Hat die Bundeswehr eine klare Mission?

Pressebericht in: Rheinzeitung, 13.01.2007

Friedensethische Tagung hinterfragt Sinn und Zweck von Auslandseinsätzen

Die Zahl der Bundeswehreinsätze nimmt dramatisch zu. Aber hat die deutsche Gesellschaft schon ihren Frieden mit den neuen Missionen ihrer Streitkräfte gemacht? Und wie ist es mit den Soldaten vor Ort? Haben sie und ihre Familien zu Hause genug Rückhalt? Glauben sie an ihren Auftrag? Eine Tagung in Koblenz suchte nach Antworten.

Von Politikredakteur Dietmar Brück

KOBLENZ. Bundeswehrsoldaten, Theologen, Juristen, Entwicklungshelfer, Politiker: Im Soldatenheim auf der Horchheimer Höhe in Koblenz kamen die unterschiedlichsten Gruppen zusammen, um über eine gewichtige Frage zu diskutieren: Was ist der Auftrag der Bundeswehr? Wie wird er gelebt und verstanden?

Die Evangelische Akademie im Rheinland hatte zu einem friedensethischen Studientag eingeladen - unterstützt von der Evangelischen Militärseelsorge und dem Kirchenkreis Koblenz. Dabei kam eine Fülle grundsätzlicher Themen auf den Tisch. Die Perspektive der Seelsorge: Sinn-Debatten in der Bundeswehr werden oft von der Militärseelsorge angestoßen. Sie wird vom Staat organisiert und bezahlt. Katholische und evangelische Kirche üben sie aus. Derzeit kümmern sich etwa 120 evangelische Pfarrer sowie rund 100 katholische Priester und Pastoralreferenten um die Sorgen und Nöte der Soldaten. Sieben katholische und sechs evangelische Seelsorger begleiten die Bundeswehr bei den Missionen auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika und im Libanon. "Das ist viel zu wenig", schimpft ein Soldat auf der Koblenzer Tagung. Zumal die Militärseelsorger als besonders wichtiger Ansprechpartner für die 7300 Soldaten fern der Heimat gelten, da sie keine Dienstvorgesetzten sind. Auch der evangelische Militärdekan Dirck Ackermann wirbt für mehr Personal: "Unsere Aufgaben haben sich geändert, dafür brauchen wir mehr Leute." Im Ausland wächst der Druck auf die Soldaten. Auf dem Balkan mussten viele von ihnen Massengräber ausheben, in Afghanistan quält sie die Angst vor Anschlägen. Nicht alles können die Ärzte und Psychologen abfangen. Zudem müssen die Familien zu Hause aufwendiger betreut werden. Dirck Ackermann hält "Reintegrationszeiten" nach Einsätzen für sinnvoll. Die Rückkehr in die heimischen vier Wände verläuft nicht immer konfliktfrei. Die Perspektive der Gesellschaft: Mehrere Redner der Tagung beklagten einen fehlenden gesellschaftlichen Dialog über das erweiterte Einsatzspektrum der Streitkräfte. In Deutschland wird über Benzinpreise, Bohlen und Bundesliga diskutiert, nicht aber über die Bundeswehr. Die Auslandseinsätze werden am Rande des gesellschaftlichen Sichtfeldes wahrgenommen. Dabei prägen sie das Bild der Deutschen in der Welt; dabei entscheiden sie über Krieg und Frieden. "Wir brauchen endlich eine breite sicherheitspolitische Debatte", forderte Militärdekan Ackermann stellvertretend für viele andere. Diese Diskussion ist auch deswegen wichtig, damit die Soldaten im Einsatz das Gefühl haben, die Menschen zu Hause tragen ihre gefährliche Mission mit.

Die Perspektive der Frie-densethik: Ulrich Frey, Friedensethiker und Ökumene-Spezialist der rheinischen Kirche, beklagt eine einseitige Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik. Im neuen Weißbuch der Bundeswehr, eine Art sicherheitspolitischer Kompass, wird seiner Ansicht nach kaum über zivile Konfliktlösungen gesprochen: Bildungsarbeit, Armutsbekämpfung, kulturelle Kooperation oder etwa humanitäre Hilfe. Die 14 Millionen Euro, die die Bundesrepublik für zivile Friedensarbeit ausgibt, hält er für viel zu wenig. "Dem Militär steht ein Vielfaches zur Verfügung", so Frey. Der Kirchenmann kann im Weißbuch keine klare Strategie ausmachen, außer der, dass die Bundeswehr ihr Einsatzgebiet dramatisch ausweitet. Zudem mahnt er klare Bilanzen an: Was kostet ein Einsatz, was bringt er? Ein heißes Eisen, das auch die Politik kaum anpackt. Der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger (Linkspartei) fordert mehr Transparenz. "Nur dann können die Parlamente auch qualifiziert über einen Einsatz entscheiden." Brigadegeneral Alois Bach vom Zentrum Innere Führung hält das im Weißbuch beschriebene "vernetzte Sicherheitskonzept" für richtig. Demnach werden Konflikte eingedämmt, indem Hilfsorganisationen, Diplomaten und Militärs eng kooperieren. Dagegen sträuben sich zuweilen zivile Organisationen. "Die Nähe zum Militär ist gefährlich für uns, wir könnten nicht mehr als neutral empfunden werden", so ein Teilnehmer der Tagung. Die Perspektive der Wirtschaftsinteressen: Besonders kritisch bewertete die evangelische Pfarrerin Christine Busch die Verquickung von Wirtschaftsinteressen und Militäreinsätzen. "Die Bundeswehr ist nicht dazu da, den Welthandel zu fördern oder abzusichern", erklärte sie. Eine derartige Debatte hält Busch für abwegig. "Kein Globalisierungsziel wird militärisch erreicht. Das kann nicht die neue Rolle der Bundeswehr sein."

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