EU-Beitritt der Türkei umstritten - Linke Kritik im Europaparlament

Presse-Bericht in: Neues Deutschland, 17.12.04

Von Andreas Wehr, Brüssel

EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei oder nicht – in Brüssel und Straßburg ist man gespalten. Eine Mehrheit im Europäischen Parlament sagte Ja.

Die Welt schien Kopf zu stehen im Straßburger Parlament. Da rauften sich Konservative die Haare über gravierende Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, während Sozialdemokraten und selbst Grüne in diplomatischen Floskeln lobten, dass am Bosporus »zumindest nicht mehr systematisch gefoltert« werde. Beim Für und Wider um die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist halt jedes Argument recht. Da kann es passieren, dass sich mancher plötzlich auf der anderen Seite der traditionellen politischen Grenzlinie findet. So waren sowohl bei den Befürwortern als auch in der unterlegenen Minderheit unterschiedlichste Haltungen und Positionen vereint.

So gut wie keine Fraktion stimmte geschlossen ab, auch nicht die Vereinte Linke. Ihre Abgeordneten waren wohl mehrheitlich für die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, eine ganze Reihe – vor allem aus Portugal, Zypern, Tschechien und Griechenland – votierten aber dagegen oder enthielten sich der Stimme. Dazu gehörten auch der parteilose, auf der Liste der PDS gewählte Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht. »Sozialdemokraten und Grüne wollen den Beitritt der Türkei nicht unwesentlich aus geopolitischen Gründen, um aus der EU, wie Kommissar Verheugen einmal so treffend sagte, eine Weltmacht zu machen. Wohin diese Haltung führen kann, sieht man am angekündigten Panzerexport in die Türkei«, sagt Pflüger.

Harsche Kritik an den Zuständen in der Türkei und an der oft defensiven Haltung der EU kam aber auch von Befürwortern. So prangerte André Brie (PDS) an, dass »die Frage von vier Millionen Kurden, die Flüchtlinge in einem Land sind, in dem mehr als 4000 Dörfer zerstört wurden«, kaum angesprochen wurde. Einig waren sich daher beide Lager darin, dass die Türkei derzeit die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllt, also über keine feste demokratische, rechtsstaatliche Ordnung verfügt und die Menschen- und Bürgerrechte nicht wahrt.

Meinungsunterschiede gab es hingegen mit Blick auf das jetzt gebotene Vorgehen. Während die einen darauf beharrten, dass Fortschritte nur während des Beitrittsprozesses möglich seien, sehen die anderen in sofortigen Verhandlungen nur eine Belohnung für ein Regime, das viele Jahre Zeit hatte, sein politisches System grundlegend zu reformieren, und es bestenfalls in Ansätzen tat.

Und es gab noch etwas, das für viele linke Befürworter wohl entscheidend war. Die Angst nämlich, bei einem Nein mit jenen in einen Topf geworfen zu werden, die die Türkei nicht in »einer christlich-abendländisch geprägten Union« sehen wollen. Die übelsten dieser Gesellen waren am Mittwoch schon vor die Tore des Straßburger Parlaments gezogen. Während drinnen debattiert wurde, demonstrierten draußen Anhänger der Front National des französischen Abgeordneten Jean-Marie Le Pen.

Quelle:
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=64635&IDC=43

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