Bahn will kein Gedenken
Pressebericht in: junge Welt, 03.02.2005
von Ralf Wurzbacher
Mehdorns DB-AG sorgt weiter für Empörung. Ausstellung über deportierte Juden auf Publikumsbahnhöfen angeblich »aus technischen Gründen nicht möglich«
Trotz wachsenden öffentlichen Drucks hält die Deutsche Bahn AG an ihrer Weigerung fest, das Schicksal jüdischer Opfer des Faschismus in Deutschlands Personenbahnhöfen in Wort und Bild zu dokumentieren. Wie junge Welt berichtete, hatte der Konzern im Dezember einen Antrag auf Ausrichtung einer Wanderausstellung über die Transporte von 11000 französischen Kindern auf dem Schienennetz der deutschen Reichsbahn in das Vernichtungslager Auschwitz abgewiesen. Bilder und Abschiedsbriefe der Ermordeten wurden vor drei Jahren mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Staatsbahnen SNCF in 18 Bahnhöfen Frankreichs ausgestellt. Das Angebot der Deutschen Bahn, die Ausstellung in einem Bahnmuseum in Nürnberg unterzubringen, hat die Initiatorin und Repräsentantin der Organisation »Fils et Filles des Deportés Juifs de France« (FFDJF), Beate Klarsfeld, abgelehnt.
Protestbrief an Mehdorn
Der Vorgang sorgt inzwischen weit über die deutschen Grenzen hinweg für Empörung. In einem offenen Brief an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn haben mehr als 200 Einzelpersonen und Organisationen die Konzernleitung Mitte Januar aufgefordert, »eine in sämtlichen Teilen der Bundesrepublik wahrnehmbare Darstellung des Schicksals der 11000 Kinder und der übrigen Deportierten im Fahrgastbereich Ihres Unternehmens noch im Laufe dieses Jahres zu ermöglichen«. Zu den Unterzeichnern aus dem In- und Ausland zählen der Träger des Aachener Friedenspreises Bernhard Nolz, der Europaparlamentarier Tobias Pflüger sowie Lothar Evers, Kurator der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«.
Evers hielt der Deutschen Bahn im jW-Gespräch vor, »keine klare Linie im Umgang mit ihrer Geschichte« zu haben. Davon zeugten vor wenigen Tagen erst die skandalösen Vorkommnisse am 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Am 27. Januar setzten sich Demonstranten in mehreren deutschen Städten über das Gedenkverbot in den Bahnhöfen hinweg und erinnerten mit Fotos und Dokumenten an die Todestransporte. Aktivisten in Dresden sind dabei kurz vor Veranstaltungsbeginn trotz erteilter Nutzungserlaubnis des Neustädter Bahnhofs verwiesen worden. Auch im Leipziger Bahnhof fand sich »leider« kein Platz für das Gedenken, wie die Betreiberfirma, die Hamburger ECE Projektmanagement GmbH & Co KG, ausrichten ließ. Gedenkveranstaltungen fanden auch in Frankfurt (Main), Hamburg und Wuppertal statt. Hier ließ man die Demonstranten offenbar auf Anweisung von oben gewähren.
Wie DB-Konzernsprecher Werner Klingberg gegenüber der Saarbrücker Zeitung vom 28. Januar erklärte, seien Bahnhöfe für das Gedenken an deportierte Juden nicht der geeignete »Rahmen, da die Dokumente im Umfeld von Konsumtempeln und Baustellen zu sehen wären«. Die Behauptung des Sprechers, jüdische Repräsentanten seien derselben Auffassung, erwies sich im Nachhinein als unzutreffend. Inzwischen hat sich auch der Zentralrat der Juden der Forderung nach einer Ausstellung auf Publikumsbahnhöfen angeschlossen. Bahn-Sprecher Klingberg äußerte gegenüber jW sein Bedauern ob des »Mißverständnisses«: Er habe im Gespräch mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, den »Eindruck gewonnen, daß er meiner Argumentation beipflichtet«. Im übrigen sei es aus »technischen Gründen nicht möglich«, in der »weitaus überwiegenden Zahl« der deutschen Bahnhöfe die fragliche Dokumentation auszustellen.
Bahn-Sprecherin ist genervt
Genervt vom Gang der Ereignisse zeigte sich die zuständige Bahnsprecherin. Sie verwies abermals auf die vielen Aktivitäten und Projekte, die die Bahn in Sachen Erinnerungsarbeit initiiert und gefördert habe – darunter eine Zuwendung in zweistelliger Millionenhöhe an die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. »Frau Klarsfeld hat hier offene Türen eingerannt und lauthals zugeschlagen«, monierte sie das Vorgehen der Ausstellungsinitiatorin, die Presse eingeschaltet zu haben. Jetzt mache sie ihre »Freunde kirre« und löse bei den Antifagruppen »Reflexhandlungen« aus, »ohne sich die geringste Mühe zu geben, anzuerkennen, wie sehr wir uns engagieren«.
Beate Klarsfeld befürchtet, daß nach den Gedenkfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eine Zeit des Vergessens anbrechen könnte. »Der 70. Jahrestag kann nicht mehr so intensiv begangen werden, denn in zehn Jahren werden die letzten überlebenden Deportierten verstorben sein«, erklärte sie im Interview mit dem Internetportal »Informationen zur Deutschen Außenpolitik« www.german-foreign-policy.com). »Unsere Ausstellung soll eben die junge Generation aufklären, sie soll den Kampf gegen Antisemitismus weiterführen und den kommenden Generationen über Auschwitz, über die ›Endlösung der Judenfrage‹ berichten.« Der Mitunterzeichner des offenen Briefes, Lothar Evers, rät allen Beteiligten und Unterstützern, die öffentliche Auseinandersetzung mit der Konzernleitung im Vorfeld des 8. Mai, des 60. Jahrestages des Kriegsendes, zu intensivieren: »Dann knickt die Bahn auch irgendwann ein.«
von Ralf Wurzbacher
Mehdorns DB-AG sorgt weiter für Empörung. Ausstellung über deportierte Juden auf Publikumsbahnhöfen angeblich »aus technischen Gründen nicht möglich«
Trotz wachsenden öffentlichen Drucks hält die Deutsche Bahn AG an ihrer Weigerung fest, das Schicksal jüdischer Opfer des Faschismus in Deutschlands Personenbahnhöfen in Wort und Bild zu dokumentieren. Wie junge Welt berichtete, hatte der Konzern im Dezember einen Antrag auf Ausrichtung einer Wanderausstellung über die Transporte von 11000 französischen Kindern auf dem Schienennetz der deutschen Reichsbahn in das Vernichtungslager Auschwitz abgewiesen. Bilder und Abschiedsbriefe der Ermordeten wurden vor drei Jahren mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Staatsbahnen SNCF in 18 Bahnhöfen Frankreichs ausgestellt. Das Angebot der Deutschen Bahn, die Ausstellung in einem Bahnmuseum in Nürnberg unterzubringen, hat die Initiatorin und Repräsentantin der Organisation »Fils et Filles des Deportés Juifs de France« (FFDJF), Beate Klarsfeld, abgelehnt.
Protestbrief an Mehdorn
Der Vorgang sorgt inzwischen weit über die deutschen Grenzen hinweg für Empörung. In einem offenen Brief an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn haben mehr als 200 Einzelpersonen und Organisationen die Konzernleitung Mitte Januar aufgefordert, »eine in sämtlichen Teilen der Bundesrepublik wahrnehmbare Darstellung des Schicksals der 11000 Kinder und der übrigen Deportierten im Fahrgastbereich Ihres Unternehmens noch im Laufe dieses Jahres zu ermöglichen«. Zu den Unterzeichnern aus dem In- und Ausland zählen der Träger des Aachener Friedenspreises Bernhard Nolz, der Europaparlamentarier Tobias Pflüger sowie Lothar Evers, Kurator der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«.
Evers hielt der Deutschen Bahn im jW-Gespräch vor, »keine klare Linie im Umgang mit ihrer Geschichte« zu haben. Davon zeugten vor wenigen Tagen erst die skandalösen Vorkommnisse am 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Am 27. Januar setzten sich Demonstranten in mehreren deutschen Städten über das Gedenkverbot in den Bahnhöfen hinweg und erinnerten mit Fotos und Dokumenten an die Todestransporte. Aktivisten in Dresden sind dabei kurz vor Veranstaltungsbeginn trotz erteilter Nutzungserlaubnis des Neustädter Bahnhofs verwiesen worden. Auch im Leipziger Bahnhof fand sich »leider« kein Platz für das Gedenken, wie die Betreiberfirma, die Hamburger ECE Projektmanagement GmbH & Co KG, ausrichten ließ. Gedenkveranstaltungen fanden auch in Frankfurt (Main), Hamburg und Wuppertal statt. Hier ließ man die Demonstranten offenbar auf Anweisung von oben gewähren.
Wie DB-Konzernsprecher Werner Klingberg gegenüber der Saarbrücker Zeitung vom 28. Januar erklärte, seien Bahnhöfe für das Gedenken an deportierte Juden nicht der geeignete »Rahmen, da die Dokumente im Umfeld von Konsumtempeln und Baustellen zu sehen wären«. Die Behauptung des Sprechers, jüdische Repräsentanten seien derselben Auffassung, erwies sich im Nachhinein als unzutreffend. Inzwischen hat sich auch der Zentralrat der Juden der Forderung nach einer Ausstellung auf Publikumsbahnhöfen angeschlossen. Bahn-Sprecher Klingberg äußerte gegenüber jW sein Bedauern ob des »Mißverständnisses«: Er habe im Gespräch mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, den »Eindruck gewonnen, daß er meiner Argumentation beipflichtet«. Im übrigen sei es aus »technischen Gründen nicht möglich«, in der »weitaus überwiegenden Zahl« der deutschen Bahnhöfe die fragliche Dokumentation auszustellen.
Bahn-Sprecherin ist genervt
Genervt vom Gang der Ereignisse zeigte sich die zuständige Bahnsprecherin. Sie verwies abermals auf die vielen Aktivitäten und Projekte, die die Bahn in Sachen Erinnerungsarbeit initiiert und gefördert habe – darunter eine Zuwendung in zweistelliger Millionenhöhe an die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. »Frau Klarsfeld hat hier offene Türen eingerannt und lauthals zugeschlagen«, monierte sie das Vorgehen der Ausstellungsinitiatorin, die Presse eingeschaltet zu haben. Jetzt mache sie ihre »Freunde kirre« und löse bei den Antifagruppen »Reflexhandlungen« aus, »ohne sich die geringste Mühe zu geben, anzuerkennen, wie sehr wir uns engagieren«.
Beate Klarsfeld befürchtet, daß nach den Gedenkfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eine Zeit des Vergessens anbrechen könnte. »Der 70. Jahrestag kann nicht mehr so intensiv begangen werden, denn in zehn Jahren werden die letzten überlebenden Deportierten verstorben sein«, erklärte sie im Interview mit dem Internetportal »Informationen zur Deutschen Außenpolitik« www.german-foreign-policy.com). »Unsere Ausstellung soll eben die junge Generation aufklären, sie soll den Kampf gegen Antisemitismus weiterführen und den kommenden Generationen über Auschwitz, über die ›Endlösung der Judenfrage‹ berichten.« Der Mitunterzeichner des offenen Briefes, Lothar Evers, rät allen Beteiligten und Unterstützern, die öffentliche Auseinandersetzung mit der Konzernleitung im Vorfeld des 8. Mai, des 60. Jahrestages des Kriegsendes, zu intensivieren: »Dann knickt die Bahn auch irgendwann ein.«
Tobias Pflüger - 2005/02/07 03:44
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