Gift und Gallert

Pressebericht in: junge Welt, 14.09.2006

Hardcore-Koalos der Linkspartei.PDS in Sachsen-Anhalt legen FDP-Positionen als Leitantrag für den Landesparteitag vor

Jürgen Elsässer

Ende August vom Spiegel angekündigt, kommt jetzt in der Linkspartei.PDS die Zwergenrevolte gegen Oskar Lafontaine in Schwung. Ganz richtig war dem ehemaligen Nachrichtenmagazin aus Parteikreisen auch souffliert worden, wer an der Spitze des Fähnleins Fieselschweif steht: »Der rote Aufstand Ost hat einen Wortführer: Wulf Gallert heißt er und ist Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt«.

Wie Unrecht man den Bonsai-Verschwörern tut, wenn man sie als Rote etikettiert, wird schnell aus ihrem jüngsten Positionspapier deutlich. Gallert und der sächsisch-anhaltinische PDS-Vorstand präsentieren es als Leitantrag an den Landesparteitag am übernächsten Wochenende unter dem Titel »Offen für Veränderung – offen für den Dialog«. Das freilich ist völlig irreführend, denn um Dialog geht es den Unterzeichnern kaum – vielmehr um die Verleumdung ihrer parteiinternen Gegner. Gleich nach der Veröffentlichung des Pamphlets haben einige derselben denn auch ein gepfeffertes Kontra in die Tastatur gehauen. Es ist unterschrieben von Linksaußen wie Sahra Wagenknecht, Ulla Jelpke und Tobias Pflüger, von ostdeutschen Prominenten wie Erik Neutsch und Heinrich Fink, aber auch von den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Diether Dehm (siehe Dokumentation auf Seite 8). »Verunglimpfung sozialistischer Positionen« werfen die Kritiker Gallert und seinen Kombattanten vor. Das aber ist ziemlich daneben und könnte die schläfrige Parteiöffentlichkeit in der Sicherheit wiegen, hier werde zum x-ten Mal das Stück Reformer gegen Revoluzzer gegeben, ergänzt durch eine Tortenschlacht zwischen DDR-Nostalgikern und im Westen Angekommenen. Das Neue an dem Papier aus Sachsen-Anhalt ist aber nicht die Verdammung sozialistischer, sondern sozialdemokratischer Positionen. Es richtet sich nicht gegen Erich Honecker, sondern gegen einen viel jüngeren Saarländer.

Eine Kostprobe: »Die Globalisierung ist ein nicht umkehrbarer Prozeß. (...) Traditionelle Konzepte, die sich in einem engen nationalstaatlichen Rahmen bewegen, funktionieren schon im europäischen Raum nicht.« Hier wird nicht gegen den Sozialismus argumentiert, sondern sogar gegen staatliche (»keynesianische«) Wirtschaftssteuerung im Rahmen der sogenannten freien Marktwirtschaft. Und weiter: »Die Forderung eines Antikapitalismus mit nationalen und etatistischen Vorzeichen ist nicht nur politikfern, sie ist das Tor zu nationalistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Mobilisierung.« Auch hier geht es nicht um Sozialismus, sondern um die bloße Propagierung des antikapitalistischen Kampfes ohne Systemwechsel. Wer also, wie Lafontaine auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Januar 2006, für den Antikapitalismus wirbt und Mindestlohn fordert (eine nationale Maßnahme, vom Staat durchzusetzen, also national und etatistisch), ist demnach ein Steigbügelhalter für Neonazis. Mit dieser Formulierung bereiten sich Gallert und Co. darauf vor, eine Schmutzkampagne gegen den ungeliebten Westdeutschen zu eröffnen, der im nächsten Jahr für den Vorsitz der fusionierten Linkspartei kandidieren will. Hintergrund dürfte die Warnung des früheren grünen Außenministers Joseph Fischer sein, das Modell »rot-rot-grün« sei schon möglich – aber nur ohne Lafontaine.

Im übrigen enthält das Positionspapier aus Sachsen-Anhalt neoliberale Ladenhüter wie Haushaltskonsolidierung, Schuldenabbau und Privatisierung staatlicher Leistungen. Zu Hartz IV findet sich kein Wort – statt dessen die frohe Botschaft, die öffentliche Daseinsvorsorge sei »nicht mehr selbstverständlich«. Summa summarum: In der Wirtschaftspolitik Westerwelle pur, aber ohne dessen Standhaftigkeit gegen Demokratieabbau und Militarisierung.

Eines aber haben die Magdeburger Realos nicht berücksichtigt: Das Bekanntwerden ihres Papiers unmittelbar vor den Berliner Wahlen am kommenden Wochenende könnte manchen Linken davon abhalten, Gallerts Freunden an der Spree um Wirtschaftssenator Harald Wolf ihre Stimme zu geben. Der Aufstand gegen Lafontaine könnte also im ersten Anlauf mit einer Schwächung der Gegner Lafontaines enden. So schlägt am Ende die Dialektik womöglich genau diejenigen, die ihr das angepaßte Nulldenken vorgezogen haben.

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