Marktdogmatik und Rüstungslobbyismus - Kolumne im Schwäbischen Tagblatt, 05.11.2004

Die Präsidentenwahl in den USA ist entschieden, nicht so, wie die meisten es hierzulande sich gewünscht haben. Noch einmal vier Jahre George W. Bush . . . Drohen neue Kriege?

Die notwendige Kritik an der Kriegsorientierung und den Weltmachtambitionen dieser US-Administration sollte uns nicht verleiten, die Gefahren zu übersehen, die von der EU und Deutschland ausgehen. Was uns aus Brüssel und Berlin geboten wird, ist ebenfalls großmachtfixiert.

Das Europäische Parlament hat - in seltener Einigkeit - die vorgeschlagene Kommission vorläufig verhindert. Ausgerechnet der stockreaktionäre Ricco Buttiglione sollte das europäische Justiz- und Innenressort bekommen. Wer Homosexuelle als Sünder betrachtet und allein erziehende Mütter diskriminiert, hat auch im bürgerlichen Lager keine Mehrheit mehr – das ist gut so. In Bezug auf europäische Flüchtlingspolitik hätte der italienische Kandidat aber gut gepasst in das Konzept eines Otto Schily, Europa zur Festung auszubauen.

Buttiglione war nur die Spitze des Eisbergs. Meine Fraktion im europäischen Parlament, die Vereinigte Europäische Linke / Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) lehnte von Anfang an diesen Vorschlag ab, weil das Tableau fast durchgängig aus Marktdogmatikern und Rüstungslobbyisten bestand: Es war eine wilde Mischung aus Inkompetenz und gefährlichen politischen Positionen.

[Die Niederländerin Nellie Kroes etwa, die noch kürzlich in mindestens 42 Aufsichtsräten sitzend in Rüstungsaktivitäten und Korruptionsskandale verwickelt war. Der Ungar Laszlo Kovacs sollte zuständig sein für Energiefragen, offen befürwortete er die weitere Förderung der Atomenergie. Der Ire Charlie McCreevy soll die weitere Liberalisierung des Dienstleistungsbereiches durchpeitschen, für die Koordination der so genannten Lissabon-Strategie ist der deutsche Günter Verheugen als Industriekommissar vorgesehen.]

Meine Prognose: Barroso wird nur wenige der Kommissare austauschen, die Grundlinie wird die gleiche bleiben, neben den Konservativen werden aber Sozialdemokraten und Liberale schlussendlich wieder zustimmen.

Ich wünsche mir, dass die vorläufige Ablehnung dieser EU-Kommission auch die Ratifizierungsdebatte um die neue EU-Verfassung befördert. Geplant war ein pompöses Feiern, das war nur bedingt möglich. Der neue EU-Verfassungsvertrag ist ein umfassendes Vertragswerk. Er hat 454 Artikel und 36 Protokolle auf 852 Seiten. Wer hat sie bisher überhaupt lesen können? Darin wird eine neoliberale Wirtschaftsordnung in Verfassungsrang erhoben, ebenso die Pflicht zu Aufrüstung und EU-Kampfeinsätzen. Ich setze darauf, dass der Vertrag im Ratifizierungsprozess der 25 Mitgliedstaaten scheitert. Die beste Chance zum Nein besteht in Frankreich. Nun haben erfreulicherweise sowohl Attac als auch die PDS die Unterstützung der Kampagne „Gegen diesen Verfassungsvertrag“ beschlossen (siehe www.tobias-pflueger.de).

Letzte Woche sprach ich in Straßburg zum Thema Streubomben. Ich forderte die Ächtung und das Verbot dieser Waffen. Es ist auch die deutsche Firma Rheinmetall, die mit diesen Waffen Gewinne einfährt. Im Jugoslawien-Krieg 1999, der mit Unterstützung von SPDGrünen geführt wurde, setzte die NATO Streubomben ein. Noch heute verseuchen rund 30 000 Streubombenblindgänger den Kosovo. Streubomben sind Teil der Kriegsführung westlicher Staaten, in Afghanistan, im Irak...

Der Tübinger Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) am Wochenende 13. und 14. November in der „Hirsch“-Begegnungsstätte bietet Gelegenheit, zum Thema EU-Verfassung, europäische Militarisierung und Gegenstrategien zu diskutieren. Dazu lade ich herzlich ein.

Tobias Pflüger, parteiloser Europaabgeordneter der PDS

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