Kriegsminister bestreikt

Pressebericht in: Junge Welt, 03.03.2007

Das Personal des Dorint-Hotels trat befristet in den Ausstand. Konferenz in Wiesbaden durch Arbeitskampf behindert

Hans-Gerd Öfinger

Die Kriegsminister der Europäischen Union wurden am Freitag in Wiesbaden von der sozialen Wirklichkeit eingeholt: Das Personal des Konferenzhotels trat in einen vierstündigen Streik. Bereits am Dienstag hatten sich alle im Hotel beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) in einer Urabstimmung für Kampfmaßnahmen zur Durchsetzung von Einkommenserhöhungen und zur Abwehr von Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen ausgesprochen.

Ab sechs Uhr versammelten sich die Streikenden am Rande des militärischen Absperrgebiets, das die Bundeswehr um das Fünf-Sterne-Hotel herum festgelegt hatte. Vor dem Sitz des hessischen Hotel- und Gaststättenverbandes (HOGA) protestierten sie gegen das Vorhaben der Hoteliers, die Einkommen der Beschäftigten um bis zu 30 Prozent abzusenken. Für fast alle der versammelten Rezeptions-, Service-, Bankett- und Verwaltungskräfte, Haustechniker, Zimmermädchen, Köche, Kellner und Auszubildenden war dies der erste Streik in ihrem Leben. Sie hatten in den letzten Tagen an ihrem zum Hochsicherheitstrakt umfunktionierten Arbeitsplatz unter starkem Druck und permanenter Beobachtung gestanden.

»Wir bieten Höchstleistung und bekommen dafür viel zu wenig Geld«, sagte Sieglinde Wild von der hoteleigenen Bierstube zu junge Welt. »Wenn die Hoteliers ihren Horrorkatalog durchsetzen, können wir Azubis uns später keinen eigenen Hausstand leisten«, ergänzte Yuk-Luen Man, der dort eine Ausbildung als Hotelfachmann absolviert.

Hoteldirektor Peter Bertsch hatte den Arbeitskampf schon für Donnerstag erwartet und dazu externe Aushilfskräfte als Streikbrecher angeworben. Nach Streikbeginn am Freitag wollte er Härte demonstrieren und erklärte alle Streikenden kurzerhand für ausgesperrt. »Wer aussperrt, gehört eingesperrt!« rief der regionale NGG-Geschäftsführer, Peter Artzen, den Streikenden zu und erinnerte daran, daß die Aussperrung in der hessischen Landesverfassung verboten ist.

Vor den rund 250 Teilnehmern der Kundgebung wies der Europaabgeordnete Tobias Pflüger auf den Zusammenhang zwischen der Aufrüstung der EU nach außen und dem Sozialabbau nach innen hin und bestätigte, daß sich die Nachricht vom Streik auch in Brüsseler EU-Kreisen herumgesprochen habe.

Kurz vor Streikende lenkte die Hoteldirektion ein, hob die Aussperrung auf und sagte die volle Lohnfortzahlung für die Streikstunden zu. Die Streikenden nahmen diese Zusage erfreut zur Kenntnis und sahen sich bestätigt. »Soviel Zusammenhalt und Offenheit unter der Belegschaft habe ich noch nie erlebt«, bilanzierte die Hotelangestellte Elfriede Bachmann die Aktion.

»Wir haben gezeigt, daß wir auch die Kriegsminister bestreiken können«, sagte NGG-Sekretär Jürgen Hinzer. Sollten die hessischen Hoteliers weiterhin auf Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung beharren, müßten sie in anderen Häusern mit ähnlichen Aktionen rechnen. »Dann werden wir nicht Kriegsminister, sondern Messegäste in Frankfurt bestreiken«, kündigte Artzen an

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