Stralsund atmet auf

Pressebericht in: Junge Welt, 14.07.2006

Eines muß man Angela Merkel lassen, ihre Wahlkampfshow war professionell inszeniert: Als Stargast schwebte US-Präsident George W. Bush am Donnerstag auf Stralsund nieder, 1000 Jubel-Mecklenburger schwenkten Fähnchen, und Hundertschaften Journalisten verbreiteten nach Hofschranzenart jede Nichtigkeit als wichtige Nachricht in alle Welt.

Der dritte Besuch des US-Präsidenten in Deutschland hätte ein perfektes Spektakel sein können, wären da nicht einige Schönheitsfehler gewesen: Die gesperrte Innenstadt war so menschenleer, daß sie eher einer Geisterbahnkulisse glich; die Umgebung glich mit etwa 12 500 eingesetzten Polizisten einer Festung; ein Drittel der Fähnchenschwenker waren abgeordnete Bundeswehrsoldaten. Und die Begeisterung der Einheimischen hielt sich deutlich in Grenzen.

Dann waren da noch die Demonstranten, die die Propaganda von »freedom and democracy« und den »american way of life« in Frage stellten: Etwa 4 000 protestierten nach Veranstalterangaben friedlich gegen den Besuch Bushs, dem sie vorwarfen, nicht nur Staatsterrorist, sondern auch die größte Gefahr für den Frieden in aller Welt zu sein.

Dieser Meinung sind aber nicht nur Friedensaktivisten – auch ein Teil der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ist dieser Ansicht. Zum Ärger von Merkels CDU nahmen an der Demonstration zahlreiche prominente Politikerinnen und Politiker der Linkspartei.PDS teil– der stellvertretende Ministerpräsident Wolfgang Methling etwa, seine Ministerkollegin Marianne Linke, die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke, Ulla Jelpke, Inge Höger-Neuling sowie der Europaabgeordnete Tobias Pflüger. Gehrcke und Methling sprachen auch auf der Abschlußkundgebung. Gesichtet wurde ebenso der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace war es gleich an mehreren Stellen gelungen, gegen Bush zu demonstrieren. Trotz massiver Sicherheitsvorkehrungen gelangten am Donnerstag vormittag zwei Demonstranten auf den Turm der Nikolaikirche, die Bush am Nachmittag besuchte. Sie entfalteten dort für kurze Zeit ein Plakat mit der Aufschrift: »No Nukes – No War – No Bush«. Nach Greenpeace-Angaben wurden 21 Personen kurzfristig festgenommen. Nach Stralsund gekommen waren auch vier Vertreterinnen der »Großmütter für den Frieden« aus New York. Sie kritisierten die Politik ihres Landes und bezeichneten Bush als Kriegsverbrecher.

Selbst die anpassungsfreudige SPD, die gemeinsam mit der Linkspartei.PDS die Landesregierung stellt, war zum Merkel-Gast vorsichtig auf Distanz gegangen. Ministerpräsident Harald Ringstorff wollte zwar nicht so weit gehen wie der Stralsunder SPD-Ortsverband, der den Bush-Besuch abgelehnt hatte – mehr als protokollarische Artigkeiten hatte er für den Staatsgast aber nicht übrig. In Interviews hatte er sich zuvor kritisch über die Kriegspolitik der USA geäußert und Verständnis für deren Kritiker gezeigt. In letzter Minute war dem Bundeskanzleramt eingefallen, auch den Ministerpräsidenten für den Abend zu einer Party mit gegrilltem Borstentier einzuladen: Ringstorff wollte mit dem Schwein aber nichts zu tun haben; er sagte mit der Begründung ab, er habe schon andere Termine.

Die CDU ist verärgert darüber, daß ihr Wahlkampfgag nicht so richtig ankam. Ringstorffs CDU-Herausforderer zur Landtagswahl in acht Wochen, Jürgen Seidel, warf dem Regierungs­chef »Stillosigkeit« vor. Sein Vorgänger, der heutige Bundestagsabgeordnete Eckhardt Rehberg, kritisierte, Ringstorff habe Bush auf dem Flugplatz Rostock-Laage abweisend begrüßt. Das sei »einfach nur traurig«.

Das Programm des 36stündigen Besuchs von Bush kennt man so oder ähnlich von anderen Staatsbesuchen: Gemeinsamer Besuch einer Kirche, das berühmte Bad in der Menge, handverlesenes Händeschütteln, Austausch von Gastgeschenken. Stralsund war allerdings nur eine Durchgangsstation von Bush – er reist heute weiter zum G-8-Gipfel nach St. Petersburg, wo wiederum Tausende Demonstranten auf ihn warten.

Peter Wolter und Harald Mühle

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