»Europa geht auch ohne Verfassung«
Neues Deutschland, Di 21.09.04
Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht berichteten dem Netzwerk »Europa von unten«
Von Theo Wiese
Der Entwurf einer EU-Verfassung diene der Ausrichtung Europas an den Interessen der Konzerne und Banken. Das war der Tenor einer zweitägigen Veranstaltung des Netzwerkes »Europa von unten« in Berlin. »Europa von unten« ist ein offener Zusammenschluss von Organisationen wie Attac und dem Deutschen Friedensrat, von Gewerkschaften und Einzelnen.
Er sitze in einem »militaristischen Horrorklub«, berichtete Tobias Pflüger von seiner Arbeit im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments (EP). Der parteilose Friedensforscher ist seit Juni EP-Mitglied mit PDS-Mandat. Selbst Grünen-Parteichefin Angelika Beer sorge sich in dem Gremium nur noch um die angeblich schlechte Ausrüstung der Geheimdienste, meinte Pflüger und warnte zum wiederholten Male vor der Militarisierung der EU durch den Verfassungsentwurf. Dabei gehe es um einen Prozess, »der schon läuft« und nun in den Verfassungsrang erhoben werden solle. Die nationalen Regierungen, besonders die Frankreichs und der Bundesrepublik, seien »Hauptakteure« dieser Entwicklung. Wie beim Sozialabbau sei im militärischen Bereich »das Problem nicht die EU, sondern die deutsche Regierung».
Pflüger setzt in Friedensfragen nicht viel Hoffnung auf das Parlament, dem er angehört. Dessen Mehrheit stehe hinter dem Militarisierungskurs. Überdies habe es bei dem Verfassungsentwurf kein Entscheidungsrecht. Das liege allein beim EU-Ministerrat, in dem die Regierungen den Ton angeben.
Die Bevölkerung der Bundesrepublik weiß kaum, in welche Richtung der EU-Zug fährt. Diesen Mangel benannten mehrere Teilnehmer der Tagung. Es sei mehr Aufklärung, aber auch Widerstand gegen den neoliberalen Kurs der EU nötig, hieß es. »Die sozialen Proteste müssen europaweit koordiniert und vernetzt werden«, erklärte Stephan Lindner. Er arbeitet bei Attac mit und verwies auf den Zusammenhang zwischen dem Sozialabbau durch »Agenda 2010« und Hartz IV und den Vorgaben der EU-Kommission. Die Politik der Bundesrepublik, des wirtschaftlich stärksten EU-Mitglieds, setze ihre unsozialen Vorhaben zuerst in Brüssel durch. Was daraufhin aus der EU-Zentrale an Vorgaben zum Sozialabbau komme, werde dann als »Sachzwang« gegenüber der eigenen Bevölkerung durchgesetzt.
Das bestätigte ebenso wie Pflüger dessen Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht, ebenfalls für die PDS im Europaparlament. Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut spielten in der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik keine Rolle, stellte Wagenknecht fest. Der so genannte Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen willkürlichen Schuldenobergrenzen diene nur dazu, einen »radikalen Sozialabbau und weitere Privatisierungen« durchzusetzen. Die Vorschläge zur Reform des Paktes seien das »Einfallstor«, um diesen Kurs auch gegenüber den neuen Mitgliedsländern durchzusetzen. Der Verfassungsentwurf lege eine »offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« als EU-Modell fest. Das verstoße sogar gegen das deutsche Grundgesetz, betonte die PDS-Parlamentarierin.
Wohin der EU-Zug rast, machten mehrere Referenten anhand der geplanten Richtlinie zu den Dienstleistungen deutlich. Mit diesem Vorschlag von EU-Kommissar Frits Bolkestein würden »potenziell alle öffentlichen Dienstleistungen« dem marktwirtschaftlichen Diktat untergeordnet, erklärte Attac-Aktivist Thomas Fritz. Das diene »einer einzigen ökonomischen Organisationsform: dem transnational operierenden Konzern«, ergänzte Bernd Schneider, Assistent der PDS-Europaabgeordneten Gabriele Zimmer. Nur diesen Konzernen sei der nationalstaatliche Rahmen zu eng geworden. Auf die Folgen machte Frank Schmidt-Hullmann von der IG BAU aufmerksam. Dazu gehörten weiterer Sozialabbau und Lohndumping, wenn der EU-Ministerrat und das Parlament der Richtlinie zustimmen. Aber auch eine verschärfte Ausbeutung der Arbeitskräfte und schwächere nationale Kontroll- und Schutzmöglichkeiten befürchtet der Gewerkschafter.
Einige Tagungsteilnehmer reagierten erstaunt bis entsetzt. Schmidt-Hullman stellte klar, dass die Zeit für Widerstand knapp ist. Nötig seien eine öffentliche Debatte, politische Lobbyarbeit und europaweite Aktionen. Auch Pflüger setzt auf eine starke außerparlamentarische Gegenbewegung. »Europa geht auch ohne Verfassung«, erklärte Sahra Wagenknecht und trat für soziale Grundrechte, das Abrüstungsgebot sowie Beschäftigungszuwachs und Armutsbekämpfung als politische Ziele ein.
Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht berichteten dem Netzwerk »Europa von unten«
Von Theo Wiese
Der Entwurf einer EU-Verfassung diene der Ausrichtung Europas an den Interessen der Konzerne und Banken. Das war der Tenor einer zweitägigen Veranstaltung des Netzwerkes »Europa von unten« in Berlin. »Europa von unten« ist ein offener Zusammenschluss von Organisationen wie Attac und dem Deutschen Friedensrat, von Gewerkschaften und Einzelnen.
Er sitze in einem »militaristischen Horrorklub«, berichtete Tobias Pflüger von seiner Arbeit im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments (EP). Der parteilose Friedensforscher ist seit Juni EP-Mitglied mit PDS-Mandat. Selbst Grünen-Parteichefin Angelika Beer sorge sich in dem Gremium nur noch um die angeblich schlechte Ausrüstung der Geheimdienste, meinte Pflüger und warnte zum wiederholten Male vor der Militarisierung der EU durch den Verfassungsentwurf. Dabei gehe es um einen Prozess, »der schon läuft« und nun in den Verfassungsrang erhoben werden solle. Die nationalen Regierungen, besonders die Frankreichs und der Bundesrepublik, seien »Hauptakteure« dieser Entwicklung. Wie beim Sozialabbau sei im militärischen Bereich »das Problem nicht die EU, sondern die deutsche Regierung».
Pflüger setzt in Friedensfragen nicht viel Hoffnung auf das Parlament, dem er angehört. Dessen Mehrheit stehe hinter dem Militarisierungskurs. Überdies habe es bei dem Verfassungsentwurf kein Entscheidungsrecht. Das liege allein beim EU-Ministerrat, in dem die Regierungen den Ton angeben.
Die Bevölkerung der Bundesrepublik weiß kaum, in welche Richtung der EU-Zug fährt. Diesen Mangel benannten mehrere Teilnehmer der Tagung. Es sei mehr Aufklärung, aber auch Widerstand gegen den neoliberalen Kurs der EU nötig, hieß es. »Die sozialen Proteste müssen europaweit koordiniert und vernetzt werden«, erklärte Stephan Lindner. Er arbeitet bei Attac mit und verwies auf den Zusammenhang zwischen dem Sozialabbau durch »Agenda 2010« und Hartz IV und den Vorgaben der EU-Kommission. Die Politik der Bundesrepublik, des wirtschaftlich stärksten EU-Mitglieds, setze ihre unsozialen Vorhaben zuerst in Brüssel durch. Was daraufhin aus der EU-Zentrale an Vorgaben zum Sozialabbau komme, werde dann als »Sachzwang« gegenüber der eigenen Bevölkerung durchgesetzt.
Das bestätigte ebenso wie Pflüger dessen Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht, ebenfalls für die PDS im Europaparlament. Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut spielten in der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik keine Rolle, stellte Wagenknecht fest. Der so genannte Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen willkürlichen Schuldenobergrenzen diene nur dazu, einen »radikalen Sozialabbau und weitere Privatisierungen« durchzusetzen. Die Vorschläge zur Reform des Paktes seien das »Einfallstor«, um diesen Kurs auch gegenüber den neuen Mitgliedsländern durchzusetzen. Der Verfassungsentwurf lege eine »offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« als EU-Modell fest. Das verstoße sogar gegen das deutsche Grundgesetz, betonte die PDS-Parlamentarierin.
Wohin der EU-Zug rast, machten mehrere Referenten anhand der geplanten Richtlinie zu den Dienstleistungen deutlich. Mit diesem Vorschlag von EU-Kommissar Frits Bolkestein würden »potenziell alle öffentlichen Dienstleistungen« dem marktwirtschaftlichen Diktat untergeordnet, erklärte Attac-Aktivist Thomas Fritz. Das diene »einer einzigen ökonomischen Organisationsform: dem transnational operierenden Konzern«, ergänzte Bernd Schneider, Assistent der PDS-Europaabgeordneten Gabriele Zimmer. Nur diesen Konzernen sei der nationalstaatliche Rahmen zu eng geworden. Auf die Folgen machte Frank Schmidt-Hullmann von der IG BAU aufmerksam. Dazu gehörten weiterer Sozialabbau und Lohndumping, wenn der EU-Ministerrat und das Parlament der Richtlinie zustimmen. Aber auch eine verschärfte Ausbeutung der Arbeitskräfte und schwächere nationale Kontroll- und Schutzmöglichkeiten befürchtet der Gewerkschafter.
Einige Tagungsteilnehmer reagierten erstaunt bis entsetzt. Schmidt-Hullman stellte klar, dass die Zeit für Widerstand knapp ist. Nötig seien eine öffentliche Debatte, politische Lobbyarbeit und europaweite Aktionen. Auch Pflüger setzt auf eine starke außerparlamentarische Gegenbewegung. »Europa geht auch ohne Verfassung«, erklärte Sahra Wagenknecht und trat für soziale Grundrechte, das Abrüstungsgebot sowie Beschäftigungszuwachs und Armutsbekämpfung als politische Ziele ein.
Tobias Pflüger - 2004/09/21 23:46
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