Konferenz der Linksfraktion im EU-Parlament: Verfassungsentwurf bietet keine Chance für ein »ziviles Europa«

Presse-Bericht in: junge Welt, 13.12.2004

Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit

Rainer Rupp, Brüssel

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gewinne »mit Lichtgeschwindigkeit« an Gestalt, hatte kürzlich der außenpolitische Repräsentant der EU, Javier Solana, erklärt. Nun beriet in Brüssel die Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament (EP) unter dem Konferenzthema »Die Militarisierung der EU: Stand der Dinge« Strategien der Linken dagegen. Unter Leitung des PDS-Abgeordneten Tobias Pflüger war am Freitag namhaften Experten aus Portugal, Österreich und Deutschland die Aufgabe gestellt, die »zentralen Projekte der EU-Militarisierung«, »strategische Perspektiven« und mögliche »Alternativen« zu der bereits im Aufbau befindlichen schnellen EU-Eingreiftruppe zu untersuchen. Letztgenannte soll innerhalb kürzester Zeit an jedem bis zu 6 000 Kilometer von den EU-Außengrenzen entfernten Ort Kampfaufträge durchführen können.

Laut des EU-Verfassungsentwurfs sind die Mitgliedstaaten zur Aufrüstung – wörtlich: zur »schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten« – verpflichtet. Auf diesem Weg soll der beschleunigte Umbau der EU-Streitkräfte in weltweit einsetzbare Interventionstruppen ermöglicht werden. Parallel dazu soll der europäische Rüstungsmarkt neu strukturiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei der weitere Ausbau der Europäischen Rüstungsagentur, die Christoph Steinmetz vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit wegen ihrer engen Verfilzung mit der Rüstungsindustrie als »hochgefährlich« darstellte.

Scharf kritisierte Jürgen Rose, aktiver Oberstleutnant der Bundesluftwaffe, auf der Konferenz die laufenden Bemühungen, die »EU-Armee zum Abziehbild« der US-Streitkräfte zu machen. Allerdings wollte er dennoch das Potential einer EU-Armee als »wehrhafte Friedensmacht« nicht gänzlich abschreiben. Grundvoraussetzung hierfür wäre im EU-Verfassungsvertrag der Verzicht auf die Selbstmandatierung von Angriffskriegen. Zugleich müßten die EU-Staaten ihre nationalen Streitkräfte Europa unterstellen.

Dagegen wies der deutsche Völkerrechtsexperte Professor Gregor Schirmer in seiner Analyse nach, daß der EU-Verfassungsvertrag den bereits seit Maastricht und Amsterdam eingeschlagenen Weg der EU-Militarisierung weiter ausbaut. Die Frage, ob die sogenannte Verfassung, die in Wirklichkeit ein Völkerrechtsvertrag sei, eine »Chance für ein ziviles Europa« biete, beantwortete Schirmer mit einem »undiplomatischen Nein«. Das Gegenteil sei der Fall.

In diesem Zusammenhang wies Tobias Pflüger darauf hin, daß kürzlich das von der EU finanzierte, in Paris ansässige »Institut für Sicherheitsstudien« eine Studie zur »Europäischen Verteidigung« vorgestellt habe. In diesem Dokument, aus dem laut Pflüger eine Art »Weißbuch der Europäischen Sicherheitspolitik« werden soll, würden fünf Szenarien behandelt. Eines davon übernehme ganz offen das Präventivkriegskonzept der USA. Besonders erschreckend sei bei der Vorstellung des Dokumentes gewesen, daß das »Präventivkriegskonzept« als offener Bruch des Völkerrechts der großen Mehrheit im Politischen Ausschuß des Parlaments nicht einmal eine Debatte wert gewesen sei.

Quelle:
http://www.jungewelt.de/2004/12-13/006.php

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