Parlament debattiert über Kampf gegen den Terrorismus

Pressebericht in: EP-Pressedienst-Info, Justiz und Inneres - 05-09-2007 - 16:54

Das Europäische Parlament hat heute eine Debatte über den Kampf gegen den Terrorismus geführt. Zuvor haben EU-Kommission und portugiesische Ratspräsidentschaft Erklärungen zu dem Thema abgegeben. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, ob der Rat nach dem Rücktritt von Gijs De Vries im Februar 2007 einen neuen EU-Antiterrorbeauftragten ernennen sollte. Im Oktober wird das EP über eine Resolution zum Kampf gegen den Terrorismus abstimmen.

EU-Kommissar Franco FRATTINI sagte, die Kommission bekenne sich ausdrücklich zur Umsetzung der EU-Antiterrorstrategie und dazu, die richtige Balance zwischen dem "Recht auf Leben" und dem "Recht auf Privatsphäre und Verfahrensrecht" zu halten. Die Gefahr neuer terroristischer Anschläge sei auch weiterhin hoch, sagte er, und wies auf die jüngsten Verhaftungen in Dänemark und Deutschland hin. Diese zeigten, dass Antiterrormaßnahmen griffen.

Laut Frattini arbeite die Kommission derzeit an einem ganzen Paket von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Zum einen an einem EU-Aktionsplan zur Sicherheit von Sprengstoffen, der im November angenommen werden soll und der eine EU-Sprengstoffdatenbank und ein Frühwarnsystem, etwa für den Fall, dass Sprengstoff gestohlen wird, etabliert. Zum anderen bereite die Kommission einen Gesetzesentwurf vor, der den terroristischen Missbrauch des Internets strafbar mache. Drittens schließlich ein EU-System für Fluggastdatensätze. Laut Frattini ist die EU "ein genauso wahrscheinliches Anschlagsziel wie die Vereinigten Staaten und die Nutzung von Fluggastdatensätzen sei ein wichtiges Mittel, um EU-Bürger zu schützen.

Sprecher der Fraktionen:

"Die Bürger haben Angst. Es besteht Sorge", sagte Manfred WEBER (CSU) mit Blick auf Meldungen über Festnahmen von Terrorverdächtigen in Dänemark und Deutschland. Es sei die Aufgabe der europäischen Politiker, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Man sei jedoch "von Stillstand und Lähmung befallen". Er sei enttäuscht, dass die Innenminister "ihr nationales Ding" machten und glaubten, "dass sie ihre Sache im Griff haben". Der Terror sei jedoch europäisch vernetzt. "Europa steht für Toleranz. Daher wollen wir keine Hassprediger, die andere Religionen verteufeln. Ich bin dafür, dass diese aus Europa ausgewiesen werden", so Weber.

Jan Marinus WIERSMA (SPE, NL) betonte, wie wichtig Kooperation auf EU-Ebene sei. Es sei von herausragender Bedeutung, gegen die "Rekrutierung und Radikalisierung" vorzugehen und "rechtsextreme religiöse Gruppen" zu bekämpfen. Die EU sollte eine niederländische Initiative untersuchen, die Gelder bereitstellt, um sich auf solche, die anfällig für Radikalisierung sind, zu konzentrieren.

Graham WATSON (ALDE/ALDE, UK) sagte, erneut bestehe das Risiko, dass Gesetze, die unsere Freiheiten einschränken, durch die Hintertür eingeführt werden. Er stelle nicht in Frage, das Antiterrorgesetze nötig seien. Er hob hervor, dass die Zusammenarbeit zwischen EUROPOL und EUROJUST so effektiv wie möglich gestaltet werden müsse. Das Parlament solle auf sogenannte "Sunset-Clauses" bestehen, damit Antiterrorgesetze nicht länger als nötig in Kraft sind.

Für Konrad SZYMANSKI (UEN, PL) habe sich die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten nach den Anschlägen von New York, Madrid und London deutlich verbessert. Bedenken hinsichtlich des Austausches von Daten sollten die Kooperation nicht blockieren.

Cem ÖZDEMIR (Grüne) meinte, es könne nicht das Motto gelten „viel hilft viel“. Vielmehr brauche man "zielgerichtete Maßnahmen, die europaweit koordiniert und abgestimmt werden und sich vor allem in der Praxis bewähren". Man brauche eine Evaluierung bisheriger Maßnahmen. "Ich möchte eines deutlich machen: Geheimgefängnisse, Überstellungen an Drittstaaten, die foltern; auch das hat etwas mit dem Kampf gegen Terrorismus zu tun, nämlich mit der moralischen Seite des Kampfes gegen Terrorismus".

Tobias PFLÜGER (Linke) sagte, die NATO habe nach dem 11. September den Bündnisfall ausgerufen. Wie dieser Bündnisfall zurückgenommen werden könne, "weiß kein Mensch". Es würden immer mehr Grund- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt - "man könnte das Ganze als einen permanenten Ausnahmezustand beschreiben". Pflüger zitierte die Schriftstellerin A. L. Kennedy, die nach den Anschlägen in London 2005 sagte: „Niemand erwähnt, dass die Zahl der Opfer, so schrecklich sie war, in Bagdad an den meisten Tagen als recht gemäßigt gelten würde. (...) Niemand erwähnt, dass wir selbst das Foltern von Gefangenen mit der Behauptung gerechtfertigt haben, dadurch könnten Anschläge wie diese verhindert werden. Niemand erwähnt, dass für weite Teile der Welt wir die Terroristen sind.“

Für Johannes BLOKLAND (IND/DEM, NL) ist es von zentraler Bedeutung, welche Maßnahmen getroffen wurden, ob sie ihr Ziel erreicht haben und ob sie mit unserem Rechtsstaat vereinbar sind. Für ihn seien beispielsweise die Regeln für die Mitnahme von Flüssigkeiten nicht effektiv. Genauso wenig würde "die riesige Menge" an Daten, die aus Sicherheitsgründen gesammelt wurde, effektiv genutzt.

Andreas MÖLZER (ITS) betonte, dass es "die islamistische Terrorbedrohung" tatsächlich bis zum heutigen Tag gibt". Diese Gefahr drohe weniger von außen, sondern durch junge, innerhalb der EU lebende, Muslime, die anfällig für Radikalisierung sind, und irgendwann zu Terroristen mutieren. Terroristen fielen "nicht plötzlich vom Himmel", sondern wüchsen in "unseren islamistischen Parallelgesellschaften" auf. Wir müssten die aus falsch verstandener Toleranz erwachsenen Lücken in unserer Gesellschaft, in denen Terror gedeihen kann, wieder schließen.

Weitere deutschsprachige Redner:

Alexander ALVARO (FDP) stellte die Frage wie sich die europäische Politik zur Bekämpfung des Terrorismus im globalen Zusammenhang entwickle, welche Rolle Europa weltweit einnehme, welches Konzept man habe. Es seien zahlreiche kurz- und mittelfristige Maßnahmen eingeleitet worden, auf langfristiger Ebene, im Bereich der Entwicklungshilfe, die als Sicherheitspolitik verstanden werden kann, sehe er "keine Fortschritte, keine Bewegung. Ich sehe auch keine Bewegung Respekt vor den Kulturen zu haben, aus denen vermeintlich Terrorismus entstehen kann". Die Antworten seit dem 11. September 2001 seien "vielfältiger Aktionismus" gewesen, es fehle aber ein "Konzept dahinter. Und Grundrechtseingriffe werden das Problem nicht lösen".

"Terrorismus ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die stärkste Bedrohung unserer Gesellschaft und hat leider auch schon eine europäische Dimension erreicht", so Hubert PIRKER (ÖVP). Die EU habe Maßnahmen getroffen und die Verhaftungen in Dänemark und in Deutschland zeigten, dass es Erfolge gebe. Nötig sei eine Gesamtstrategie, bevor darüber entscheiden wird, ob es einen neuen Antiterrorkoordinator geben und welche Kompetenzen er haben wird. Pirker plädierte dafür, Europol und Eurojust zu stärken und zu nutzen - "sie sind erfolgreich, sie haben die Instrumente".

"Terrorismus ist eine reale, große Gefahr, und es ist ohne Zweifel eine der zentralen Aufgaben der Politik, die Menschen zu schützen, ihr Leben zu schützen", erklärte Herbert REUL (CDU). Das sei die oberste Priorität, und insofern verlange er von der politischen Führung, dass für notwendige Maßnahmen geworben wird und "wir sie nicht zerreden oder etwa vor lauter Kritik vergessen, die Menschen für diese notwendigen Maßnahmen zu gewinnen, weil es dazu eben keine Alternative gibt." Es müsse abgewogen werden, ob getroffene Maßnahmen ihre Funktion tatsächlich erfüllen.

REF: 20070823IPR09765
siehe auch Rede von Tobias Pflüger zur "Terrorismusdebatte" im Plenum: http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/4231459/

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