zwar enthalte der Bericht einige „nützliche Punkte“ zur Verbesserung der Lissabon-Strategie, doch vernachlässige er völlig, dass die wichtigsten Herausforderungen für jedes Land systematisch analysiert worden seien und dass der Bewertungsprozess sich erst entwickeln müsse. Ab 2007 würden außerdem länderspezifische Empfehlungen in den Jahresberichten der Kommission enthalten sein. Jetzt sei es noch zu früh, über die Umsetzung zu urteilen.
Markovs Fraktionskollege Tobias Pflüger machte noch auf einen anderen Umstand aufmerksam. Er bezeichnete es als „skandalös, dass ausgerechnet im 20. Jahr nach dem GAU von Tschernobyl Zweidrittel der Abgeordneten im Europäischen Parlament mit der Resolution zur Lissabonstrategie auch für die weitere Nutzung von Atomenergie gestimmt haben“. Atomkraft bleibe eine Risikotechnologie mit unabsehbaren Folgen. In der gesamten Spirale der Atomkraftnutzung werden Grundrechte verletzt und Lebensbedingungen zukünftiger Generationen unumkehrbar verschlechtert, sagte Pflüger.
Bericht des Think Tanks verteilt derbe „Bruegel“
Von unserem Korrespondenten Holger Elias
Straßburg (LiZ) - Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich im Frühjahr 2000 in Lissabon darauf geeinigt, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Doch die Europäer und ihre Lissabon-Strategie befindet sich am Scheidepunkt. Wenn das Ziel - drei Prozent jährliches Wirtschaftswachstum und eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent bis 2010 - noch erreicht werden soll, müssten die massiven Defizite rasch behoben werden. Experten fordern eine Korrektur der Leitlinien beim EU-Gipfel am 23. und 24. März.
Die EU-Kommission wird im Bericht des in Brüssel ansässigen Think Tanks „Bruegel“ aufgefordert, eine neue Methode zur Beurteilung der nationalen Bemühungen zu schaffen. Es müsste öffentlich gemacht werden, welche Mitgliedstaaten besser und welche schlechter abschneiden. Die EU-Staaten sollten sehr viel stärker an die von ihnen selbst vorgegebenen Ziele gemessen werden. Damit müsste erreicht werden, dass die Regierungen auch an der Umsetzung der Wachstumspläne gemessen werden und ihre Anstrengungen verstärken.
Die österreichische Ratspräsidentschaft hatte indes schon registrieren müssen, auf welche Ablehnung jene Versuche stoßen, die Regierungen stärker an ihren ursprünglichen Maßstäben zu messen. Der Vorschlag etwa, beim März-Gipfel jeweils konkrete Maßnahmen aufzustellen, die in kürzester Zeit von den EU-Ländern umgesetzt werden sollen, wurde von den Mitgliedstaaten kurzerhand vom Tisch gestimmt.
Ähnlich beurteilte auch die Präsidentin des Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), Anne-Marie Sigmund, die Situation. Sie erklärte vor der Presse, dass die organisierte Zivilgesellschaft sehr viel stärker in die Umsetzung der Lissabon-Strategie eingebunden werden müsse. Es fehle die Verankerung dieser Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung bei den Betroffenen.
Für den linken Europaabgeordnete Helmuth Markov ist das Problem nicht die Zielstellung sondern die Strategie, „mit der man das erreichen will“. Die heutigen Realitäten zeigten, dass die EU-Mitgliedsstaaten heute bei durchschnittlich 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum liegen, aber nur etwa ein Viertel der erhofften neuen Arbeitsplätze geschaffen hätten. Die „sehr schlecht bezahlten Arbeitsplätze“ seien das Problem. „Seit sechs Jahren wird dieser Kurs so weitergeführt. Auch die Leitlinien, die letzthin verabschiedet wurden und die jetzt auch in den nationalen Plänen umgesetzt werden, tragen genau diese Handschrift.“ Die Produktivitätsgewinne explodieren in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Lohnzuwächse „bleiben auf demselben Niveau“, sagte Markov in seiner Rede. Hohe Löhne brächten letztendlich auch Wirtschaftswachstum, doch dies erfordere ein politisches Umdenken.
Die EU-Kommission wehrt sich gegen das vernichtende Zeugnis, das ihnen im Bericht des in Brüssel ansässigen Think Tanks "Bruegel" ausstellt. Er basiere "auf unvollständigen und fehlerhaften Informationen", ziehe Schlüsse aus einem "sehr kurzen Zeitraum", stelle "tiefes Unverständnis der integrierten Leitlinien" unter Beweis und "ignoriere wichtige Argument gegen seine wichtigsten Empfehlung". Zwar enthalte der Bericht einige „nützliche Punkte“ zur Verbesserung der Lissabon-Strategie, doch vernachlässige er völlig, dass die wichtigsten Herausforderungen für jedes Land systematisch analysiert worden seien und dass der Bewertungsprozess sich erst entwickeln müsse. Ab 2007 würden außerdem länderspezifische Empfehlungen in den Jahresberichten der Kommission enthalten sein. Jetzt sei es noch zu früh, über die Umsetzung zu urteilen.
Markovs Fraktionskollege Tobias Pflüger machte noch auf einen anderen Umstand aufmerksam. Er bezeichnete es als „skandalös, dass ausgerechnet im 20. Jahr nach dem GAU von Tschernobyl Zweidrittel der Abgeordneten im Europäischen Parlament mit der Resolution zur Lissabonstrategie auch für die weitere Nutzung von Atomenergie gestimmt haben“. Atomkraft bleibe eine Risikotechnologie mit unabsehbaren Folgen. In der gesamten Spirale der Atomkraftnutzung werden Grundrechte verletzt und Lebensbedingungen zukünftiger Generationen unumkehrbar verschlechtert, sagte Pflüger.
Tobias Pflüger - 2006/03/16 13:26
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