Ein Tag, der eigentlich ganz friedlich begann
Pressebericht in: Die Welt, Juni 2007, 14:32 Uhr
Von Freia Peters
Die erste große Demonstration gegen den G-8-Gipfel begann mit einer Enttäuschung für die Widerständler. Statt der erwarteten 100.000 Teilnehmer waren nur rund 30.000 nach Rostock gekommen. Lage war lange ruhig, fast volksfestartig - bis Autonome die Polizei angriffen.
Mit wesentlich geringerer Beteiligung als erwartet hat in Rostock die erste große Demonstration gegen den G-8-Gipfel in der kommenden Woche in Heiligendamm begonnen. Am Mittag setzen sich zwei Demonstrationszüge mit Ziel Stadthafen in Bewegung. Die Veranstalter hatten bis zu 100.000 Teilnehmer erwartet, die Polizei zählt zunächst „nur“ an die 30.000 Demonstranten. Zur Sicherung der Demonstrationszüge setzt die Polizei rund 5000 Beamte ein.
Wenig später wird ein Polizist verletzt. Ein Demonstrant sei mit einem Messer auf den Beamten losgegangen, berichtet eine Polizeisprecherin. Der Polizist wird nicht schwer verletzt und bleibt im Dienst. Auch erste Sachbeschädigungen am Rande der Demonstration meldet die Polizei: An einer Bank geht eine Scheibe zu Bruch, andernorts wird von einer eingeworfenen Scheibe an einer Bushaltestelle berichtet. Zudem gibt es erste Angriffe aus den Reihen von Autonomen auf die Polizei.
Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörper und Steine
Eine Stunde nach Auftakt der Demonstration fliegen Farbbeutel, Flaschen und Steine auf die Polizisten. Rund zwölf schwarz vermummte Autonome attackieren ein Polizeiauto. Die Polizisten ergreifen daraufhin die Flucht. Auch ein Hotel wird Ziel einer Attacke. Dort soll eine Delegation von US-Gesandten wohnen.
Wenig später gehen hundert Polizisten gegen rund 500 Autonome vor. Ein Polizeisprecher sagte, aus den Reihen der Autonomen seien Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörper und Steine geworfen worden, Polizisten seien von Demonstranten eingekesselt worden. Augenzeugen berichten von verletzten Demonstranten.
Aus der Menge der umstehenden Demonstranten erschallen Rufe gegen die Polizei. Eine Organisatorin der Demonstration forderte die Autonomen auf, sich aus der Nähe der Polizei zurückzuziehen. Im Gegenzug hätte die Polizei ebenfalls ihren Rückzug aus der Auseinandersetzung angekündigt.
„G-Acht-gute-Nacht! G-Acht-Gute Nacht!“
Dabei lässt sich alles überaus friedlich an: Am Rostocker Platz der Freundschaft reißen die Demonstranten ihre Arme hoch. „Lasst uns die Hoffnung nicht verlieren, lasst uns immer aktiv sein! Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen werden wir Einfluss auf die Machthaber bekommen!“ Schreie, Pfiffe und Jubel sind die Antwort auf die Worte von Attac-Mitglied Tobias Pflüger, der die angereisten Demonstranten am Hauptbahnhof mobilisiert. Es sind hunderte, tausende vermutlich, sie haben Transparente dabei, die gegen den Erzfeind Kapitalismus ätzen, Puppen von Bush und Merkel, die die Weltkugel aufspießen, sie klatschen in die Hände und rufen „G-Acht-gute-Nacht! G-Acht-Gute Nacht!“ Sie tragen Rucksäcke und Isomatten, Wasserflaschen baumeln an den Gürteln, auf ihren T-Shirts steht „Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen“ oder „Wir grillen für den Widerstand.“ Die meisten Demonstranten wirken aufgeregt, endlich geht es los, monatelang hatten viele von ihnen den Protest gegen den G-8-Gipfel vorbereitet. Nun beginnt die Großdemo, die erste von 72 Protestaktionen, mit dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“, das einige der Angereisten lieber ummünzen würden in „Revolution am Ostseestrand“. Das zumindest steht auf vielen Transparenten.
Die bunte Menge setzt sich in Bewegung, bis zum Stadthafen wollen sie laufen. An den Straßenrändern stehen Hunderte von Polizisten mit grünen und schwarzen Overalls, viele von ihnen tragen Spiegelbrillen, obwohl der Himmel grau ist und ein kühler Wind geht. „Die Gewalt geht von den staatlichen Behörden aus“, hatte Auftaktredner Pflüger gebrüllt, „Teile der Polizei werden alles tun, damit sie Bilder von gewalttätigen Demonstranten bekommen, damit sie uns diskreditieren können.“ Doch die Beamten hatten keine Miene verzogen, waren mit vorn überkreuzten Händen stehen geblieben. „Deeskalation“ solle herrschen, hatte der Rostocker Polizeiführer Knut Abramowski seinen Leuten eingebläut.
Weder die Linken, noch die Polizisten hatten im Vorhinein bei der Großdemonstration mit Gewalt gerechnet. Wenn zum Auftakt des Gipfels am Mittwoch die Straßenblockaden beginnen, sieht die Sache anders aus. Die Protestler sind wütend, dass das Demonstrationsverbot fünf Kilometer um den Zaun in Heiligendamm nun doch wieder errichtet wurde. Nun ziehen sie mit einer Eilklage vor das Bundesverfassungsgericht. Die Meinung der meisten Rechtsexperten ist, dass die Karlsruher Richter die Demonstranten Recht geben und Proteste bis 200 Meter vor dem Zaun zugelassen werden.
Gutes Beispiel für Putin
Aber gestern blieb es friedlich. „Eine ruhige, politisch kämpferische Demonstration“, also, wie es sich die Linken, und auch Polizei und Politiker gewünscht hatten. „Besonders Angela Merkel ist schließlich daran gelegen, dass sie Wladimir Putin sagen kann, guck mal, bei uns ist demokratischer Protest möglich“, sagt Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken, einer der führenden Gruppen in der Mobilisierung des Gipfelprotestes. Beim EU-Rußland-Gipfel vor zwei Wochen hatte der russische Präsident die Kritik von Angela Merkel an der Verhaftung russischer Demonstranten zurück gewiesen mit der Bemerkung, auch in Deutschland habe es schließlich Razzien und Festsetzungen von Protestlern gegeben.
Doch selbst die linksextremen Gruppen differenzieren zwischen deutschen und russischen Verhältnissen. Festnahmen soll es in Rostock nur im äußersten Fall geben, hatte der mecklenburgische Innenminister Lorenz Caffier angekündigt. Trotzdem sind auf dem Industriegelände und in einer Polizeiturnhalle Sammelstellen für Festgesetzte eingerichtet worden, rund 100 Anwälte stehen bereit, um eventuelle Festnahmen zu dokumentieren und den Verbleib der Demonstranten zu klären.
Die meisten Demonstranten blieben friedlich
Werner Rätz von Attac geht wippenden Schrittes im bunten Pulk der Demonstranten. „Zu Beginn der Woche wird die Polizei den Umgang mit den Demonstranten verschärfen“, glaubt er. „Die brauchen eine Rechtfertigung für den gewaltigen Sicherheitsaufwand.“ Rätz bleibt gelassen, als eine Frau vom „Schwarzen Block“ der Antifaschistischen Linken in die Menge ruft: „Die Neonazis haben in Richtung Rostock mobilisiert.“ Die NPD-Demonstration in Schwerin war von der Polizei untersagt worden, also sind die rechten Protestler angeblich nach Rostock gereist. Von den meisten Demonstranten aber werden sie nicht als Gefahr gesehen. „Wir haben unser eigenes Ordnungssystem“, sagt Rätz. Ein anderer murmelt kopfschüttelnd vor sich hin: „Wenn sie wirklich kommen, sind sie lebensmüde.“ In dieser Hinsicht berufen sich die Linken auf die Polizei. Es sei auch ihre Aufgabe, die Neonazis von ihrer Demo fernzuhalten. Bisher ist niemand in Sicht, der aussieht, wie ein Rechter.
Auch Ahnungslose protestierten mit
Zwischen den politisch Engagierten, die unaufhörlich Parolen für eine Welt ohne Grenzen, ohne Krieg und ohne Ausbeutung schmettern, trifft man Angetrunkene. Auf die Frage, warum sie gegen den G-8-Gipfel sind, sagen sie: „Weil die nie das einhalten, was sie sagen!“ Was nämlich? „Keine Ahnung, ich bin unpolitisch.“
Immer wieder bleiben Rätz, Kleine und die anderen Demoleiter stehen und stecken die Köpfe zusammen. Es läuft gut, gibt zwar Wortgefechte, aber keine Rangeleien, kein Grund, die Strategie zu ändern. Der Weg geht durch die Fußgängerzone, vorbei an einer Filiale der Deutschen Bank, vorbei an Bekleidungsgeschäften „H&M“ und „Esprit“, sie alle haben mit schweren Sperrholzplatten ihre Schaufenster verriegelt. Viele der Rostocker Einwohner haben die Stadt verlassen, noch am frühen Morgen, bevor die Sonderzüge aus ganz Deutschland die Demonstranten nach Rostock brachten, wirkte die Hansestadt ausgestorben.
„Dieses System konzentriert den Reichtum bei den wenigen und enteignet die Vielen!“ ruft ein eine Frau mit nördlichem Akzent. 1300 Kilometer ist sie mit dem Fahrrad angereist. Die Karawane führte von Finnland über Dänemark, Flensburg, bis nach Rostock. Unterwegs haben die Radfahrer so viele wir möglich mobilisiert und „mitgenommen auf die Reise zum Widerstand“. Svantje aus Helsinki hat sie alle Vorbereitungen für den Protest getroffen: Ihren Handyspeicher hat gelöscht, den Ausweis eingesteckt und eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen – für den Fall, dass es zu einer Verletzung kommen sollte. Fünf solcher Fahrradgruppen sind aus allen Ecken Europas angereist, aus Italien, Belgien, Polen und den Niederlanden. Etwa 3000 Leute sind aus dem Ausland nach Rostock gekommen. Die radikalsten unter ihnen stammen angeblich aus Italien. Einige von ihnen tragen rote Sterne auf der Stirn und geballte Fäuste auf ihren T-Shirts. Seit dem Weltwirtschaftsgipfel in Genua 2001, bei dem die Gewalt eskalierte, 500 verletzt und 300 verhaftet wurden, soll sich in Italien die linksradikale Szene deutlich verstärkt haben. „Ihr steht auf der falschen Seite!“ brüllt einer von ihnen den Polizisten am Straßenrand entgegen.
Der kleine Traum des Demoleiters
Demoleiter Christoph Kleine läuft ruhig die Rostocker Straßen entlang. Er hat einen Traum. Darin verkündet die Tagesschausprecherin am 6. Juni 2007: "in breites Spektrum aus sozialen Bewegungen und linken Aktivisten hat heute die Demonstration Rostock G-8-Gipfel Attac Christoph Kleine Zufahrtsstraßen zum G-8-Gipfel blockiert, so dass kein Durchkommen mehr war. Nicht nur in Rostock und Heiligendamm, sondern an vielen Orten der Bundesrepublik haben Menschen heute ihre Ablehnung des Gipfels zum Ausdruck gebracht." Kleine glaubt, dass die Auftaktdemo in Rostock das erste Zeichen ist, dass sein Traum Wirklichkeit wird. "Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt er.
Von Freia Peters
Die erste große Demonstration gegen den G-8-Gipfel begann mit einer Enttäuschung für die Widerständler. Statt der erwarteten 100.000 Teilnehmer waren nur rund 30.000 nach Rostock gekommen. Lage war lange ruhig, fast volksfestartig - bis Autonome die Polizei angriffen.
Mit wesentlich geringerer Beteiligung als erwartet hat in Rostock die erste große Demonstration gegen den G-8-Gipfel in der kommenden Woche in Heiligendamm begonnen. Am Mittag setzen sich zwei Demonstrationszüge mit Ziel Stadthafen in Bewegung. Die Veranstalter hatten bis zu 100.000 Teilnehmer erwartet, die Polizei zählt zunächst „nur“ an die 30.000 Demonstranten. Zur Sicherung der Demonstrationszüge setzt die Polizei rund 5000 Beamte ein.
Wenig später wird ein Polizist verletzt. Ein Demonstrant sei mit einem Messer auf den Beamten losgegangen, berichtet eine Polizeisprecherin. Der Polizist wird nicht schwer verletzt und bleibt im Dienst. Auch erste Sachbeschädigungen am Rande der Demonstration meldet die Polizei: An einer Bank geht eine Scheibe zu Bruch, andernorts wird von einer eingeworfenen Scheibe an einer Bushaltestelle berichtet. Zudem gibt es erste Angriffe aus den Reihen von Autonomen auf die Polizei.
Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörper und Steine
Eine Stunde nach Auftakt der Demonstration fliegen Farbbeutel, Flaschen und Steine auf die Polizisten. Rund zwölf schwarz vermummte Autonome attackieren ein Polizeiauto. Die Polizisten ergreifen daraufhin die Flucht. Auch ein Hotel wird Ziel einer Attacke. Dort soll eine Delegation von US-Gesandten wohnen.
Wenig später gehen hundert Polizisten gegen rund 500 Autonome vor. Ein Polizeisprecher sagte, aus den Reihen der Autonomen seien Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörper und Steine geworfen worden, Polizisten seien von Demonstranten eingekesselt worden. Augenzeugen berichten von verletzten Demonstranten.
Aus der Menge der umstehenden Demonstranten erschallen Rufe gegen die Polizei. Eine Organisatorin der Demonstration forderte die Autonomen auf, sich aus der Nähe der Polizei zurückzuziehen. Im Gegenzug hätte die Polizei ebenfalls ihren Rückzug aus der Auseinandersetzung angekündigt.
„G-Acht-gute-Nacht! G-Acht-Gute Nacht!“
Dabei lässt sich alles überaus friedlich an: Am Rostocker Platz der Freundschaft reißen die Demonstranten ihre Arme hoch. „Lasst uns die Hoffnung nicht verlieren, lasst uns immer aktiv sein! Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen werden wir Einfluss auf die Machthaber bekommen!“ Schreie, Pfiffe und Jubel sind die Antwort auf die Worte von Attac-Mitglied Tobias Pflüger, der die angereisten Demonstranten am Hauptbahnhof mobilisiert. Es sind hunderte, tausende vermutlich, sie haben Transparente dabei, die gegen den Erzfeind Kapitalismus ätzen, Puppen von Bush und Merkel, die die Weltkugel aufspießen, sie klatschen in die Hände und rufen „G-Acht-gute-Nacht! G-Acht-Gute Nacht!“ Sie tragen Rucksäcke und Isomatten, Wasserflaschen baumeln an den Gürteln, auf ihren T-Shirts steht „Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen“ oder „Wir grillen für den Widerstand.“ Die meisten Demonstranten wirken aufgeregt, endlich geht es los, monatelang hatten viele von ihnen den Protest gegen den G-8-Gipfel vorbereitet. Nun beginnt die Großdemo, die erste von 72 Protestaktionen, mit dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“, das einige der Angereisten lieber ummünzen würden in „Revolution am Ostseestrand“. Das zumindest steht auf vielen Transparenten.
Die bunte Menge setzt sich in Bewegung, bis zum Stadthafen wollen sie laufen. An den Straßenrändern stehen Hunderte von Polizisten mit grünen und schwarzen Overalls, viele von ihnen tragen Spiegelbrillen, obwohl der Himmel grau ist und ein kühler Wind geht. „Die Gewalt geht von den staatlichen Behörden aus“, hatte Auftaktredner Pflüger gebrüllt, „Teile der Polizei werden alles tun, damit sie Bilder von gewalttätigen Demonstranten bekommen, damit sie uns diskreditieren können.“ Doch die Beamten hatten keine Miene verzogen, waren mit vorn überkreuzten Händen stehen geblieben. „Deeskalation“ solle herrschen, hatte der Rostocker Polizeiführer Knut Abramowski seinen Leuten eingebläut.
Weder die Linken, noch die Polizisten hatten im Vorhinein bei der Großdemonstration mit Gewalt gerechnet. Wenn zum Auftakt des Gipfels am Mittwoch die Straßenblockaden beginnen, sieht die Sache anders aus. Die Protestler sind wütend, dass das Demonstrationsverbot fünf Kilometer um den Zaun in Heiligendamm nun doch wieder errichtet wurde. Nun ziehen sie mit einer Eilklage vor das Bundesverfassungsgericht. Die Meinung der meisten Rechtsexperten ist, dass die Karlsruher Richter die Demonstranten Recht geben und Proteste bis 200 Meter vor dem Zaun zugelassen werden.
Gutes Beispiel für Putin
Aber gestern blieb es friedlich. „Eine ruhige, politisch kämpferische Demonstration“, also, wie es sich die Linken, und auch Polizei und Politiker gewünscht hatten. „Besonders Angela Merkel ist schließlich daran gelegen, dass sie Wladimir Putin sagen kann, guck mal, bei uns ist demokratischer Protest möglich“, sagt Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken, einer der führenden Gruppen in der Mobilisierung des Gipfelprotestes. Beim EU-Rußland-Gipfel vor zwei Wochen hatte der russische Präsident die Kritik von Angela Merkel an der Verhaftung russischer Demonstranten zurück gewiesen mit der Bemerkung, auch in Deutschland habe es schließlich Razzien und Festsetzungen von Protestlern gegeben.
Doch selbst die linksextremen Gruppen differenzieren zwischen deutschen und russischen Verhältnissen. Festnahmen soll es in Rostock nur im äußersten Fall geben, hatte der mecklenburgische Innenminister Lorenz Caffier angekündigt. Trotzdem sind auf dem Industriegelände und in einer Polizeiturnhalle Sammelstellen für Festgesetzte eingerichtet worden, rund 100 Anwälte stehen bereit, um eventuelle Festnahmen zu dokumentieren und den Verbleib der Demonstranten zu klären.
Die meisten Demonstranten blieben friedlich
Werner Rätz von Attac geht wippenden Schrittes im bunten Pulk der Demonstranten. „Zu Beginn der Woche wird die Polizei den Umgang mit den Demonstranten verschärfen“, glaubt er. „Die brauchen eine Rechtfertigung für den gewaltigen Sicherheitsaufwand.“ Rätz bleibt gelassen, als eine Frau vom „Schwarzen Block“ der Antifaschistischen Linken in die Menge ruft: „Die Neonazis haben in Richtung Rostock mobilisiert.“ Die NPD-Demonstration in Schwerin war von der Polizei untersagt worden, also sind die rechten Protestler angeblich nach Rostock gereist. Von den meisten Demonstranten aber werden sie nicht als Gefahr gesehen. „Wir haben unser eigenes Ordnungssystem“, sagt Rätz. Ein anderer murmelt kopfschüttelnd vor sich hin: „Wenn sie wirklich kommen, sind sie lebensmüde.“ In dieser Hinsicht berufen sich die Linken auf die Polizei. Es sei auch ihre Aufgabe, die Neonazis von ihrer Demo fernzuhalten. Bisher ist niemand in Sicht, der aussieht, wie ein Rechter.
Auch Ahnungslose protestierten mit
Zwischen den politisch Engagierten, die unaufhörlich Parolen für eine Welt ohne Grenzen, ohne Krieg und ohne Ausbeutung schmettern, trifft man Angetrunkene. Auf die Frage, warum sie gegen den G-8-Gipfel sind, sagen sie: „Weil die nie das einhalten, was sie sagen!“ Was nämlich? „Keine Ahnung, ich bin unpolitisch.“
Immer wieder bleiben Rätz, Kleine und die anderen Demoleiter stehen und stecken die Köpfe zusammen. Es läuft gut, gibt zwar Wortgefechte, aber keine Rangeleien, kein Grund, die Strategie zu ändern. Der Weg geht durch die Fußgängerzone, vorbei an einer Filiale der Deutschen Bank, vorbei an Bekleidungsgeschäften „H&M“ und „Esprit“, sie alle haben mit schweren Sperrholzplatten ihre Schaufenster verriegelt. Viele der Rostocker Einwohner haben die Stadt verlassen, noch am frühen Morgen, bevor die Sonderzüge aus ganz Deutschland die Demonstranten nach Rostock brachten, wirkte die Hansestadt ausgestorben.
„Dieses System konzentriert den Reichtum bei den wenigen und enteignet die Vielen!“ ruft ein eine Frau mit nördlichem Akzent. 1300 Kilometer ist sie mit dem Fahrrad angereist. Die Karawane führte von Finnland über Dänemark, Flensburg, bis nach Rostock. Unterwegs haben die Radfahrer so viele wir möglich mobilisiert und „mitgenommen auf die Reise zum Widerstand“. Svantje aus Helsinki hat sie alle Vorbereitungen für den Protest getroffen: Ihren Handyspeicher hat gelöscht, den Ausweis eingesteckt und eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen – für den Fall, dass es zu einer Verletzung kommen sollte. Fünf solcher Fahrradgruppen sind aus allen Ecken Europas angereist, aus Italien, Belgien, Polen und den Niederlanden. Etwa 3000 Leute sind aus dem Ausland nach Rostock gekommen. Die radikalsten unter ihnen stammen angeblich aus Italien. Einige von ihnen tragen rote Sterne auf der Stirn und geballte Fäuste auf ihren T-Shirts. Seit dem Weltwirtschaftsgipfel in Genua 2001, bei dem die Gewalt eskalierte, 500 verletzt und 300 verhaftet wurden, soll sich in Italien die linksradikale Szene deutlich verstärkt haben. „Ihr steht auf der falschen Seite!“ brüllt einer von ihnen den Polizisten am Straßenrand entgegen.
Der kleine Traum des Demoleiters
Demoleiter Christoph Kleine läuft ruhig die Rostocker Straßen entlang. Er hat einen Traum. Darin verkündet die Tagesschausprecherin am 6. Juni 2007: "in breites Spektrum aus sozialen Bewegungen und linken Aktivisten hat heute die Demonstration Rostock G-8-Gipfel Attac Christoph Kleine Zufahrtsstraßen zum G-8-Gipfel blockiert, so dass kein Durchkommen mehr war. Nicht nur in Rostock und Heiligendamm, sondern an vielen Orten der Bundesrepublik haben Menschen heute ihre Ablehnung des Gipfels zum Ausdruck gebracht." Kleine glaubt, dass die Auftaktdemo in Rostock das erste Zeichen ist, dass sein Traum Wirklichkeit wird. "Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt er.
Tobias Pflüger - 2007/06/13 15:07
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