»Rechte Politik allgegenwärtig im EU-Parlament«
Interview in: Junge Welt, 19.01.2007
Rechtskonservative Abgeordnete in Strasbourg bekommen durch neofaschistische Fraktion Stichwortgeber. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
Wera Richter
Tobias Pflüger ist Abgeordneter des EU-Parlaments und Mitglied der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)
Im Europaparlament hat sich eine 20köpfige neofaschistische Fraktion unter Vorsitz des Holocaustleugners Bruno Gollnisch konstituiert. Was erwarten Sie von der Fraktion »Identität/Tradition/Souveränität« (ITS)?
Die Fraktion genießt momentan viel Medienaufmerksamkeit. Alle schauen darauf, wie sich die Neofaschisten bei ihren ersten Auftritten im Parlament verhalten. Sie sind aber klug genug, zunächst keine Skandale zu provozieren. Gollnisch, gegen den in Frankreich zur Zeit ein Verfahren läuft, war in seinen ersten beiden Reden äußerst zurückhaltend. Bei der Zusammensetzung der Fraktion bin ich gespannt, wie lange das überhaupt hält.
Sie meinen, das Problem könnte sich von selbst erledigen?
Bisher sind die Versuche der Zusammenarbeit der Neonazis daran gescheitert, daß sie sich nicht darauf einigen konnten, welche die »wichtigste Nation« ist. Die neue Fraktion reicht vom belgischen Vlaamsblock über die bulgarische Ataka und den französischen Front National von Le Pen bis hin zur Partei Großrumänien. Ich glaube nicht, daß das allzu lange hält.
Welche Vorteile bringt der Fraktionsstatus den Neonazis?
Sie kommen als Fraktion in die Ausschüsse und haben die gesamte Infrastruktur, das heißt vor allem, daß sie eine ganze Reihe von neuen Mitarbeitern bekommen. Pro Abgeordneten steht zusätzlich ein Fraktionsmitarbeiter zur Verfügung und es wird einen Stab geben, mit dem sie die Fraktion leiten können.
Wie haben die anderen Fraktionen auf die Konstituierung von ITS reagiert?
Es gibt Einigkeit in der Ablehnung der neofaschistischen Inhalte. Das Problem ist, wie man jetzt konkret mit der Fraktion umgeht. Die Linie vom neuen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering ist, daß er sie ganz normal einreiht in die Listen. Nach der Konstituierung der Fraktion am Montag und der Kritik von den verschiedenen Fraktionen ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Neofaschisten werden als normale Fraktion wahrgenommen.
Die Sozialdemokraten haben angeregt, die Bildung von Fraktionen für die nächste Legislaturperiode zu erschweren. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Ich halte das nicht für die klügste Idee. Das wäre ein Mittel, das sich dann auch auf andere kleine Fraktionen übertragen lassen würde.
Wie will die Linksfraktion mit den Rechten umgehen?
Gar nicht. Sprich: Wir machen nichts mit denen. Das wird aber schwierig. Die Neofaschisten werden zum Beispiel auch die Möglichkeit haben, an offiziellen Auslandsreisen teilzunehmen. Da kann man kaum so tun, als ob es sie nicht gibt.
Für die antikommunistische Resolution über die »Verbrechen des Kommunismus« oder einen Beschluß zum 60. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai, in dem Sozialismus und Faschismus gleichgesetzt wurden, brauchte es keine Neonazifraktion.
Das ist der zentrale Punkt. Bei dieser neuen Fraktion schreien alle auf. Daß das EU-Parlament aber insgesamt immer weiter nach rechts rückt, stört kaum jemanden. Die Fraktion »Union für das Europa der Nationen« (UEN) hat mit inzwischen 44 Abgeordneten enorm zugelegt. Sie hat mehr Parlamentarier als die grüne Fraktion (42) und als die linke (41). Die UEN hat Pöttering als Parlamentspräsidenten unterstützt. Das zeigt, daß es enge Absprachen zwischen Konservativen und den Nationalisten gibt.
Zählen Sie die UEN zu den Ultrarechten?
In Teilen ja. In dieser Fraktion sitzen zum Beispiel die italienische Allianza Nationale und die Lega Nord. Die UEN umfaßt ein Spektrum von Rechtskonservativen bis hin zu Rechtsextremen. Die Lega Nord hat sich der ITS-Fraktion nicht angeschlossen, weil Bossi und Le Pen nicht an einem Tisch sitzen können. Inhaltlich gehören sie aber dorthin. Und auch in der konservativen Fraktion sitzt eine ganze Reihe Rechter, die Geschichtsrevisionismus betreiben.
Welche Rolle spielt dann die ITS-Fraktion? Ist sie Antreiber, um die Rechtsentwicklung zu beschleunigen?
Sicher wird es Vorstöße der Neofaschisten geben, die zunächst abgewehrt werden, aber in anderer Form und von anderen Fraktionen oder Abgeordneten wieder eingebracht werden. Damit gibt es jetzt die Möglichkeit, sich offiziell von den Rechtsextremen zu distanzieren. Aber in Wirklichkeit ist diese rechte Politik allgegenwärtig im Europäischen Parlament und das Zusammenspiel von Rechten und Rechtsextremen wird weitergehen.
Rechtskonservative Abgeordnete in Strasbourg bekommen durch neofaschistische Fraktion Stichwortgeber. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
Wera Richter
Tobias Pflüger ist Abgeordneter des EU-Parlaments und Mitglied der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)
Im Europaparlament hat sich eine 20köpfige neofaschistische Fraktion unter Vorsitz des Holocaustleugners Bruno Gollnisch konstituiert. Was erwarten Sie von der Fraktion »Identität/Tradition/Souveränität« (ITS)?
Die Fraktion genießt momentan viel Medienaufmerksamkeit. Alle schauen darauf, wie sich die Neofaschisten bei ihren ersten Auftritten im Parlament verhalten. Sie sind aber klug genug, zunächst keine Skandale zu provozieren. Gollnisch, gegen den in Frankreich zur Zeit ein Verfahren läuft, war in seinen ersten beiden Reden äußerst zurückhaltend. Bei der Zusammensetzung der Fraktion bin ich gespannt, wie lange das überhaupt hält.
Sie meinen, das Problem könnte sich von selbst erledigen?
Bisher sind die Versuche der Zusammenarbeit der Neonazis daran gescheitert, daß sie sich nicht darauf einigen konnten, welche die »wichtigste Nation« ist. Die neue Fraktion reicht vom belgischen Vlaamsblock über die bulgarische Ataka und den französischen Front National von Le Pen bis hin zur Partei Großrumänien. Ich glaube nicht, daß das allzu lange hält.
Welche Vorteile bringt der Fraktionsstatus den Neonazis?
Sie kommen als Fraktion in die Ausschüsse und haben die gesamte Infrastruktur, das heißt vor allem, daß sie eine ganze Reihe von neuen Mitarbeitern bekommen. Pro Abgeordneten steht zusätzlich ein Fraktionsmitarbeiter zur Verfügung und es wird einen Stab geben, mit dem sie die Fraktion leiten können.
Wie haben die anderen Fraktionen auf die Konstituierung von ITS reagiert?
Es gibt Einigkeit in der Ablehnung der neofaschistischen Inhalte. Das Problem ist, wie man jetzt konkret mit der Fraktion umgeht. Die Linie vom neuen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering ist, daß er sie ganz normal einreiht in die Listen. Nach der Konstituierung der Fraktion am Montag und der Kritik von den verschiedenen Fraktionen ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Neofaschisten werden als normale Fraktion wahrgenommen.
Die Sozialdemokraten haben angeregt, die Bildung von Fraktionen für die nächste Legislaturperiode zu erschweren. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Ich halte das nicht für die klügste Idee. Das wäre ein Mittel, das sich dann auch auf andere kleine Fraktionen übertragen lassen würde.
Wie will die Linksfraktion mit den Rechten umgehen?
Gar nicht. Sprich: Wir machen nichts mit denen. Das wird aber schwierig. Die Neofaschisten werden zum Beispiel auch die Möglichkeit haben, an offiziellen Auslandsreisen teilzunehmen. Da kann man kaum so tun, als ob es sie nicht gibt.
Für die antikommunistische Resolution über die »Verbrechen des Kommunismus« oder einen Beschluß zum 60. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai, in dem Sozialismus und Faschismus gleichgesetzt wurden, brauchte es keine Neonazifraktion.
Das ist der zentrale Punkt. Bei dieser neuen Fraktion schreien alle auf. Daß das EU-Parlament aber insgesamt immer weiter nach rechts rückt, stört kaum jemanden. Die Fraktion »Union für das Europa der Nationen« (UEN) hat mit inzwischen 44 Abgeordneten enorm zugelegt. Sie hat mehr Parlamentarier als die grüne Fraktion (42) und als die linke (41). Die UEN hat Pöttering als Parlamentspräsidenten unterstützt. Das zeigt, daß es enge Absprachen zwischen Konservativen und den Nationalisten gibt.
Zählen Sie die UEN zu den Ultrarechten?
In Teilen ja. In dieser Fraktion sitzen zum Beispiel die italienische Allianza Nationale und die Lega Nord. Die UEN umfaßt ein Spektrum von Rechtskonservativen bis hin zu Rechtsextremen. Die Lega Nord hat sich der ITS-Fraktion nicht angeschlossen, weil Bossi und Le Pen nicht an einem Tisch sitzen können. Inhaltlich gehören sie aber dorthin. Und auch in der konservativen Fraktion sitzt eine ganze Reihe Rechter, die Geschichtsrevisionismus betreiben.
Welche Rolle spielt dann die ITS-Fraktion? Ist sie Antreiber, um die Rechtsentwicklung zu beschleunigen?
Sicher wird es Vorstöße der Neofaschisten geben, die zunächst abgewehrt werden, aber in anderer Form und von anderen Fraktionen oder Abgeordneten wieder eingebracht werden. Damit gibt es jetzt die Möglichkeit, sich offiziell von den Rechtsextremen zu distanzieren. Aber in Wirklichkeit ist diese rechte Politik allgegenwärtig im Europäischen Parlament und das Zusammenspiel von Rechten und Rechtsextremen wird weitergehen.
Tobias Pflüger - 2007/01/18 19:56
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