Chaostage in Wien
Pressebericht in: Junge Welt, 21.06.2006
Platzverbote und Straßensperrungen: In Österreichs Hauptstadt gilt für den EU-USA-Gipfel eine Art Ausnahmezustand. Dennoch vielfältige Protestaktionen gegen Bush
Otto Bruckner, Wien
Der Aufwand ist enorm, die Zelebrierung pompös. Am Dienstag abend traf US-Präsident George W. Bush in Wien ein. Ganze 20 Stunden wird sich der erste Mann Washingtons in der österreichischen Hauptstadt aufhalten. Große Teile der Innenstadt wurden deshalb mit »Platzverboten« belegt, für die An- und Abreise des Gastes sind ganze Straßenzüge sowie die Ostautobahn – die Fernverbindung nach Budapest und Bratislava – gesperrt. »Sie führen sich zum Teil auf, als gehörte ihnen Österreich«, wird in der Polizeizeitschrift Die Exekutive über die seit Monaten präsente Hundertschaft von US-Sicherheitsleuten geklagt.
Guantánamo und Irak
Während die amerikanische Seite die Bedeutung des EU-USA-Gipfels am heutigen Mittwoch bereits im Vorfeld relativierte, messen Repräsentanten der Europäischen Union dem Treffen große Bedeutung bei. US-Regierungsvertreter wiesen wiederholt darauf hin, daß ja die schwergewichtigen Ansprechpartner in Europa – Anthony Blair, Angela Merkel und Jacques Chirac – nicht dabei sein werden. Das wiederum dürfte den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ärgern, der den Gipfel als Krönung des österreichischen EU-Vorsitzes vermarkten und sich mit Blick auf die anstehenden Neuwahlen im Herbst als internationaler »Big player« profilieren möchte. Die öffentliche Debatte im Vorfeld des Gipfels ist von zwei Themen geprägt: Guantánamo und Irak. Schüssel kündigte an, er werde Bush um die Schließung des US-Militärgefangenenlagers »ersuchen«. Eine breite Front von Kriegsgegnern verlangte von Schüssel und der EU-Delegation, die sofortige Beendigung der Besatzung des Irak und die Schließung von Guantánamo dezidiert zu fordern. Auf der offiziellen Agenda des Gipfeltreffens stehen Themen wie Energiesicherheit und gemeinsame protektionistische sowie nachrichtendienstliche Maßnahmen. Befürchtet wird aber, daß Bush vor allem nach Wien gekommen ist, um für neue Kriegsziele wie einen Überfall auf den Iran zu werben.
Bereits am Wochenende fanden zahlreiche Protestaktionen statt: Auf einem Hausdach nahe des stark frequentierten Naschmarktes steht in drei Meter großen Lettern »Bush go home!«, Brücken über wichtige Durchgangsstraßen wurden mit Transparenten verziert, und seit Freitag gibt es laufend kleinere Kundgebungen.
Schülerstreik am Morgen
Am heutigen Mittwoch beginnt bereits um neun Uhr ein Schulstreik. In bemerkenswerter Einheit rufen sonst konkurrierende Gruppen wie die Sozialistische und die Kommunistische Jugend, »Revolution« und andere zu einer gemeinsamen Manifestation auf. Mit Spannung erwartet wird die Großdemonstration am Nachmittag. Zwei Zusammenschlüsse mobilisieren zu einem gemeinsamen Treffpunkt um 17 Uhr am Wiener Westbahnhof. In der Plattform »Bush go home« sind die antiimperialistische Linke sowie irakische, palästinensische, türkische, iranische und islamische Gruppen vertreten. Das zweite – recht spät ins Leben gerufene – Bündnis »stop Bush« steht stark unter dem Einfluß der »antinationalen« Kräfte in der KPÖ, bei den Grünen und den jungen Sozialdemokraten. Diese wollten im Vorfeld keinen Zusammenhang zwischen ihrer US-Kritik und der israelischen Besatzungspolitik hergestellt wissen. Außerdem herrscht bei einigen– getreu dem »antinationalen« Diktum, daß Antizionismus gleich Antisemitismus sei - die Vorstellung vor, man müsse linke Gruppen wie Antiimperialistische Koordination, Kommunistische Initiative und Arbeiterstandpunkt quasi unter Quarantäne stellen. Gegen Reden von Vertretern des irakischen und palästinensischen Widerstandes wurden ebenfalls Einwände erhoben.
Auch internationale Gäste werden in Wien erwartet: Der vor kurzem in der BRD mit Redeverbot belegte irakische Oppositionspolitiker Awni Kalemji, George Galloway aus London, der türkische Antikriegsaktivist Cihan Keskin, der während der US-Invasion 2003 als »menschliches Schutzschild« im Irak war, sowie der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger und die US-»Soldatenmutter« Cindy Sheehan sollen auf der Demonstration sprechen. Michael Pröbsting vom Bündnis »Bush go home« betonte, daß »eine kämpferische, die ganze Bandbreite des Widerstandes gegen den US-Imperialismus darstellende Manifestation« stattfinden werde, einige reformistische Gruppen hätten offenbar mehr die Eigenprofilierung in Hinblick auf die Herbstwahlen als das gemeinsame Ziel vor Augen. Die Antiimperialisten würden kein wie immer geartetes Redeverbot für einzelne Gruppen akzeptieren. Schlimmstenfalls gäbe es eben »zwei Demonstrationen in einer«.
www.bushgohome.at
www.stopbush.at
Platzverbote und Straßensperrungen: In Österreichs Hauptstadt gilt für den EU-USA-Gipfel eine Art Ausnahmezustand. Dennoch vielfältige Protestaktionen gegen Bush
Otto Bruckner, Wien
Der Aufwand ist enorm, die Zelebrierung pompös. Am Dienstag abend traf US-Präsident George W. Bush in Wien ein. Ganze 20 Stunden wird sich der erste Mann Washingtons in der österreichischen Hauptstadt aufhalten. Große Teile der Innenstadt wurden deshalb mit »Platzverboten« belegt, für die An- und Abreise des Gastes sind ganze Straßenzüge sowie die Ostautobahn – die Fernverbindung nach Budapest und Bratislava – gesperrt. »Sie führen sich zum Teil auf, als gehörte ihnen Österreich«, wird in der Polizeizeitschrift Die Exekutive über die seit Monaten präsente Hundertschaft von US-Sicherheitsleuten geklagt.
Guantánamo und Irak
Während die amerikanische Seite die Bedeutung des EU-USA-Gipfels am heutigen Mittwoch bereits im Vorfeld relativierte, messen Repräsentanten der Europäischen Union dem Treffen große Bedeutung bei. US-Regierungsvertreter wiesen wiederholt darauf hin, daß ja die schwergewichtigen Ansprechpartner in Europa – Anthony Blair, Angela Merkel und Jacques Chirac – nicht dabei sein werden. Das wiederum dürfte den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ärgern, der den Gipfel als Krönung des österreichischen EU-Vorsitzes vermarkten und sich mit Blick auf die anstehenden Neuwahlen im Herbst als internationaler »Big player« profilieren möchte. Die öffentliche Debatte im Vorfeld des Gipfels ist von zwei Themen geprägt: Guantánamo und Irak. Schüssel kündigte an, er werde Bush um die Schließung des US-Militärgefangenenlagers »ersuchen«. Eine breite Front von Kriegsgegnern verlangte von Schüssel und der EU-Delegation, die sofortige Beendigung der Besatzung des Irak und die Schließung von Guantánamo dezidiert zu fordern. Auf der offiziellen Agenda des Gipfeltreffens stehen Themen wie Energiesicherheit und gemeinsame protektionistische sowie nachrichtendienstliche Maßnahmen. Befürchtet wird aber, daß Bush vor allem nach Wien gekommen ist, um für neue Kriegsziele wie einen Überfall auf den Iran zu werben.
Bereits am Wochenende fanden zahlreiche Protestaktionen statt: Auf einem Hausdach nahe des stark frequentierten Naschmarktes steht in drei Meter großen Lettern »Bush go home!«, Brücken über wichtige Durchgangsstraßen wurden mit Transparenten verziert, und seit Freitag gibt es laufend kleinere Kundgebungen.
Schülerstreik am Morgen
Am heutigen Mittwoch beginnt bereits um neun Uhr ein Schulstreik. In bemerkenswerter Einheit rufen sonst konkurrierende Gruppen wie die Sozialistische und die Kommunistische Jugend, »Revolution« und andere zu einer gemeinsamen Manifestation auf. Mit Spannung erwartet wird die Großdemonstration am Nachmittag. Zwei Zusammenschlüsse mobilisieren zu einem gemeinsamen Treffpunkt um 17 Uhr am Wiener Westbahnhof. In der Plattform »Bush go home« sind die antiimperialistische Linke sowie irakische, palästinensische, türkische, iranische und islamische Gruppen vertreten. Das zweite – recht spät ins Leben gerufene – Bündnis »stop Bush« steht stark unter dem Einfluß der »antinationalen« Kräfte in der KPÖ, bei den Grünen und den jungen Sozialdemokraten. Diese wollten im Vorfeld keinen Zusammenhang zwischen ihrer US-Kritik und der israelischen Besatzungspolitik hergestellt wissen. Außerdem herrscht bei einigen– getreu dem »antinationalen« Diktum, daß Antizionismus gleich Antisemitismus sei - die Vorstellung vor, man müsse linke Gruppen wie Antiimperialistische Koordination, Kommunistische Initiative und Arbeiterstandpunkt quasi unter Quarantäne stellen. Gegen Reden von Vertretern des irakischen und palästinensischen Widerstandes wurden ebenfalls Einwände erhoben.
Auch internationale Gäste werden in Wien erwartet: Der vor kurzem in der BRD mit Redeverbot belegte irakische Oppositionspolitiker Awni Kalemji, George Galloway aus London, der türkische Antikriegsaktivist Cihan Keskin, der während der US-Invasion 2003 als »menschliches Schutzschild« im Irak war, sowie der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger und die US-»Soldatenmutter« Cindy Sheehan sollen auf der Demonstration sprechen. Michael Pröbsting vom Bündnis »Bush go home« betonte, daß »eine kämpferische, die ganze Bandbreite des Widerstandes gegen den US-Imperialismus darstellende Manifestation« stattfinden werde, einige reformistische Gruppen hätten offenbar mehr die Eigenprofilierung in Hinblick auf die Herbstwahlen als das gemeinsame Ziel vor Augen. Die Antiimperialisten würden kein wie immer geartetes Redeverbot für einzelne Gruppen akzeptieren. Schlimmstenfalls gäbe es eben »zwei Demonstrationen in einer«.
www.bushgohome.at
www.stopbush.at
Tobias Pflüger - 2006/06/21 09:01
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