Die Welt im Aufbruch

Kolumne in: Schwäbisches Tagblatt, 12. Mai 2006

Fernab von Europa gibt es einen linken Aufbruch. Das hat dazu geführt, dass in Lateinamerika sich immer mehr Menschen der neoliberalen Logik der Verarmung entgegenstellen. Jetzt hat Evo Morales, der neue Präsident Boliviens, beschlossen die Privatisierung der Gas- und Erdölfelder rückgängig zu machen, um den Reichtum des Landes auch für diejenigen zu nutzen, die bisher völlig leer ausgingen. Morales wird nächste Woche im Europaparlament sprechen, um für seine Politik zu werben. Doch schon laufen die Konservativen Sturm gegen die Einladung und wollen die Entscheidung von Morales auf die Agenda der Menschenrechtsverletzungen im Europaparlament setzen lassen. Auch der deutsche Außenminister Steinmeier zeigte sich besorgt, über den Schritt des bolivianischen Präsidenten.

Ich würde mir wünschen, dass sie sich auch nur für einen Augenblick in die Situation der Armen Boliviens versetzen und überlegen würden, ob deren soziale Rechte, wie das Recht auf Nahrung, nicht eine Initiative Wert gewesen wären, statt sich für die Privatisierung zugunsten von Großkonzernen einzusetzen. In Lateinamerika ist diese Haltung für den Großteil der Bevölkerung sowieso fernab der Realität. Aber auch in der EU beginnen immer mehr Menschen darüber nachzudenken, ob Wasser, Energie, Abfallwirtschaft und öffentlicher Verkehr in den Händen von privaten Großkonzernen gut aufgehoben sind. Für deren Profit zahlen dann die "Schlechterverdienenden" und die öffentlichen Haushalte die Zeche.

Das Beispiel Bolivien zeigt: Es gibt Alternativen. Wir müssen uns nicht mit Elend, Verarmung und dem Hunger von Millionen Menschen in aller Welt abfinden. Um diese Alternativen in Dialog zu setzen, findet seit gestern parallel zum offiziellen EU-Lateinamerikagipfel in Wien eine große Konferenz statt. Auf diesem Alternativengipfel geht es um die zentralen Fragen von Militarisierung und Menschenrechten sowie von Privatisierung und Verarmung. Die bisherigen Debatten zeigen: Es gibt den starken Wunsch, dass die EU ihre Beziehungen zu Lateinamerika grundlegend verändert. Denn bei den derzeitigen Verhandlungen von EU und lateinamerikanischen Staaten wird deutlich, dass die EU Menschenrechts- und Demokratiefragen nicht zu zentralen Anliegen der Handelsabkommen mit Lateinamerika machen möchte. Priorität genießt stattdessen wirtschaftlicher Freihandel, bei dem die ärmeren Staaten in Lateinamerika und die ärmeren Bevölkerungsteile weiter verlieren würden. Für eine Entwicklung von unten bleibt dagegen kein Raum.

Neben dem Aufbruch gegen den Neoliberalismus gibt es auch deutlich mehr Schwung für eine internationale Antikriegsbewegung gegen den drohenden Irankrieg. Das war auf dem Europäischen Sozialforum in Athen letzte Woche förmlich mit Händen zu greifen. Ganz klar wurde sich gegen eine weitere Eskalation des Atomstreits der EU3 (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) und der USA mit dem Iran gewandt. Die Politik der doppelten Standards nach dem Motto "Gute Urananreicherung in Deutschland, schlechte im Iran" verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit. Atomare Entwaffnung und Abrüstung müssen endlich allgemein auf die internationale Agenda. Dies ist auch eine Voraussetzung für jede soziale Verbesserung.

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