Das Nein gegen den Lissabon-Vertrag verteidigen

Veranstaltungsbericht DIE LINKE FRANKFURT, 7. Juli 2008

Vor 3 Wochen hat die irische Bevölkerung, die als einzige in Europa abstimmen durfte, den von den Regierungen ausgehandelten Eu-Reformvertrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Die Befürworter des sogenannten Lissabon-Vertrages argumentieren seitdem, dass die Iren ja gar nicht gewußt hätten, um was es in diesem Vertrag geht. Selbst wenn das so wäre: Es ist vollkommen legitim, einen Vertrag abzulehnen, über den die Bevölkerung - offenbar absichtlich - nicht richtig informiert wurde. Tatsächlich finden sich aber sogar immer mehr Gründe dagegen zu sein, wenn man sich in die Einzelheiten dieser neuen "Verfassung" für Europa vertieft. Dies wurde beim gut besuchten Plenum des Kreisverbandes DIE LINKE Frankfurt mit dem Europaabgeordneten Tobias Pflüger im Haus Gutleut deutlich:

Militarisierung: Schon bisher werden letzlich rein militärische Einsätze wie im Tschad und im Kosovo als zivil-militärisch getarnt und teilweise als "Entwicklungshilfe" finanziert. Bisher sei es der EU-Kommission und dem EU-Rat jedoch nur unter großen Verrenkungen möglich für militärische Aktionen den Topf der EU anzuzapfen. Mit dem Lissabon-Vertrag könne man dann leichter Gelder für Soldaten und Out-of-Area-Einsätze anfordern und dabei sogar die parlamentarische Kontrolle umgehen. De facto werde die EU zu einem Militärbündnis, wobei laut Vertragstext in Rahmen der vorgesehenen strukturierten Zusammenarbeit, auch jeweils die willigen Länder "Kerneuropas" Aktionen alleine durchführen können. Die EU könne dann ganz offen, ebenso wie jetzt schon die USA, überall auf der Welt ihre Interessen auch militärisch vertreten.
Restriktive Flüchtlingspolitik: Ein typisches Beispiel ist die bereits beschlossenen Richtlinie, die bis zu 18 Monate Haft für Menschen, die keinerlei Verbrechen begangen haben, vorsieht. Die verzweifelten Menschen, die zu Tausenden an der neuen EU-Außenmauer im Mittelmeer und im Atlantik ertrinken, interessieren die regierenden Politiker ohnehin nicht. Dennoch gibt es bisher noch in einigen EU-Staaten einen etwas humaneren Umgang mit Flüchtlingen und Menschen ohne Papiere. Mit dem Lissabon Vertrag wollten die rechten EU-Politiker nun die restriktive deutsche Politik gegen Flüchtlinge zum Standard für Europa machen.

Neoliberalismus: Während andere europäische Verfassungen wie das Grundgesetz die Wirtschaftsform offenlassen und auch eine soziale Verpflichtung des Eigentums festlegen, liegt dem Lissabon-Vertrag eine marktradikale Wirschaftsform mit ungehindertem Wettbewerb, vor allem was Löhne und Sozialstandards betrifft, zugrunde. Schon jetzt wird auf dem Weg über die EU-Kommission und den politisch besetzten Eurpäischen Gerichtshof versucht, soziale Regelungen in den Einzelstaaten abzuschaffen.

Sieht man sich Intention und Buchstaben des Lissabon-Vertrags also genau an, kann man bei vielen Einzelpunkten als auch nur halbwegs sozial oder humanistisch gesinnter Mensch nur dagegen sein. Um so beschämender ist das Verhalten der meisten Abgeordneten von SPD und Grünen, die ihre früher hochgehaltenen Ideale mit dieser "Verfassung" ad absurdum führen. Und bei den Reaktionen auf das Nein in Irland und auf die Forderungen nach Volksabstimmungen auch in anderen Ländern muß man sogar feststellen: Auch das grundlegende Prinzip der demokratischen Entscheidung über wichtige Fragen wird von der Mehrheit im EU-Parlament in Frage gestellt. Sie haben Angst vor der Bevölkerung und reagieren wütend auf eine demokratisch gefasste Entscheidung, weil sie in einer inhaltlich geführten, offenen Debatte mit ihrem Vertrag keine Chance haben.

Laut Pflüger sollte DIE LINKE nun über das, was geplant ist, genau informieren und die Debatte in und mit der Bevölkerung suchen. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die noch glauben, dass man aus historischen Gründen unbedingt für diese Europa-Verfassung sein muss, ganz egal was drin steht. Denen muss man sagen: Mit dieser Ausrichtung wird der europäischen Idee eindeutig geschadet. Hoffnung setzt Pflüger auf die Gewerkschaften und auf die anstehenden Verfassungklagen in mehreren Ländern. Die jüngsten arbeitnehmerfeindlichen Urteile des EU-Gerichtshofs sollten jedem Gewerkschafter die Augen geöffnet haben, wohin diese EU steuert. Gerade auch in Deutschland sei es auch ganz offensichtlich, dass der Vertrag verfassungswidrig sei, weil er die parlamentarische Kontrolle für viele Fragen ganz abschafft und auf die EU-Exekutive verlagert.

Pflüger plädierte dafür, mit seriösen Argumenten eine Mehrheit auch gerade unter den Anhängern von SPD und Grünen zu gewinnen und so zu verhindern, dass das Nein der Iren unterlaufen wird. Gleichzeitig müsse man offensiv die Vision eines sozialen, demokratischen und friedlichen Europas vertreten. Die Behauptung, dass Rechte und Linke gemeinsam gegen Europa Stimmung machen, sei eine billige Verleumdung. Gerade in Irland habe die Linke in der Bewegung dominiert und deutlich gemacht, dass es um Kritik an Militarisierung, Neoliberalismus und Mangel an Demokratie gehe, nicht um Nationalismus.

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