Zur Entwicklung der Militärpolitik in der Europäischen Union

Beitrag von Tobias Pflüger zum 14. Dresdner Friedenssymposium am 11. Februar 2006

Wir leben in relativ harten Zeiten, und im Europäischen Parlament bekomme ich eine Reihe von Entwicklungen im Bereich der Militärpolitik der EU sehr viel hautnaher mit, als das vorher der Fall war. Es ist ja jetzt die österreichische Ratspräsidentschaft gestartet, und von der Theorie her würde man sagen, endlich ein neutraler Staat, der im Bereich der Außen- und Militärpolitik andere Akzente setzen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Unter der österreichischen Ratspräsidentschaft spielt der Bereich Außen- und Militärpolitik eine ganz wesentliche Rolle, und die österreichische Ratspräsidentschaft treibt die Militarisierung der EU voran wie bisher keine der vorherigen
Regierungen. Interessant ist, wie die österreichische Regierung das selbst begründet. Schließlich muss sie mit ihrer eigenen Verfassung umgehen, die immerhin eine immerwährende Neutralität festschreibt.

Es gibt zwei interessante Internetseiten für die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs, und ich will zitieren, was die österreichische Regierung sagt, warum sie diesen Militärbereich so forcieren will:

„Das Bekenntnis Österreichs zu einer aktiven und solidarischen Mitwirkung an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik stellt eine konsequente Fortsetzung jener Politik dar, die Österreich seit seinem EU-Beitritt im Januar 1995 verfolgt. Mit seinem Beitritt zur EU hat Österreich den gesamten rechtlichen und politischen Justizstand der Union übernommen, der auch den Vertrag von Maastricht und dessen Bestimmungen über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasste. Artikel J 4 dieses Vertrages eröffnet die Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Bei einer Volksabstimmung im Juni 1994 hatten 2/3 der österreichischen Wähler einem EU-Beitritt zu diesen Bedingungen zugestimmt.“

Wenn ich mich zurückerinnere, spielte eine militärische Komponente in dieser Debatte kaum eine Rolle.

„In die österreichische Bundesverfassung wurde anlässlich der Ratifizierung der österreichischen EU-Beitrittsakte eine Bestimmung aufgenommen, die bewirkt, dass Beschlüsse, die im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik getroffen werden, Vorrang vor dem Neutralitätsgesetz haben. Das ist der so genannte Verfassungsbestimmung-Artikel 3 f. Er wurde im Zusammenhang mit der Ratifizierung des EU-Vertrages in der Verfassung von Amsterdam dahingehend novelliert, dass die Mitwirkung Österreichs an den Petersberg-Aufgaben, dazu zählen auch Kampfeinsätze zur Friedensdurchsetzung, durch das Neutralitätsgesetz keine Einschränkung erfährt.“

Ich finde, es ist relativ offensichtlich, dass sich die österreichische Regierung die Neutralität zurechtbiegt und aus der offiziellen Neutralität heraus selbst zu einem aktiven Akteur der Militarisierung wird.

Ich habe mir das Programm der österreichischen Ratspräsidentschaft angesehen, um die österreichische Außenpolitik bewerten zu können. Die österreichische Ratspräsidentschaft hat eine Reihe von Punkten herausgegriffen, die sie bearbeiten will. Sie sagt, wesentlich sei der weitere Aufbau der militärischen Kapazitäten.

Ein ganz zentraler Bereich sei der Balkan als natürliches Bündnisgebiet Österreichs. Es gäbe historische Bezüge, und man will als österreichische Ratspräsidentschaft die zivil-militärische Zusammenarbeit verstärken, man will die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO intensivieren, man will die so genannten ESVP-Operationen weiter ausbauen, also die militärischen Operationen der EU, und man will den EU-Verfassungsvertrag, der ja tot ist, wieder beleben und insbesondere die Teile, die dort im Militärbereich festgeschrieben sind, umsetzen.

Ich will jetzt im Einzelnen beschreiben, was mit der militärischen Komponente der EU genau gemeint ist. Da gibt es die European Rapid Reaction Corps, die EU-Eingreiftruppen, die damals im so genannten Helsinki-Headline-Goal 2010 festgeschrieben worden sind. Es sollen jeweils 60.000 Soldaten von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU zur Verfügung gestellt werden. Diese EUEingreiftruppe soll bis zum Jahr 2010 vollständig einsatzfähig sein. Daneben soll es die so genannten Battle Groups geben. Deutsche Übersetzung: Schlachttruppen. Das ist endlich ein Name,
der konkret benennt, worum es geht. Das habe ich schon im Auswärtigen Ausschuss gesagt. 13 EU Battle Groups sind geplant, je 1.500 Soldaten. An 6 solcher Battle Groups ist Deutschland wesentlich beteiligt.

Diese Battle Groups sind so etwas wie Elitekampfgruppen der EU und sollen Stück für Stück ab dem Jahr 2007 einsatzfähig sein, also ab nächstem Jahr. Eigentlich war vorgesehen, dass die ersten im Kongo eingesetzt werden, aber man war noch nicht ganz so weit. Zu dem Bereich der militärischen Kapazitäten gehört auch die so genannte Rüstungsagentur, inzwischen in Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung,
Beschaffung und Rüstung umbenannt. Diese Rüstungsagentur hat den Sinn, dass die verschiedenen Militärprojekte, die im Bereich der EU laufen, koordiniert werden und dann effektiver durchgeführt werden können als bisher. Die rechtliche Basis, auf die sich diese so genannte Rüstungsagentur derzeit gründet, ist nur eine informelle Vereinbarung zwischen den EU-Regierungschefs. Mehr gibt es dazu nicht. Auf meine Frage im Auswärtigen Ausschuss, warum das eigentlich so ist, hieß es, dass demnächst ja der EU-Verfassungsvertrag komme, und dann hätte die Rüstungsagentur eine umfassende rechtliche Grundlage.

Der Balkan ist einer der Hauptbereiche, in dem die österreichische Ratspräsidentschaft aktiv sein will. Der EU wird es jetzt darum gehen, und das war ja auch der Deal mit der österreichischen Regierung, als die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschlossen wurden, dass gleichzeitig die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien beginnen. Deshalb wird der EU-Beitritt Kroatiens von Österreich mit hoher Priorität vorangetrieben. Ebenso wird die Frage des Kosovo weiter behandelt. Bei den informellen Gesprächen des Auswärtigen Ausschusses in Wien hieß es, der Kosovo müsste eigenständig werden, und auf Nachfrage wurde gesagt, Ziel müsste eine eigenstaatliche Struktur sein, was nichts anderes bedeutet, als eine Herausbrechung aus Serbien-Montenegro. Das ist nicht die bisherige EU-Position. Bisher versuchte man, die Linie von Kai Eide, dem UNVerantwortlichen,
zu stützen, der das im Moment noch offen hält. Das Herausbrechen ist die österreichische Position.

Ein ganz wesentliches Moment dieser österreichischen Ratspräsidentschaft ist die zivil-militärische Zusammenarbeit bzw. zivil-militärische Vermischung. Ich will zitieren, wie das dargestellt wird: Da heißt es, „ein besonderes Augenmerk wird Österreich als Präsidentschaft darauf richten, die Voraussetzungen für eine optimale Koordination zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen der EU im gesamten Spektrum möglicher Krisen-Engagement-Operationen, einschließlich der Krisenprävention, zu schaffen“. Dann heißt es weiter: „Den weiteren Ausbau der EU-Planungskapazitäten durch optimale Nutzung der neuen zivil-militärischen Zellen im Militärstab wird dabei eine besondere Bedeutung zukommen.“

Wenn man sich die Papiere dieser zivil-militärischen Zusammenarbeit genau anschaut, sieht man, dass die zivile Komponente Vor- und Nachsorge der militärischen Komponente ist und damit praktisch so etwas wie ein zusätzliches Element darstellt Es geht überhaupt nicht mehr darum, ob alternativ zivile Komponenten eingesetzt werden oder militärische, sondern es wird vermischt. Es gibt z.B. ein sehr spannendes und ziemlich problematisches Papier, die so genannte Human-Security-Doktrin, zu der mein Kollege Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung bei ISW München eine sehr aufschlussreiche Broschüre geschrieben hat. In dieser Human-Security-Doktrin geht es nach Aussage zweier Autorinnen - Marlies Glasius und Mary Kaldor - um, so wörtlich die Überschrift ihrer Kurzfassung in der Frankfurter Rundschau, Überlegungen für eine neue Interventionspolitik der Europäischen Union.

Die zivilen Komponenten haben die Aufgabe, Vor- und Nachsorge zu betreiben, und das Spannende ist jetzt, wie die verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und Hilfsorganisationen sich dazu verhalten. Ich war in Luxemburg zu einem Treffen von NGOs eingeladen, und da drittelte sich die Position, wie man sich dazu verhalten soll. Ein Drittel sagte, es ist doch kein Problem, wenn wir mit den Militärs zusammenarbeiten, dann sind wir wenigstens effektiv. Ein Drittel war sich sehr unsicher, was sie davon halten sollten, und ein Drittel sagt, wir arbeiten grundsätzlich als humanitäre Organisation nicht mit dem Militär zusammen, weil wir dann genauso so behandelt werden wie die Militärs.

Es gibt in den verschiedenen Konflikten und Kriegen eine ganze Reihe von Beispielen, wo genau das passiert ist: Wenn Hilfsorganisationen mit Militär irgendwo hingebracht wurden, wurden sie logischerweise von der Bevölkerung als Teil dieser Maschinerie verstanden. Es gibt inzwischen auch die Situation, z.B. in Afghanistan, dass dann von Seiten der jeweiligen Truppen, die vor Ort sind, konkrete Bedingungen gestellt werden, wonach die Hilfsorganisationen praktisch die Unterstützung des Militärs in Anspruch zu nehmen haben, da sie sonst nicht mehr weiter vor Ort geduldet würden. Es wird eine sehr heiße Debatte innerhalb dieser Entwicklungshilfe- und
humanitären Organisationen geben, weil das nämlich bedeutet, entweder man lässt sich für ein sehr problematisches Konzept instrumentalisieren, oder man setzt eindeutig andere Akzente. Ich hoffe,
das zweite ist deutlich häufiger der Fall.

Ein weiterer Punkt, der bei der österreichischen Ratspräsidentschaft sehr wichtig erscheint, ist die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Auch da ein Zitat: „Mit der NATO unterhält die EU eine strategische Partnerschaft im Bereich des Krisenmanagements. So stellt die NATO zum Beispiel der EU in bestimmten Bereichen im Rahmen der Vereinbarungen, die auch als Berlin Plus Arrangement bekannt sind, für konkrete Operationen militärische Mittel und Fähigkeiten zur Verfügung.“ Bisher ist es das Ziel der EU, auf NATO-Kapazitäten zurückzugreifen, um später eigenständig, unabhängig von der NATO, militärisch agieren zu können. Das geht aber derzeit nicht, weil noch keine vollkommen autarken eigenen militärischen Strukturen vorhanden sind. Also greift man zur Zeit auf ein NATO-Equipment zurück.

Es gibt ein Drei-Phasen-Modell: Phase eins war der Aufbau der militärischen Strukturen im Bereich der Europäischen Union. Diese Phase geht jetzt zu Ende, die Strukturen stehen ab nächstem Jahr zur Verfügung. Phase zwei ist dann die Nutzung der Kapazitäten der NATO, und Phase drei wird dann darin bestehen, dass die EU eigenständig militärisch agieren kann, ohne Rückgriff auf NATOStrukturen.

Dieses Berlin Plus Abkommen ist auch in insofern sehr wichtig, als viele immer wieder sagen, es gäbe ja nach wie vor so was wie ein ziviles Projekt Europäische Union. Mit diesem Berlin Plus Abkommen ist dieses Projekt auf jeden Fall auch im Bereich der Verträge vorüber, weil es ja diese strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO gibt.

Jetzt will ich zu den verschiedenen Militäroperationen der Europäischen Union kommen, die sie derzeit durchführt oder durchgeführt hat. Jedes Mal, wenn ich das aufliste, erschrecke ich, wie viele das inzwischen gewesen sind, oder wie viel da derzeit im Bereich der Militärpolitik der EU ansteht.

Bei den Missionen, die ich jetzt beschreiben werde, fällt auf, dass es häufig gemischte Polizei-Militärmissionen waren oder sind. Das ist aber eine bewusste zivil-militärische Vermischung. Es gibt von Januar 2003 bis heute eine so genannte Polizeimission EUPM in Bosnien-Herzegowina. Vom März bis September 2003 fand ein Militäreinsatz in Mazedonien statt, der Einsatz Concordia, mit Rückgriff auf NATO-Mittel. Vom Dezember 2003 bis Dezember 2005 gab es – ebenfalls in Mazedonien – eine Polizeimission EUPOL Proxima, die die Nachfolgeoperation dieser Militäroperation war und die am Anfang eine sehr militärische Komponente hatte. Von Juni bis September 2003 fand im Kongo der Einsatz ARTEMIS statt. Er war ein ganz zentraler Testeinsatz für den Bereich der Europäischen Union. Und ab September 2004 begann der derzeit wichtigste Einsatz für die Europäische Union, der Einsatz ALTHEA-EUFOR, der vorher als SFOR-Einsatz der NATO firmiert war. ALTHEA-EUFOR ist praktisch das Flaggschiff der EU-Militäreinsätze. So wird es auch von den Militärs bezeichnet, die zu uns in den Ausschuss kommen.
Von Juli 2004 bis Juli 2005 fand der Einsatz der EU in Georgien statt. Das war diese polizeimilitärische Unterstützung von Strukturen in Georgien, die vor allem strategisch wichtig war, um als EU und Deutschland in Georgien Präsenz zu zeigen, um in Georgien mitzuspielen, um zu zeigen, wer dort eigentlich jener Hauptakteur ist, der am meisten Einfluss nehmen kann: USA, Russland oder die EU? Insofern war das vor allem ein geopolitisch wichtiger Einsatz.
Seit April 2005 findet eine Ausbildung der kongolesischen Polizei im Rahmen von EUPOL Kinshasa statt, und seit Mai 2005 wird er mit der Operation EUSEC Kongo gekoppelt. Interessant ist, dass bei diesem Einsatz im Kongo eine ganze Reihe von Dingen bei denjenigen schief laufen, die ihn selbst durchführen. Es gab im Mai letzten Jahres eine Demonstration, die von kongolesischen Polizisten niedergeschossen wurde - mit mehreren Toten. Ich habe daraufhin 5 Tage später im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung eine Untersuchung beantragt. Nach zwei
weiteren Sitzungen bekam ich dafür eine Mehrheit, so dass sich der Ausschuss dem Untersuchungsbegehren angeschlossen hat. Auf Anfrage an den Vorsitzenden des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung, Herrn Karl von Wogau (CDU), kam die Antwort, dass sich der EU-Rat, also die Präsidentschaft der EU, nicht in der Lage sehe, dazu etwas zu sagen. Die gleiche Antwort bekam ich im Auswärtigen Ausschuss. Der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung hat dann einen Brief an Herrn Solana geschrieben. Diesen Brief hat Herr Solana nie beantwortet. Es besteht von Seiten des EU-Rates kein Interesse, diesen Sachverhalt, ob bei der damaligen Demonstration Polizisten mit involviert waren, die vorher von der EU ausgebildet worden waren, aufzuklären. Dieser Vorfall zeigt auch, welche Macht das EU-Parlament hat. Wir können dies und jenes feststellen, wir werden im Bereich der Außen- und Militärpolitik auf dem Laufenden gehalten, Beschlusskraft hat das Europäische Parlament nicht.

Weiter mit den Einsätzen der Europäischen Union: Seit Juli 2005 werden irakische Polizisten und Militärs im Rahmen von EU Just Lex ausgebildet. Das ist insofern sehr wichtig, weil sich damit die Europäische Union am Besatzungsregime im IRAK aktiv beteiligt, indem sie Besatzungstruppen direkt ausbildet. Im Juli 2005 wurde im Sudan eine Unterstützungsmission für die Afrikanische Union, für AMIS 2 beschlossen, und seit September 2005 gibt es eine EU-Beobachtermission in Aceh, in Indonesien. Seit dem 15.11.2005 existiert in Raffah, an der Grenze zwischen den palästinensischen Gebieten und Ägypten, mit Zustimmung Israels eine Mission der EU. Ab 01.12.2005 besteht eine Beobachtermission an der ukrainisch-moldawischen Grenze, die so genannte Border-Assistance Mission. Und seit 01.01.2006 gibt es die so genannte Mission EUPOL COPPS. Das ist eine Ausbildungsmission für die Polizei in Palästina. Und wenn der Einsatz EUPOL PROXIMA in Mazedonien ausgelaufen sein wird, wird es eine neue Mission geben, die EUPAT. Dabei geht es dann besonders um die Ausbildung von Polizei und Militär.

Das ist die inzwischen umfangreiche Liste von Polizei- und Militäraktionen der EU. Der Vorsitzende des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung, Karl von Wogau, hat vor kurzem formuliert, er habe keinen Überblick mehr, wo sich EU-Soldaten überall in der Welt bewegen. Und die Frage ist berechtigt: Wer hat den noch? Ich glaube, niemand mehr, und politisch ist das wahrscheinlich auch so beabsichtigt, denn die EU will ein militärisch fundierter Global Player werden. Deshalb ist es notwendig, überall denjenigen auf die Finger zu schauen, die EU-Soldaten in alle Welt schicken wollen.

Nun ist auch noch ein Militäreinsatz im Kongo geplant. Es gibt durchaus Widerstände gegen diesen Kongo-EU-Militäreinsatz, zum Beispiel von deutscher Seite. Frau Merkel ist nun doch wieder dafür, Herr Jung ist immer noch dagegen, aber wird wahrscheinlich demnächst auch dafür sein. Und als Begründung für dieses Durcheinander wird angeführt, dass es im Moment ein bisschen viel sei, was man an Einsätzen hätte, und man nicht so genau wisse, was Deutschland im Kongo jetzt solle, weil es ja eigentlich ein französisches Interessengebiet sei.

Vor kurzem stellte sich heraus, dass es zu Beginn keine UN-Anfrage für diesen Einsatz gab. Es herrscht ja weltweit die Meinung vor, wenn die UN fragt, dann könne man ja nicht anders. Jetzt war zu lesen, dass die UN-Anfrage wahrscheinlich von Frankreich lanciert wurde. Auf diese Weise wollte Frankreich Deutschland mit ins Boot ziehen.
Ein ganz wichtiger Aspekt dieser militärischen Komponente der EU ist die Finanzierung. Nach dem geltenden EU-Vertrag, dem Nizza-Vertrag, ist es verboten, einen eigenständigen EU-Militärhaushalt zu haben. Deshalb, so Herr Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, bräuchte man den neuen Verfassungsvertrag. Das ist logisch, denn dann hätte man nämlich einen eigenständigen Militärhaushalt. Jetzt fragt man sich natürlich, wie finanzieren die Regierenden die einzelnen Militäreinsätze eigentlich?

Wir sind gerade als Abgeordnetenbüro dabei, zusammen mit einer Fraktionsmitarbeiterin, die gesamten Militäreinsätze durchzugehen und zu überprüfen, wo jeweils das Geld herkommt. Das bisherige Ergebnis zeigt, dass es aus sehr verschiedenen Töpfen stammt. Der eine Topf, das ist der ATHENA-Topf, genannt nach der Göttin Athena, und dabei gibt es den ATHENA-Mechanismus. Er bedeutet, dass die verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten in einen Topf Geld einzahlen und daraus den Militäreinsatz, in diesem Fall den Einsatz in Bosnien, finanzieren.

Auf meine Frage, wie viel denn in diesem Topf drin sei, bekam ich als Antwort: Das müssen wir Ihnen nicht sagen, das ist kein EU-Topf. Und dann meinte ich, ich muss doch aber wissen, wie die EU-Mission in Bosnien finanziert wird. Antwort: Dann fragen Sie doch einfach bei den 24 EUMitgliedsstaaten nach, die darin einzahlen. 24 deshalb, weil ja Dänemark nicht an der militärischen Komponente der EU teilnimmt. Bei uns in der Fraktion sind nicht alle Mitgliedsstaaten vertreten, aber ich bin jetzt die einzelnen Abgeordneten durchgegangen, ob sie nicht einmal in ihren Parlamenten zuhause anfragen lassen können, was von den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten eingezahlt wird. Meine lieben neuen Kollegen von der Linksfraktion im Bundestag habe ich damit auch schon belästigt. Sie werden nun dazu eine Anfrage einbringen.

Mit dem ATHENA-Mechanismus findet eine Finanzierung aus einem schwarzen Loch statt, und was in diesem schwarzen Loch drin ist, wissen wir nicht. Der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion, Esko Seppänen aus Finnland, und ich sind da im Moment um Aufklärung bemüht.

Ein Teil der Militäreinsätze wird, man höre und staune, über den Europäischen Entwicklungsfonds finanziert. Für diese Militäreinsätze werden also Entwicklungshilfegelder benutzt. Daraufhin gab es eine etwas heftigere Debatte im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung, als ich das rausbekommen hatte und gesagt habe, dass es einem offenen Betrug gleichkommt, Entwicklungshilfegelder für Militäreinsätze zu verwenden.

Wenn die Leute Entwicklungshilfe lesen, dann gehen sie davon aus, dass das auch wirklich Entwicklungshilfe ist und nicht irgendeine Unterstützung für Militäreinsätze. Als Antwort bekam ich: Ja, wie sollen wir denn das anders machen, wir dürfen ja keinen eigenständigen EUMilitäraushaben ausweisen, weil das der Nizza-Vertrag verbietet. Dazu bräuchte es den neuen EUVerfassungsvertrag, der ja zum Glück derzeit auf Eis gelegt ist.

Meine Antwort auf die Frage, wie dann EU-Militäreinsätze finanziert werden, lautet: Wenn es illegal ist, EU-Militäreinsätze zu finanzieren, dann sollte man sie - auch aus diesem Grund - nicht durchführen. Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Finanzierung der EU-Militäreinsätze, es gibt nur offizielle Tricks, wie den ATHENA-Mechanismus. Des weiteren gibt es so genannte Ad-hoc-Finanzierungen. Das heißt, bei den einzelnen Einsätzen wird bei den Mitgliedsstaaten nachgefragt, wer was wofür zahlt? Auch bei diesen Ad-hoc-Finanzierungen sind keine konkreten Zahlen zu bekommen, weil ja die Mitgliedsstaaten zahlen und nicht die EU.

Diese Finanzierungstricks stellen einen handfester Skandal dar. Wir haben einen Juristen eingeschaltet der prüft, ob man da klagen kann. Ich habe noch keine Rückantwort. Aber die Frage ist berechtigt, ob die Finanzierung der EU-Militäreinsätze noch rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht.

Jetzt komme ich zu dem, was der österreichischen Ratspräsidentschaft besonders wichtig ist, nämlich der EU-Verfassungsvertrag. Wir haben von der österreicherischen Ratspräsidentschaft mitgeteilt bekommen, welche Vorteile der Verfassungsvertrag für die militärische Komponente der EU bietet. Bisher haben nämlich die Mitgliedsstaaten und die bisherigen EU-Präsidentschaften immer gesagt, dass das gut für den Militärbereich sei. Aber das konkrete Was und Wie mussten wir immer selbst formulieren. Die Analysen, die sie danach machen, bestätigten dann, was wir vorher formuliert hatten.

Ich zitiere: „Der Text des EU-Verfassungsvertrages enthält auch Neuerungen im Bereich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Darunter folgende: Eine Ausweitung der Petersberg-Aufgabe auf die Bereiche Abrüstungsmaßnahmen, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Konfliktverhütung und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten.“ Diese Ausweitung der Petersberg-Aufgaben ist im Verfassungsvertrag tatsächlich festgeschrieben. Der Bereich Gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen besagt, dass andere Staaten abgerüstet werden sollen. Das sind nichts anderes als so genannte Abrüstungskriege. Deshalb gibt
es auch eine Erweiterung der Petersberg-Aufgaben, weil es nämlich zu den bisherigen Kampfeinsätzen weitere sehr spezielle Kampfeinsätze geben soll.

Außerdem heißt es: „Eine weitere Neuerung im Bereich des ESVP ist die Einrichtung einer europäischen Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten.“ Die gibt es schon seit anderthalb Jahren, aber auf keiner vernünftigen Rechtsgrundlage, sondern auf der Ebene einer Vereinbarung der EU-Regierungschefs. Weiter schreibt die österreichische Ratspräsidentschaft, dass es die Möglichkeit gibt, dass jene EU-Mitgliedstaaten, welche besondere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die untereinander auf diesem Gebiet verbindliche Zusagen machen wollen, eine „ständige strukturierte Zusammenarbeit“ begründen.

Wir erinnern uns, dass es im Art. I-41 (6) des geplanten EU-Verfassungs-vertrages heißt: „Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind, begründen eine ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union.“

Das ist meiner Meinung nach der zentrale Punkt des EU-Verfassungsvertrages – diese so genannte ständige strukturelle Zusammenarbeit. Dahinter verbirgt sich das militärische Kerneuropa, das mit diesem Verfassungsvertrag festgeschrieben werden soll. Von der österreichischen Ratspräsidentschaft wird es offen benannt. Der ehemalige österreichische Verteidigungsminister Herbert Scheibner schreibt dazu: „Damit wäre der Weg für die Herausbildung eines verteidigungspolitischen Kerneuropas frei.“

Punkt vier besagt: „Die Einführung einer Beistandsgarantie für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen EU-Mitgliedsstaat“. Dabei wird auf Betreiben Irlands, Schwedens, Finnlands und Österreichs ausdrücklich angemerkt, dass dies den besonderen Charakter der Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten unberührt lässt, nämlich die Einführung einer so genannten Solidaritätsklausel für alle EU-Mitgliedsstaaten zur Bewältigung terroristischer Bedrohung und Katastrophen.

Dann heißt es: „Selbst wenn der Verfassungsvertrag in seiner gegenwärtigen Form nicht in Kraft treten sollte, gilt es freilich anzumerken, dass einige der obigen Ideen ohne eine Änderung des EUPrimärrechts nicht verwirklicht werden können“. Genau das erlebe ich derzeit in den Ausschüssen. Die Regelungen des Militärbereiches im EU-Verfassungsvertrag werden ohne die Ratifizierung des Verfassungsvertrages umgesetzt.

Da ist zum Beispiel die strukturierte Zusammenarbeit: Phillipe Morillon, ein liberaler Europaabgeordneter aus Frankreich, er war einmal UNPROFOR-Kommandeur in Bosnien, meinte vor kurzem im Auswärtigen Ausschuss: „Ja sagen Sie mal, wie regeln wir denn das mit dieser strukturierten Zusammenarbeit? Das ist doch so wichtig, könnten wir das nicht irgendwie machen ohne Ratifizierung?“ Das Ergebnis der Debatte bestand darin, dass die Militärs das erst einmal prüfen sollten. Der Vertreter der damaligen britischen Ratspräsidentschaft gab offen zu, dass die
strukturierte Zusammenarbeit doch schon jetzt umgesetzt würde. Politisch heißt das: Die Regierenden setzen jetzt schon einen Teil des EU-Verfassungsvertrages um, ohne ihn überhaupt zu ratifizieren.

Zum Verfassungsvertrag selber hat, als wir in Österreich waren, Herr Brok offen gesagt, wie es weitergehen solle: „Na gut, jetzt kommt die österreichische Ratspräsidentschaft, die macht Werbung für den Verfassungsvertrag, dann kommt die finnische Ratspräsidentschaft, die macht ebenfalls Werbung für den Verfassungsvertrag. Und dann kommen die Deutschen, und die tüten es ein.“ Und dazu braucht man natürlich noch einen Termin, der vorübergehen muss. Das sind die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Jacques Chiracs Aussage war nur, dass er sich als Präsident Frankreichs an das abgehaltene Referendum halte. Sollte allerdings Chirac nicht mehr Präsident
sein, könne anders entschieden werden. Sollte z.B. Nicolas Sarkozy Präsident werden, wäre er nicht an die Zusage von Chirac gebunden. Oder es würde jemand von den Mehrheitssozialisten in Frankreich kandidieren und würde Präsident. Auch er oder sie müssten sich dann nicht an das Referendum halten. Der Plan von Herrn Brok ist, bei einem neuen französischen Präsidenten an den EU-Verfassungsvertrag eine zusätzliche Sozialklausel unverbindlich anzufügen und so die entsprechende notwendige Akzeptanz zu bekommen.

Das Referendum in den Niederlanden war ja ohnehin nicht bindend, und somit könnte der EUVerfassungsvertrag dann doch noch unter Dach und Fach gebracht werden. Kein schönes Szenario, wie ein Todgeweihter, dieser EU-Verfassungsvertrag, hier mit Tricks doch noch in Kraft treten soll. Meine Befürchtung ist, dass das geschilderte Szenario relativ realistisch ist. Dieser Verfassungsvertrag ist für diejenigen, die ihn wollen, so etwas wie ein Liebesobjekt, weil sie ihn einfach nicht loslassen können. Das Europäische Parlament hat vor kurzem beschlossen, dass der vorgelegte Verfassungsvertrag nach wie vor die Diskussionsgrundlage sei, trotz seiner Ablehnungen in Frankreich und in den Niederlanden.

Ich komme abschließend zu einem Problem, das die Europäische Union wesentlich mit eskaliert, den Konflikt mit dem Iran. Es sind diesmal nicht nur die USA, sondern auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die den Konflikt mit dem Iran eskalieren. Die Sprüche, die von den verschiedenen Regierungen kommen, sind unerträglich. Von Seiten der US-Regierung wurde auf der so genannten Sicherheitskonferenz in München immer wieder betont, dass die militärische Option offen bleiben müsse. Bei den drei EU-Staaten ist es so, dass eine militärische Option
offiziell ausgeschlossen ist. Aber die eigentliche Auseinandersetzung auf der so genannten Sicherheitskonferenz in München lief zwischen Frau Merkel und dem stellvertretenden iranischen Außenminister. Die Positionen der 3 EU-Staaten sind heuchlerisch. Sie verlangen nämlich vom Iran, auf etwas zu verzichten, was sie selber alle tun. Sie wollen dem Iran Urananreicherung und den Umgang mit waffenfähigem Uran verbieten. Frankreich und Großbritannien betreiben Urananreicherung und haben selbst umfangreiches waffenfähiges Uran, und beide modernisieren ihre Atomwaffen - entgegen dem Atomwaffensperrvertrag. Deutschland betreibt in Gronau in der
Anlage Urenco industriemäßig Urananreicherung. Außerdem arbeitet der Forschungsreaktor in Garching bis 2010 mit waffenfähigem Uran.

Das heißt, die drei EU-Staaten verlangen vom Iran etwas, was sie selber alle nicht tun. Im Atomwaffensperrvertrag
heißt es, dass alle Atomwaffen abgerüstet werden müssen. Die verschiedenen Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben, haben sich alle verpflichtet, ihre Atomwaffen abzurüsten und in die Abrüstung einzusteigen. Was machen die USA, Frankreich und Großbritannien? Alle modernisieren ihre Atomwaffen und verstoßen damit offen gegen den Atomwaffensperrvertrag. Es redet keiner davon, dass man die USA, Frankreich oder Großbritannien angreifen sollte, weil sie den Atomwaffensperrvertrag brechen.

Mein Eindruck ist, dass es eine sehr reale Kriegsgefahr gibt, dass ein Angriff auf den Iran droht. Dafür wird ausgenutzt, dass der Iran einen Präsidenten hat, den ich persönlich aufgrund seiner Äußerungen, insbesondere gegen Israel, für nicht zurechnungsfähig halte. Seine Auslassungen müssen natürlich heftig kritisiert werden.

Mein Eindruck ist, dass immer weiter eskaliert wird und dann ein Angriff gegen den Iran folgt. Meine Prognose: Es könnten sich daran Israel, die USA und Frankreich beteiligen. Denn die Äußerung von Chirac kam ganz gezielt, dass Frankreich bereit ist, Atomwaffen gegen so genannte Terrorstaaten einzusetzen. Wer die Rede der französischen Verteidigungsministerin Michelle Alliot-Marie in München nachliest, stellt fest, dass sie Chiracs Äußerungen konkretisiert. Sie sagt, dass es für Frankreich möglich sei, Atomwaffen gegen so genannte Entscheidungszentren oder andere zentrale Punkte einzusetzen. Was ist das anderes als ein mögliches Kriegsszenario gegen den
Iran? Klar ist, dass es nicht um eine Invasion oder Besetzung des Iran geht. Dafür ist dieses Land viel zu groß und zu komplex. Es geht um Angriffe, z.B. auf die entsprechenden Atomanlagen, die es dort gibt – mit den großen Gefahren, die damit verbunden sind.

Wir müssen als Antikriegs- und Friedensbewegung uns jetzt dieser Thematik widmen und klar sagen, dass wir uns in aller Schärfe gegen jegliche weitere Eskalation dieses Konfliktes wenden, insbesondere gegen jede weitere Eskalation, die von Seiten der erwähnten 3 EU-Staaten ausgeht. Wir müssen fordern, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel von den Äußerungen Chiracs distanziert. Wir als Antikriegs- und Friedensbewegung sind selbstverständlich gegen einen Atomwaffeneinsatz im Iran.

Die Militarisierung der EU könnte in einer Teilnahme am Krieg gegen den Iran gipfeln. Lasst uns gemeinsam dagegen ankämpfen.

Autor: Tobias Pflüger, MdEP, Informationsstelle Militarisierung, Tübingen.

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