"Tragik der Demokratie"

Pressebericht in: Junge Welt, 09.02.2007

Tausende Gegendemonstranten zur sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz erwartet. Organisator Teltschik entgleist verbal

Claudia Wangerin

Die am heutigen Freitag beginnende 43. "Münchner Sicherheitskonferenz" hält seit Tagen die bayerische Landeshauptstadt in Atem. "Wir hatten noch nie so einen illustren Teilnehmerkreis wie in diesem Jahr", sagte Polizeivizepräsident Jens Viering am Donnerstag vor Journalisten. Obwohl es keinerlei Hinweise auf Anschläge gebe, sei der Einsatz von 3500 Polizisten aus mehreren Bundesländern gerechtfertigt. Im direkten Konferenzbereich des Luxushotels Bayerischer Hof wird allerdings die Bundeswehr, die etwa 4500 Soldaten abstellt, das Hausrecht haben. Ein Sicherheitsbereich rund um das Tagungshotel und Verkehrssperrungen werden darüber hinaus weite Teile der Münchner Innenstadt lahmlegen.

Auch Putin kommt

Zu den illustren Gästen der Veranstaltung, die am Sonntag zu Ende geht, zählen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) US-Verteidigungsminister Robert Gates, die israelische Außenministerin Zipi Livni und der russische Präsident Wladimir Putin. Auch der iranische Chefunterhändler im Atomstreit, Ali Laridschani, wird erwartet. Auf der Tagesordnung steht nichts Geringeres als die Zukunft der NATO – aber voraussichtlich auch die Afghanistans und des Kosovo. Auch um den Iran-Konflikt und den Energiestreit mit Rußland dürfte es gehen. »Da werden viele Entscheidungen bei informellen Gesprächen getroffen«, vermutet der parteilose Europa-Abgeordnete der Linksfraktion, Tobias Pflüger. "Das wirklich Interessante sind gar nicht so sehr die offiziellen Reden."

Konferenzveranstalter Horst Teltschik nannte die Besetzung "hochkarätig wie nie zuvor", wehrte sich aber gegen Bezeichnungen wie "hochkarätig besetzte Kriegstagung". Diese Bewertung durch die Organisatoren der Gegenveranstaltungen sei "verleumderisch", erklärte Teltschik. Das offizielle Motto der Veranstaltung, die am Abend im Bayerischen Hof beginnt, ist "Frieden durch Dialog". Der ehemalige NATO-Generalsekretär Javier Solana, der für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien mitverantwortlich war, soll gar eine "Friedensmedaille" bekommen.

Was Teltschik von Demokratie hält, machte er am Mittwoch in einem Interview des Bayrischen Rundfunks deutlich. Es sei nämlich deren "Tragik", sagte er, "daß bei uns jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf und daß man politisch Verantwortliche in einer Demokratie schützen muß. In Diktaturen würde so etwas nicht passieren". Diese Äußerungen stießen im Münchner Rathaus auf Unverständnis – von den Grünen bis zur CSU. "Es scheint mir die Tragik des Herrn Teltschik zu sein, daß er den Wesenskern einer Demokratie nicht verstanden hat", sagte der dritte Bürgermeister Hep Monatzeder (Grüne) gegenüber der Süddeutschen Zeitung. "Völlig unangebracht" kommentierte auch der stellvertretende Fraktionschef der Rathaus-CSU, Hans Podiuk.

"Die Hand am Puls"

Claus Schreer vom »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« hatte von Teltschik nichts anderes erwartet: "Wer Angriffskriege führen will, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden, kann Demokratie nicht gebrauchen." Das Bündnis rechnet mit mehreren tausend Teilnehmern bei den Gegendemonstrationen.

Polizeivizepräsident Viering wollte keinen Kommentar zum Demokratieverständnis des ehemaligen Kanzlerberaters abgeben, dessen Veranstaltung er am Wochenende zu schützen hat. "Fragen Sie Herrn Teltschik selbst. Wir haben keine Wahlfreiheit, wir machen nur unseren Job", sagte er. Bei der Großdemonstration, die am Samstag um zwölf Uhr auf dem Marienplatz beginnt, rechne die Polizei mit 300 bis 500 Teilnehmern im "schwarzen oder autonomen Block", dem der Polizeivize indirekt Gewaltbereitschaft unterstellte. Auf die Frage, wie er auf diese Zahl komme, sagte Viering: "Wir haben die Hand am Puls. Es ist ja kein Geheimnis, daß wir uns mit befreundeten Diensten austauschen".

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