Eine neue Bürgerbewegung

Pressebericht in: Schwäbisches Tagblatt, 19.01.2008

Beim Neujahrsempfang versuchte OB Boris Palmer seine 600 Gäste für ein Klima-Bündnis zu gewinnen

TÜBINGEN. Wer menschliche Nähe und Wärme in drangvoller Enge sucht, war gestern Abend im Tübinger Rathaus am richtigen Platz: Fast 600 Gäste schoben sich plaudernd und händeschüttelnd durch das Treppenhaus hoch zum Großen Sitzungssaal, wo Boris Palmer seinen zweiten Neujahrsempfang gab. Wie im vergangenen Jahr nutzte der Oberbürgermeister das traditionelle Stelldichein im Rathaus, um einmal mehr für seine Klimaschutz-Kampagne zu werben.

Auch wenn der Regierungspräsident, der Landrat, die Reutlinger Rathaus-Chefin und zwei Abgeordnete diesmal absagen mussten – es kamen genug Geladene, um mit den 700 teils trocken, teils gebuttert aufgetischten Brezeln fertig zu werden, die es nach dem offiziellen Teil zum Small Talk gab. Unter den Gästen, die auf dem Marktplatz vom Musikverein Pfrondorf mit dem „Böhmischen Traum“ begrüßt wurden, war wieder viel lokale Prominenz aus den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens auszumachen.

Vorneweg begrüßte Palmer, der sich die goldene Amtskette umgelegt hatte, die Ehrenbürger Erwin Geist, Helmut Calgéer, Hans Küng und Eugen Schmid. Aus der Riege der Tübinger Abgeordneten sah man Herta Däubler-Gmelin, Rita Haller-Haid, Ilka Neuenhaus, Heike Hänsel, Monika Bormann und Tobias Pflüger. Das Stuttgarter Wissenschaftsministerium war mit dem Rottenburger Alt-OB Klaus Tappeser vertreten, die Universität mit Rektor Bernd Engler, das Klinikum mit Direktor Michael Bamberg. Was noch auffiel im dichten Gedränge der Amts-, Würden- und sonstigen Schlipsträger, war die starke Repräsentanz der heimischen Wirtschaft.

Musikalisch angereichert wurde der Festakt eingangs von der Schwermetall-Gruppe der Musikschule. Danach widmete der Chor der Ortsvorsteher dem Oberbürgermeister einen „kleinen grünen Kaktus“. Und abschließend erinnerten die aus Ghana stammenden Sänger und Trommler Emmanuel Wemakor und Kargo Nyanu daran, dass Tübingen nach wie vor eine Partnerstadt in Afrika sucht.

Raubbau an der Natur

Auch wenn sich Palmer mit zahlreich eingestreuten Scherzen immer wieder fröhliche Lacher und freundlichen Beifall holte – insgesamt blieb seine halbstündige Ansprache eine ziemlich nüchterne Regierungserklärung, mit der er drei Schwerpunkte seines Arbeitsprogramms fürs zweite Amtsjahr vorstellte: den Klimaschutz, die Kinderbetreuung und das „Innen:Stadt“-Projekt.

Ganz oben auf Palmers Prioritätenliste, daran ließ er keinen Zweifel, steht weiterhin der Klimaschutz – ein Thema, das seine Freude über die üppig sprudelnden Steuerquellen („Tübingen ist faktisch schuldenfrei“) und die enormen Investitionen der örtlichen Betriebe („Tübingen ist als Wirtschaftsstandort im Kommen“) beträchtlich schmälert. Denn: „Noch mehr als vor Jahresfrist beruht unser Wohlstandsgewinn auf einem Raubbau an der Natur. Wir zerstören systematisch die Grundlagen unserer Zivilisation, und das Tempo der Zerstörung wächst.“

Zwar habe sich im vergangenen Jahr in Tübingen von der energetischen Sanierung dreier Schulen bis zur Verdoppelung der Ökostrom-Kunden schon einiges getan. Trotzdem sei es bisher nicht gelungen, den Energieverbrauch der Stadt und ihren Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern. Deshalb möchte Palmer nun ein „lokales Bündnis für Klimaschutz“ ins Leben rufen – eine „neue Bürgerbewegung, die auch national Standards setzen könnte“.

Dieses Bündnis soll beispielsweise dafür sorgen, dass sich die Zahl der Ökostrom-Abnehmer in Tübingen bis 2010 noch einmal verdoppelt – auf dann zehn Prozent aller Haushalte. Gleichzeitig will Palmer auch die Zahl der am Carsharing beteiligten Autofahrer (derzeit 1,2 Prozent in Tübingen) verdoppeln. Wichtiger noch ist es ihm, die energetische Gebäudesanierung zu beschleunigen. Bisher genügen nur 30 Prozent aller 2000 GWG-Wohnungen der Wärmeschutzverordnung von 1995. Palmers Ziel ist es, bis 2020 auch die restlichen 1400 Wohnungen energetisch in Ordnung zu bringen. Damit die GWG diese Aufgabe schultern kann, will er ihr Eigenkapital mit der Übertragung von etwa 200 städtischen Wohnungen aufstocken.

Die rund 100 öffentlichen Gebäude, die dann noch im Besitz der Stadt verbleiben, möchte Palmer ebenfalls bis 2020 energetisch modernisieren. Dazu würden rund 50 Millionen Euro fällig, die er notfalls auch über eine höhere Verschuldung finanzieren würde: „Schulden bei der Bank kann man tilgen, Klimaschulden leider nicht.“

Millionen für mehr Ökostrom

Eine besonders wichtige Rolle spielen in Palmers Klimaschutz-Konzept die Stadtwerke. Sie sollen ihre umweltfreundliche Eigenstrom-Produktion bis zum Jahr 2015 von heute 30 auf 50 Prozent steigern – unter anderem mit dem Kauf und Ausbau eines Neckarkraftwerks auf Horber Markung, mit der Modernisierung des Kraftwerks in der Brunnenstraße, mit dem Bau eines neuen Heizkraftwerks auf der Morgenstelle, mit der Beteiligung an zwei neuen Biomassekraftwerken und mit dem Bau einer Biogasanlage (zusammen mit Bauern) auf den Härten und eventuell auch in Weilheim.

Auch sehr viel kleinere Beiträge zum Klimaschutz werden nicht verschmäht. So möchte Palmer etwa die Wärme des Abwassers im Hauptsammler Nord für die Heizung des Fuhrparks nutzen. Und von einem neuen Mühlrad im Ammerkanal am Haagtor verspricht er sich immerhin den Strom für zehn Haushalte.

Text: Von Sepp Wais

Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/4638383/modTrackback

logo
tobias pflueger DieLinke_RGB


Startseite
Über mich
Kontakt

Suche

 

RSS-Feed: Informationsstelle Militarisierung

FCAS
Es soll das „größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt...
IMI - 2025/04/07 13:59
A 20 – Autobahnbau zur „NATO-Ostflanke“
„Autobahn-Neubauten scheitern schon an der fehlenden...
IMI - 2025/04/01 10:42
Europas Weißbuch: Mit Volldampf auf Kriegskurs
Wenn es wahr ist, dass die Wahl Donald Trumps und die...
IMI - 2025/03/26 15:55
IMI lädt ein: Ära der Aufrüstung – was die Grundgesetzänderung...
In Windeseile hat der bereits abgewählte Bundestag...
IMI - 2025/03/26 14:00
Europe first!
Bei diesem Text handelt es sich um eine leicht erweiterte...
IMI - 2025/03/25 15:45

Archiv

Status

Online seit 7509 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2013/01/26 00:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.