Zoff in der EU
Pressebericht in: junge Welt, 31.03.2007
Kosovo-Debatte in der Außenministerrunde in Bremen offenbart Differenzen. Mindestens sechs Regierungen lehnen Abspaltung der südserbischen Provinz ab
Von Jürgen Elsässer
Wenige Stunden vor dem Treffen der Außenminister der EU-Mitgliedsländer am Freitag in Bremen kam es im Kosovo erneut zu einem Bombenanschlag: Um ein Uhr nachts erschütterte eine schwere Explosion das orthodoxe Kloster Visoki Decani. Nach Auskunft der Mönche war vom nahegelegenen Hügel eine Granate abgefeuert worden. Die serbischen Heiligtümer in der Provinz, viele von ihnen unersetzliche Kulturdenkmäler aus dem frühen Mittelalter, sind den albanischen Separatisten ein besonderer Dorn im Auge, weil sie die historischen Ansprüche der christlichen Slawen auf die Region illustrieren. Bereits Mitte dieser und in der vergangenen Woche waren Sprengsätze in oder bei serbischen Häusern in der Stadt Mitrovica im Norden der Proinvz explodiert. Obwohl niemand verletzt wurde, sind die Zwischenfälle Ausdruck der steigenden Spannungen in der Region.
Diese Spannungen lagen auch über dem Treffen in Bremen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier beschwor seine Amtskollegen, an einer gemeinsamen Linie in der Kosovo-Frage festzuhalten und den Vorschlag des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari weiter zu unterstützen, der eine von der EU kontrollierte Abspaltung der Provinz von Serbien vorsieht. Die EU plant die Entsendung von rund 1500 Polizisten und Beamten in das Kosovo – zusätzlich zu den dort bereits stationierten 16000 NATO-Soldaten der sogenannten Schutztruppe KFOR, die nicht abgezogen werden sollen. Nach Schätzungen von EU-Haushaltsexperten dürfte ein Protektorat Kosovo die Europäische Union bis zum Jahre 2011 »sage und schreibe 500 Milliarden Euro« kosten, war am Freitag der Märkischen Allgemeinen zu entnehmen. Es liege im »unmittelbaren europäischen Sicherheitsinteresse«, daß der UN-Sicherheitsrat in einer »vertretbaren Frist« eine Entscheidung treffe, betonte Steinmeier. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn mahnte, daß Einigkeit in der EU über dieses Thema »der Schlüssel für eine UN-Resolution im Sicherheitsrat« sei.
Trotz dieses Drucks der EU-Spitzen hielten unter anderem Griechenland, Zypern, Spanien und Italien auch auf der Bremer Konferenz an ihren Vorbehalten fest, meldete die Nachrichtenagentur AP. Selbiges trifft auch auf Rumänien zu, wie Staatspräsident Trajan Basesku noch am Vorabend des Treffens deutlich machte: Jede Lösung müsse von den Prinzipien der völkerrechtlichen Souveränität und der Unantastbarkeit der Grenzen ausgehen.
Powerplay
Der offene Widerstand einiger Mitgliedsländer bei der Bremer Zusammenkunft war nur der vorläufige Schlußpunkt einer turbulenten Woche für die Befürworter einer Unabhängigkeit des Kosovo. Am Montag hatte der UN-Sonderbeauftragte Ahtisaari seinen Abspaltungsplan, der bisher nur den Konfliktparteien und dem UN-Generalsekretär übergeben worden war, der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt. Am Dienstag hatte sich die NATO hinter seine Vorschläge gestellt. Bereits am Mittwoch aber hatte der russische Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich zum Telefon gegriffen und seinem US-Amtskollegen George W. Bush ein weiteres Mal verdeutlicht, daß Moskau keine Lösung mittragen werde, die nicht auch von Belgrad unterstützt wird. Als sich dann am Donnerstag die Balkan-Kontaktgruppe – also Emissäre aus Rußland, den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien – trafen, verlief die Debatte wegen des russischen Njets ergebnislos.
Ebenfalls am Mittwoch verabschiedete das slowakische Parlament eine Entschließung mit den Stimmen der Regierungsparteien und der meisten Oppositionsabgeordneten, in der eine Unabhängigkeit des Kosovo abgelehnt wird. Allerdings war der Text auf Druck aus Brüssel und Washington abgeschwächt worden. Während die Regierungsparteien Smer (Sozialdemokraten) und SNS (Nationalisten) ursprünglich kategorisch jede Separation als völkerrechtlich verworfen hatten, ist jetzt nur noch von der Ablehnung »voller und uneingeschränkter Unabhängigkeit« die Rede, was streng genommen nicht gegen die »kontrollierte Unabhängigkeit« unter EU-Kuratel spricht.
Vorteil Pflüger
Verwässerung machte aber auch den Freunden des albanischen Separatismus einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich wollte das Europäische Parlament am Donnerstag einen Entschließungsantrag verabschieden, der sich voll hinter den Ahtisaari-Plan stellt (siehe jW vom 30.März). Doch dem unermüdlichen Tobias Pflüger von der Linkspartei war es gelungen, bei den vorbereitenden Sitzungen im zuständigen Ausschuß die Formulierung in dem Antrag unterzubringen, daß »alle Regelungen hinsichtlich des künftigen Status des Kosovo im Einklang mit dem Völkerrecht stehen müssen«. Diese Passage ist nun Teil der verabschiedeten Resolution – sie zu streichen hatte sich die Mehrheit der Strasbourger Deputierten nicht getraut. Doch die Enthaltung der meisten Sozialdemokraten an diesem Punkt spricht Bände. Jedenfalls: Nimmt man den Text wörtlich, ist er durch diesen Einschub als Rückhalt für die separatistische Position wertlos geworden.
Nächste Woche wird der Ahtisaari-Plan voraussichtlich erstmals im Sicherheitsrat debattiert werden. Rußland hat allerdings bisher für eine Verschiebung des Tagesordnungspunktes plädiert und ersatzweise vorgeschlagen, die Mitglieder des höchsten UN-Gremiums sollten sich zuerst im Kosovo persönlich über die Lage informieren. Sollte es dennoch zu einer Debatte in New York kommen, hat der serbische Premier Vojislav Kostunica sein Kommen angekündigt.
Kosovo-Debatte in der Außenministerrunde in Bremen offenbart Differenzen. Mindestens sechs Regierungen lehnen Abspaltung der südserbischen Provinz ab
Von Jürgen Elsässer
Wenige Stunden vor dem Treffen der Außenminister der EU-Mitgliedsländer am Freitag in Bremen kam es im Kosovo erneut zu einem Bombenanschlag: Um ein Uhr nachts erschütterte eine schwere Explosion das orthodoxe Kloster Visoki Decani. Nach Auskunft der Mönche war vom nahegelegenen Hügel eine Granate abgefeuert worden. Die serbischen Heiligtümer in der Provinz, viele von ihnen unersetzliche Kulturdenkmäler aus dem frühen Mittelalter, sind den albanischen Separatisten ein besonderer Dorn im Auge, weil sie die historischen Ansprüche der christlichen Slawen auf die Region illustrieren. Bereits Mitte dieser und in der vergangenen Woche waren Sprengsätze in oder bei serbischen Häusern in der Stadt Mitrovica im Norden der Proinvz explodiert. Obwohl niemand verletzt wurde, sind die Zwischenfälle Ausdruck der steigenden Spannungen in der Region.
Diese Spannungen lagen auch über dem Treffen in Bremen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier beschwor seine Amtskollegen, an einer gemeinsamen Linie in der Kosovo-Frage festzuhalten und den Vorschlag des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari weiter zu unterstützen, der eine von der EU kontrollierte Abspaltung der Provinz von Serbien vorsieht. Die EU plant die Entsendung von rund 1500 Polizisten und Beamten in das Kosovo – zusätzlich zu den dort bereits stationierten 16000 NATO-Soldaten der sogenannten Schutztruppe KFOR, die nicht abgezogen werden sollen. Nach Schätzungen von EU-Haushaltsexperten dürfte ein Protektorat Kosovo die Europäische Union bis zum Jahre 2011 »sage und schreibe 500 Milliarden Euro« kosten, war am Freitag der Märkischen Allgemeinen zu entnehmen. Es liege im »unmittelbaren europäischen Sicherheitsinteresse«, daß der UN-Sicherheitsrat in einer »vertretbaren Frist« eine Entscheidung treffe, betonte Steinmeier. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn mahnte, daß Einigkeit in der EU über dieses Thema »der Schlüssel für eine UN-Resolution im Sicherheitsrat« sei.
Trotz dieses Drucks der EU-Spitzen hielten unter anderem Griechenland, Zypern, Spanien und Italien auch auf der Bremer Konferenz an ihren Vorbehalten fest, meldete die Nachrichtenagentur AP. Selbiges trifft auch auf Rumänien zu, wie Staatspräsident Trajan Basesku noch am Vorabend des Treffens deutlich machte: Jede Lösung müsse von den Prinzipien der völkerrechtlichen Souveränität und der Unantastbarkeit der Grenzen ausgehen.
Powerplay
Der offene Widerstand einiger Mitgliedsländer bei der Bremer Zusammenkunft war nur der vorläufige Schlußpunkt einer turbulenten Woche für die Befürworter einer Unabhängigkeit des Kosovo. Am Montag hatte der UN-Sonderbeauftragte Ahtisaari seinen Abspaltungsplan, der bisher nur den Konfliktparteien und dem UN-Generalsekretär übergeben worden war, der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt. Am Dienstag hatte sich die NATO hinter seine Vorschläge gestellt. Bereits am Mittwoch aber hatte der russische Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich zum Telefon gegriffen und seinem US-Amtskollegen George W. Bush ein weiteres Mal verdeutlicht, daß Moskau keine Lösung mittragen werde, die nicht auch von Belgrad unterstützt wird. Als sich dann am Donnerstag die Balkan-Kontaktgruppe – also Emissäre aus Rußland, den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien – trafen, verlief die Debatte wegen des russischen Njets ergebnislos.
Ebenfalls am Mittwoch verabschiedete das slowakische Parlament eine Entschließung mit den Stimmen der Regierungsparteien und der meisten Oppositionsabgeordneten, in der eine Unabhängigkeit des Kosovo abgelehnt wird. Allerdings war der Text auf Druck aus Brüssel und Washington abgeschwächt worden. Während die Regierungsparteien Smer (Sozialdemokraten) und SNS (Nationalisten) ursprünglich kategorisch jede Separation als völkerrechtlich verworfen hatten, ist jetzt nur noch von der Ablehnung »voller und uneingeschränkter Unabhängigkeit« die Rede, was streng genommen nicht gegen die »kontrollierte Unabhängigkeit« unter EU-Kuratel spricht.
Vorteil Pflüger
Verwässerung machte aber auch den Freunden des albanischen Separatismus einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich wollte das Europäische Parlament am Donnerstag einen Entschließungsantrag verabschieden, der sich voll hinter den Ahtisaari-Plan stellt (siehe jW vom 30.März). Doch dem unermüdlichen Tobias Pflüger von der Linkspartei war es gelungen, bei den vorbereitenden Sitzungen im zuständigen Ausschuß die Formulierung in dem Antrag unterzubringen, daß »alle Regelungen hinsichtlich des künftigen Status des Kosovo im Einklang mit dem Völkerrecht stehen müssen«. Diese Passage ist nun Teil der verabschiedeten Resolution – sie zu streichen hatte sich die Mehrheit der Strasbourger Deputierten nicht getraut. Doch die Enthaltung der meisten Sozialdemokraten an diesem Punkt spricht Bände. Jedenfalls: Nimmt man den Text wörtlich, ist er durch diesen Einschub als Rückhalt für die separatistische Position wertlos geworden.
Nächste Woche wird der Ahtisaari-Plan voraussichtlich erstmals im Sicherheitsrat debattiert werden. Rußland hat allerdings bisher für eine Verschiebung des Tagesordnungspunktes plädiert und ersatzweise vorgeschlagen, die Mitglieder des höchsten UN-Gremiums sollten sich zuerst im Kosovo persönlich über die Lage informieren. Sollte es dennoch zu einer Debatte in New York kommen, hat der serbische Premier Vojislav Kostunica sein Kommen angekündigt.
Tobias Pflüger - 2007/04/07 03:27
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