PDS will trotzdem weiter mitregieren
Pressebericht in: Berliner Morgenpost, 20.10.2006
Die Koalition gibt zu erkennen, wie sie auf das Urteil reagieren will: gar nicht. Denn Berlin wird nicht zum Handeln verpflichtet
Von Karsten Hintzmann
Berlin - Kurz nach dem Urteilsspruch der Karlsruher Richter übten sich die politischen Verlierer aus Berlin im Schulterschluss und in Treueschwüren. Der Tenor lautete: SPD und Linkspartei.PDS werden ungeachtet des eindeutigen Urteils ihre Koalitionsgespräche mit dem Ziel fortsetzen, dass Rot-Rot auch in der gerade begonnenen Legislaturperiode die Geschicke der Stadt lenkt.
In den Tagen vor der Entscheidung war immer öfter die Frage aufgetaucht, ob die Verhandlungen platzen könnten, falls das Bundesverfassungsgericht der Hauptstadt keine Entschuldungshilfen zusprechen sollte. Es wurde gemutmaßt, dass die PDS dann aus dem Regierungsboot aussteigen würde, um nicht noch für eine weitere schmerzhafte Sparrunde vom Wahlvolk verantwortlich gemacht werden zu können.
PDS-Landeschef Klaus Lederer bemühte sich gestern sofort, derartige Bedenken zu zerstreuen. Er sagte: "Wir denken überhaupt nicht daran, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD jetzt abzubrechen. Im Gegenteil. Als wir in diese Verhandlungen eingestiegen sind, wussten wir doch, dass das Karlsruher Urteil mit all seinen Risiken vor der Tür steht. Man kann doch nicht Selbstmord begehen aus Angst vor dem Tod."
Natürlich werde man den eingeschlagenen Konsolidierungskurs fortsetzen, so der PDS-Vorsitzende, aber nicht um den Preis, dass jetzt in einem Anflug von Aktionismus sämtliche Infrastruktur eingerissen werde, ohne die sozialen Folgen im Blick zu behalten. Die PDS bleibe bei ihren "Essentials": kein weiterer Verkauf von Landesvermögen, Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und Einführung der Einheitsschule. Es gebe weiterhin Gestaltungsspielraum für Politik in Berlin.
An die Adresse der SPD gerichtet, warnte Lederer: "Ich hoffe, die Sozialdemokraten lassen sich jetzt nicht von der Doppelzüngigkeit der alten Bundesländer anstecken. Wir haben in den letzten vier Jahren enorme Sparanstrengungen geleistet. Sanierungspolitik führt man nicht mit der Abrissbirne durch." Nach dem juristischen Scheitern, so Lederer kämpferisch, müsse jetzt die politische Auseinandersetzung mit den "Profiteuren der Umverteilung der letzten Jahre" intensiviert werden.
Auch PDS-Fraktionssprecherin Kathi Seefeld brach eine Lanze für die Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen, formulierte dabei allerdings klare Bedingungen der Linkspartei: "Wir gehen davon aus, dass sich die Grundlage für Koalitionsgespräche nicht verändert hat. Wir werden der Stadt keine weiteren drastischen Sparmaßnahmen abverlangen. Und wenn die SPD das auch nicht tut, können wir weiter gemeinsam verhandeln."
Unerwartete Rückendeckung für die PDS-Landesspitze kam auch von der Lichtenberger Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch, die sich bislang stets kritisch zu einer Neuauflage der SPD-PDS-Koalition geäußert hatte. Lötzsch sagte: "Die Klage Berlins auf finanzielle Unterstützung ist abgewiesen worden. Das ist sicher bedauerlich. Aber: Das Gericht hat keine Auflagen gegenüber Berlin verhängt. Das bedeutet, dass die Gestaltungsmöglichkeiten für den Senat nicht eingeschränkt sind. Und aus diesem Grund sehe ich keine Veranlassung, die laufenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD abzubrechen."
Daneben gibt es in der Linkspartei jedoch auch kritische Stimmen zu einer Fortsetzung der Regierungsbeteiligung. So forderten die PDS-Europaparlamentarier Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger sowie die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Nele Hirsch und Ulla Jelpke, in einer gemeinsamen Erklärung einen Ausstieg der PDS aus der Koalition. In dem Schreiben der vier PDS-Politiker heißt es: "Wenn die soziale Kahlschlagpolitik der vergangenen Jahre immer noch nicht ausreicht, um Bundeshilfen zu akquirieren, dann muss die Stadt offensichtlich vollends kaputtgespart und sämtliches öffentliches Eigentum verschleudert werden, bis es so weit ist. Eine solche Politik mitzutragen, verbietet sich für eine linke Partei." In Teilen der Berliner PDS-Basis wird diese Kritik mitgetragen. Ob das jedoch am Ende reichen wird, auf dem PDS-Landesparteitag, der nach Abschluss der Koalitionsgespräche stattfindet, ein negatives Votum zur Frage der Fortsetzung von Rot-Rot herbeizuführen, muss im Moment bezweifelt werden.
Ändern könnte sich die Situation freilich, wenn Klaus Wowereit und Finanzsenator Thilo Sarrazin jetzt die große Sparkeule herausholen sollten und beispielsweise den Einstieg in den Verkauf von städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder Einschnitte für Hartz-IV-Betroffene zum Regierungsziel erheben würden.
Für diesen Fall haben sich gestern bereits die Grünen zu Wort gemeldet und ihre Rückkehr an den Verhandlungstisch angeboten. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagte: "Wir würden uns vor der Verantwortung nicht drücken und würden ein Angebot prüfen. Es müsste aber unüberhörbar ausfallen, nachdem die Sozialdemokraten so laut die Tür vor uns zugeworfen haben."
Ganz vom Tisch ist offenbar auch eine große Koalition noch nicht, obgleich diese Variante derzeit weder bei der SPD noch in den Reihen der CDU auf Gegenliebe trifft. Im Gegensatz zu CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der ein rot-schwarzes Bündnis gestern ausschloss, forderte der CDU-Wirtschaftsrat eine große Koalition für Berlin. Cornelius Koch, Vorsitzender des Wirtschaftsrates Berlin-Brandenburg, sagte: "Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der von den zwei großen Parteien in der Stadt getragen wird. Ansonsten sind die notwendigen finanzpolitischen Entscheidungen nicht zu fällen und durchzusetzen. Für ideologische Spielereien ist die Lage zu ernst."
Die Koalition gibt zu erkennen, wie sie auf das Urteil reagieren will: gar nicht. Denn Berlin wird nicht zum Handeln verpflichtet
Von Karsten Hintzmann
Berlin - Kurz nach dem Urteilsspruch der Karlsruher Richter übten sich die politischen Verlierer aus Berlin im Schulterschluss und in Treueschwüren. Der Tenor lautete: SPD und Linkspartei.PDS werden ungeachtet des eindeutigen Urteils ihre Koalitionsgespräche mit dem Ziel fortsetzen, dass Rot-Rot auch in der gerade begonnenen Legislaturperiode die Geschicke der Stadt lenkt.
In den Tagen vor der Entscheidung war immer öfter die Frage aufgetaucht, ob die Verhandlungen platzen könnten, falls das Bundesverfassungsgericht der Hauptstadt keine Entschuldungshilfen zusprechen sollte. Es wurde gemutmaßt, dass die PDS dann aus dem Regierungsboot aussteigen würde, um nicht noch für eine weitere schmerzhafte Sparrunde vom Wahlvolk verantwortlich gemacht werden zu können.
PDS-Landeschef Klaus Lederer bemühte sich gestern sofort, derartige Bedenken zu zerstreuen. Er sagte: "Wir denken überhaupt nicht daran, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD jetzt abzubrechen. Im Gegenteil. Als wir in diese Verhandlungen eingestiegen sind, wussten wir doch, dass das Karlsruher Urteil mit all seinen Risiken vor der Tür steht. Man kann doch nicht Selbstmord begehen aus Angst vor dem Tod."
Natürlich werde man den eingeschlagenen Konsolidierungskurs fortsetzen, so der PDS-Vorsitzende, aber nicht um den Preis, dass jetzt in einem Anflug von Aktionismus sämtliche Infrastruktur eingerissen werde, ohne die sozialen Folgen im Blick zu behalten. Die PDS bleibe bei ihren "Essentials": kein weiterer Verkauf von Landesvermögen, Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und Einführung der Einheitsschule. Es gebe weiterhin Gestaltungsspielraum für Politik in Berlin.
An die Adresse der SPD gerichtet, warnte Lederer: "Ich hoffe, die Sozialdemokraten lassen sich jetzt nicht von der Doppelzüngigkeit der alten Bundesländer anstecken. Wir haben in den letzten vier Jahren enorme Sparanstrengungen geleistet. Sanierungspolitik führt man nicht mit der Abrissbirne durch." Nach dem juristischen Scheitern, so Lederer kämpferisch, müsse jetzt die politische Auseinandersetzung mit den "Profiteuren der Umverteilung der letzten Jahre" intensiviert werden.
Auch PDS-Fraktionssprecherin Kathi Seefeld brach eine Lanze für die Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen, formulierte dabei allerdings klare Bedingungen der Linkspartei: "Wir gehen davon aus, dass sich die Grundlage für Koalitionsgespräche nicht verändert hat. Wir werden der Stadt keine weiteren drastischen Sparmaßnahmen abverlangen. Und wenn die SPD das auch nicht tut, können wir weiter gemeinsam verhandeln."
Unerwartete Rückendeckung für die PDS-Landesspitze kam auch von der Lichtenberger Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch, die sich bislang stets kritisch zu einer Neuauflage der SPD-PDS-Koalition geäußert hatte. Lötzsch sagte: "Die Klage Berlins auf finanzielle Unterstützung ist abgewiesen worden. Das ist sicher bedauerlich. Aber: Das Gericht hat keine Auflagen gegenüber Berlin verhängt. Das bedeutet, dass die Gestaltungsmöglichkeiten für den Senat nicht eingeschränkt sind. Und aus diesem Grund sehe ich keine Veranlassung, die laufenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD abzubrechen."
Daneben gibt es in der Linkspartei jedoch auch kritische Stimmen zu einer Fortsetzung der Regierungsbeteiligung. So forderten die PDS-Europaparlamentarier Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger sowie die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Nele Hirsch und Ulla Jelpke, in einer gemeinsamen Erklärung einen Ausstieg der PDS aus der Koalition. In dem Schreiben der vier PDS-Politiker heißt es: "Wenn die soziale Kahlschlagpolitik der vergangenen Jahre immer noch nicht ausreicht, um Bundeshilfen zu akquirieren, dann muss die Stadt offensichtlich vollends kaputtgespart und sämtliches öffentliches Eigentum verschleudert werden, bis es so weit ist. Eine solche Politik mitzutragen, verbietet sich für eine linke Partei." In Teilen der Berliner PDS-Basis wird diese Kritik mitgetragen. Ob das jedoch am Ende reichen wird, auf dem PDS-Landesparteitag, der nach Abschluss der Koalitionsgespräche stattfindet, ein negatives Votum zur Frage der Fortsetzung von Rot-Rot herbeizuführen, muss im Moment bezweifelt werden.
Ändern könnte sich die Situation freilich, wenn Klaus Wowereit und Finanzsenator Thilo Sarrazin jetzt die große Sparkeule herausholen sollten und beispielsweise den Einstieg in den Verkauf von städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder Einschnitte für Hartz-IV-Betroffene zum Regierungsziel erheben würden.
Für diesen Fall haben sich gestern bereits die Grünen zu Wort gemeldet und ihre Rückkehr an den Verhandlungstisch angeboten. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann sagte: "Wir würden uns vor der Verantwortung nicht drücken und würden ein Angebot prüfen. Es müsste aber unüberhörbar ausfallen, nachdem die Sozialdemokraten so laut die Tür vor uns zugeworfen haben."
Ganz vom Tisch ist offenbar auch eine große Koalition noch nicht, obgleich diese Variante derzeit weder bei der SPD noch in den Reihen der CDU auf Gegenliebe trifft. Im Gegensatz zu CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der ein rot-schwarzes Bündnis gestern ausschloss, forderte der CDU-Wirtschaftsrat eine große Koalition für Berlin. Cornelius Koch, Vorsitzender des Wirtschaftsrates Berlin-Brandenburg, sagte: "Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der von den zwei großen Parteien in der Stadt getragen wird. Ansonsten sind die notwendigen finanzpolitischen Entscheidungen nicht zu fällen und durchzusetzen. Für ideologische Spielereien ist die Lage zu ernst."
Tobias Pflüger - 2006/10/31 13:54
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