Nebelkrieger

Pressebericht in: ZEIT online, 27/2007, 29.6.2007

War die Datenvernichtung der Bundeswehr doch keine Panne? Es gibt zumindest Indizien dafür, dass von den Verantwortlichen gezielt etwas vertuscht wurde. Eine Spurensuche.

Von Kai Biermann

Seit bekannt wurde, dass bei der Bundeswehr ganze Jahrgänge mit Daten über Auslandseinsätze verschwunden sind, ist das Rätselraten groß, was dahinter steckt. War es wirklich nur eine Panne, defekter Technik und zu geringen Mitteln geschuldet, wie die Bundeswehr behauptet? Daran gibt es zumindest erhebliche und berechtigte Zweifel.

Wenn aber nicht ein Roboter für die Vernichtung der Datenbänder verantwortlich ist, was waren dann die Gründe? Steckten gar politische Motive dahinter? Wurden gezielt brisante Informationen vernichtet, um sie der Aufklärung durch zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestags zu entziehen?

Derzeit gibt es zwei Vorschläge, die zumindest die Motive erklären könnten. Beide muss man jedoch mit Vorsicht betrachten. Denn sie sind nahe an dem, was man gemeinhin als Verschwörungstheorie bezeichnet. Und sie lassen außer acht, dass vielleicht tatsächlich eine Mischung aus Geldmangel, Trotteligkeit und sturem Befolgen von Dienstanweisungen zu der Löschaktion führte.

Theorie eins: Die Daten verschwanden, um "Sauereien" des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der geheimen Elitetruppe der Bundeswehr, zu decken. Sie basiert auf einer vagen zeitlichen Koinzidenz und auf bisher bekannt gewordenen Verfehlungen der Spezialeinheit.

Die im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) gelöschten Datensätze stammen aus den Jahren 1999 bis 2003. Wichtig ist zu wissen, was für Informationen eigentlich verschwanden. Rohdaten, so die einzige offizielle Version. Im Wesentlichen handelt es sich um Meldungen aus Ländern in aller Welt, in denen die Bundeswehr eingesetzt ist oder deutsche Sicherheitsinteressen bestehen, wie es in der Politik gern heißt, wenn es um Geld, Einfluss oder Terrorismus geht.

Die Berichte sämtlicher Militärattachés gehören dazu, Daten aus dem Auswärtigen Amt über diese Länder, einschließlich Informationen des Bundesnachrichtendienstes und befreundeter Dienste. Dazu kamen abgefangene Nachrichten, Satellitenbilder und von sogenannten Genics (German National Intelligence Cells) gesammelte Informationen über gegnerische Streitkräfte, Tagesmeldungen des KSK, von Fernspäheinheiten, der Feldnachrichtentrupps und der Butan-Teams, der „Beweglichen Unterstützungsteams des Amtes für Nachrichtenwesen“. Letztlich jede Information, die eine militärische Dienststelle im Ausland bekommt und nach Hause schickt.

Aus diesen Rohdaten entstehen Lageberichte, um politischer und militärischer Führung bei Entscheidungen zu helfen und die militärische Stärke anderer Länder einschätzen zu können. Diese gefilterten und destillierten Berichte gibt es noch. Nur die Ursprünge sind weg, die Quellen. Die jedoch nebenbei auch dokumentieren könnten, was deutsche Soldaten, ob in Uniform oder in Zivil, im Ausland so treiben. Genau das, so die Vermutung einiger Medien und Politiker, soll unter der Decke gehalten werden. Denn nicht alles, was deutsche Soldaten inzwischen so tun, ist lupenrein und entspricht den Buchstaben deutscher Gesetze.

Nun zur Koinzidenz. Das Datenloch umfasst die Zeit, in der das KSK seine ersten „heißen“ Einsätze im Ausland hatte: in Bosnien, Mazedonien und vor allem in Afghanistan. Zumindest sagt das Tobias Pflüger von der Linkspartei, der Abgeordneter des Europaparlaments ist und sich seit zehn Jahren mit dem KSK beschäftigt. „Genau da sind die ganzen spannenden Geschichten gelaufen. Das ist ein ganz zentraler Zeitraum.“

Hinzu kommen Hinweise auf nicht ganz saubere Aktionen der Spezialtruppe, auch wenn keiner davon offiziell bestätigt wurde. Denn die Aussagen aus dem Verteidigungsministerium und aus dem Führungsstab der Bundeswehr zum KSK lauten stereotyp: „Kein Kommentar.“

- Seit der Einsatz in Afghanistan läuft, steht die von der Bundeswehr unbeantwortete Frage im Raum, was mit Gefangenen passiert, die das KSK macht. Wollen die Soldaten nicht gegen deutsches Recht verstoßen, müssten sie sie eigentlich behalten, was sie nicht tun. Sowohl bei den Amerikanern, die eine Behandlung nach der Genfer Konvention verweigern, als auch bei afghanischen Sicherheitskräften drohen den Gefangenen die Todesstrafe und eine Verhandlung ohne Chance auf Fairness. Das Ausliefern in einen solchen rechtsfreien Raum aber ist Deutschen verboten.

- Fast harmlos scheinen in diesem Zusammenhang Meldungen, KSK-Soldaten hätten den Amerikanern in Kandahar bei der Bewachung von Gefangenen geholfen. Gleichwohl sind solche Aktionen nicht vom Mandat gedeckt.

- Genauso wenig wie Einsätze, die Mitte 2005 stattgefunden haben sollen. Damals gab es Berichte, wonach KSK-Soldaten in Afghanistan eingesetzt wurden, um „Hochwertziele im Drogengeschäft“ gezielt auszuschalten. Eine technokratische Umschreibung für das Erschießen von Drogenhändlern.

- Im gleichen Jahr kursierte das nicht dementierte Gerücht, bis zu einem Dutzend Angehörige der Truppe seien bereits in Afghanistan gefallen. Ein pensionierter Brigadegeneral erklärte damals, Familienangehörige würden unter Druck gesetzt, damit die Öffentlichkeit nichts davon erfährt.

- Und dann gibt es noch Murat Kurnaz. Der Fall des einst in Afghanistan inhaftierten Bremers brachte das Parlament erst auf die Idee, das Handeln des KSK näher zu untersuchen. Kurnaz sagt, er wurde bei einem Verhör in amerikanischer Gefangenschaft auch von deutschen Soldaten geschlagen und misshandelt. Die dementieren.

- Bisher letztes Beispiel für die Nebelgranaten, die jedes Mal explodieren, wenn nach dem KSK gefragt wird, ist eine Aussage von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung. „In meiner Amtszeit war kein einziger KSK-Soldat im Einsatz unter OEF-Mandat“, sagte Jung im Oktober 2006, als die Debatte um Kurnaz begann. Dass das KSK aber seit August 2006 unter dem Mandat der Schutztruppe Isaf eingesetzt wird, vergaß er mitzuteilen. Was genau sie im Rahmen der Isaf tut, ist schon gar nicht klar.

Theorie zwei: Die Daten verschwanden, um den Bundesnachrichtendienst zu ärgern. Klingt erstmal absurd, hat aber einen gewissen Charme, wenn man weiß, wie groß die Rivalität zwischen den verschiedenen geheimen Diensten häufig ist. Die sei "substanziell", sagt beispielsweise Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (Bits). Tatsache ist, dass die Bundeswehr versuchte, sich einen eigenen Auslandsnachrichtendienst aufzubauen, um die Truppe mit vernünftigen Informationen über jeweilige Einsatzländer zu versorgen.

Diese Pläne sind gescheitert. Die Bundesregierung sah die Hoheit des BND gefährdet, der als einziger im Ausland mit geheimdienstlichen Mittel operieren darf, und sorgte dafür, dass das ZNBw aufgelöst wird. Es geht gerade im BND auf, ehemalige Mitarbeiter dürfen sich beim neuen Dienstherrn bewerben.

Die Verfechter der zweiten Theorie sagen, dass man bei der Bundeswehr keine Lust hatte, dem BND die Rohdaten zu überlassen und damit die eigenen Quellen zu verraten. Schließlich, so die Überlegung, habe der BND immer genauso gehandelt, wenn die Bundeswehr etwas wissen wollte. Rohdaten gab es nie, nur die gefilterten Berichte. Die jedoch nur Aussagekraft haben, wenn man weiß, was nach welchem Muster gefiltert wurde.

Als Beleg dienen wieder eine zeitliche Koinzidenz und ein bisschen Dreckwäsche. Der Löschzeitraum passt nicht nur zum KSK, wenn auch nicht sehr gut. Er umfasst außerdem ziemlich genau die Phase, in der die Bundeswehr Ambitionen für einen eigenen Nachrichtendienst hatte und dazu das System Jasmin aufbaute, und dem Punkt, an dem diese starben und klar wurde, dass der BND gewinnen würde.

Die bekannt gewordene Dreckwäsche ist in diesem Fall ein illegales Verhör. 2003 tauchten bei Anela Kobilica in Bosnien zwei Journalisten auf und redeten vier Stunden lang mit ihr. Sie interessierten sich für ihren Mann, der in Guantánamo saß, den mutmaßlichen Bombenattentäter und Islamisten Bensayah Belkacem. Zwei Jahre später musste das Verteidigungsministerium ermitteln. Die beiden waren keine Reporter, sondern Mitglieder eines der Informationssammelteams des ZNBw und damit Soldaten. Diesen aber ist es streng untersagt, in Zivil irgendetwas zu tun – schließlich wären sie dann Spione.

Die Löschungen können tatsächlich auf einer Kette von Zufällen und Fehlentscheidungen beruhen. Die natürliche Verschwiegenheit der Bundeswehr, echte Verfehlungen und gelegentlich etwas unglückliche Konstruktionen aber machen solche Theorien viel interessanter. Etwas komisch sieht beispielsweise auch aus, dass derjenige, der wohl den Löschbefehl gab, heute für die Aufklärung der Löschung verantwortlich ist. Brigadegeneral Armin Hasenpusch war bis Ende 2004 Leiter des ZNBw. Inzwischen ist er Stabsabteilungsleiter im Führungsstab der Streitkräfte, zuständig für das Nachrichtenwesen der Bundeswehr (FüS II).

Schon einmal spielte Hasenpusch genau diese Rolle und untersuchte, welche Dokumente er einst selbst in Jasmin speichern ließ und welche nicht. Vor etwa anderthalb Jahren ging es um die Frage, ob und wann die Bundeswehr von den Verschleppungen Gefangener durch die CIA erfuhr. Auch damals hieß es, ein entsprechender Bericht, der zuvor existiert hatte, sei in Jasmin nicht zu finden.

Mehr Offenheit notwendig

Die bei der Bundeswehr gelöschten Daten mögen eine Panne sein. Viele Politiker aber wollen aus den obigen Gründen daran nicht glauben und sehen die Löschaktion als Beleg für den Versuch, die Truppe parlamentarischer Kontrolle zu entziehen. Was der dafür zuständige Verteidigungsausschuss des Bundestages an Informationen bekomme, sei „nicht ausreichend“, sagen Beteiligte. Für den Europaparlamentarier Tobias Pflüger steht daher fest: „Das ist eine Truppe der Exekutive. Die Legislative wird nur ganz unzureichend informiert.“ Und das sei zu allem Überfluss auch „politisch gewollt“.

Daher sind auch Mitglieder des Verteidigungsausschusses der Meinung, dass das Ministerium seine Informationspolitik beim Thema KSK überdenken sollte. Zwar würden die Obleute des Ausschusses in geheimen Sitzungen über Einsätze informiert, sie seien dabei jedoch vom „guten Willen“ des Verteidigungsministers abhängig. Es brauche direktere Kontrollmöglichkeiten, „bei denen wir nicht auf den Willen der militärischen Spitze angewiesen sind“, sagt der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei, einer der Obleute, ZEIT online.

Ähnlich sieht das Rainer Arnold, SPD-Obmann im Ausschuss. Es müsse eine „präzise Regelung“ gefunden werden, wie das Parlament über die Aktionen der Truppe informiert werden soll. „Dieses Recht der Parlamentarier auf Information über das KSK muss fixiert werden“, sagte Arnold ZEIT online. Vor den Einsätzen sollten wie bisher die Obleute Berichte erhalten, jedoch zu festen Terminen und nicht mehr nur auf Einladung des Verteidigungsministers. Nach den Einsätzen sollte der gesamte Verteidigungsausschuss informiert werden, so Arnold.

Die totale Geheimhaltung sei nicht angebraucht, findet auch Nachtwei. „Nach Ablauf von Operationen ist eine gewisse Information der Öffentlichkeit unbedingt notwendig“, sagt er. Alles andere leistet nur Gerüchtebildungen, Mystifizierungen oder Dämonisierungen Vorschub.“

ZEIT online

27/2007

Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/4023947/modTrackback

logo
tobias pflueger DieLinke_RGB


Startseite
Über mich
Kontakt

Suche

 

RSS-Feed: Informationsstelle Militarisierung

IMI bei den Ostermärschen
Kommendes Wochenende finden wieder in vielen Städten...
IMI - 2025/04/15 13:58
Beispiel „Drohnenwall“
In parallelen und abgestimmten Prozessen haben die...
IMI - 2025/04/11 16:24
Koalitionsvertrag der Aufrüster – Auf dem Weg in die Militärrepublik
Die Spitzen von Union und SPD stellten am 9. April...
IMI - 2025/04/10 17:12
Wissenschaftsfreiheit als Prämisse von Friedens- und Konfliktforschung
Wie in anderen disziplinären Feldern, so gilt auch...
IMI - 2025/04/10 16:07
Kampf um Grönland
Mit der Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der...
IMI - 2025/04/09 11:14

Archiv

Status

Online seit 7523 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2013/01/26 00:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.