Offener Brief von Heinrich Fecher an Sven Giegold

Lieber Sven Giegold,

Du hast für Attac in einer ganzen Reihe von strategisch entscheidenden Punkten zur Entwicklung und Klärung von Positionen beigetragen, die notwendige Voraussetzungen für eine grundsätzlich andere Politik, eine Politik im Interesse der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung sind: die Kritik an der Steuerpolitik von Rot-Grün und Schwarz-Rot, die in erster Linie die Bewegungsfreiheit der Konzerne auf Kosten der Bevölkerung im Auge hatte mit der Konsequenz einer immer größeren Ungleichheit und Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche. Du hast Vorschläge zur Klima- und Energiepolitik zur Diskussion gestellt, die reale Veränderungen zum Ziel hatten im Unterschied zu der Sprechblasen- und Placebopolitik von Frau Merkel. Du hast an den G8-Vereinbarungen nachgewiesen, dass sie kaum etwas bringen. Du hast Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte mitentwickelt, die auf mehr hinausgelaufen sind als auf die Absicherung der Banken und ihrer großen Aktionäre auf Kosten der Lohnsteuerzahler. Du hast in Attac mit dazu beigetragen, dass die Fragen einer antikapitalistischen Orientierung offen diskutiert werden konnten. Auch wenn ich da anderer Meinung bin als Du und eine Überwindung des kapitalistischen Systems für notwendig halte, wenn eine andere Welt möglich sein soll, so stimme ich mit Dir darin überein, dass es dabei noch eine ganze Reihe offener Fragen zu klären gibt. Du hast die Europäische Sommeruniversität wesentlich mitinitiiert, bei der diese Fragen in vielen Veranstaltungen kontrovers diskutiert werden konnten.

Es ist spricht auch meiner Meinung nach nichts dagegen, dass ein führendes oder auch nicht führendes Mitglied von Attac für die Grünen im EU-Parlament tätig wird. Für mich ist da immer noch das beste Beispiel die Arbeit und der Spagat von Tobias Pflüger. Er vertritt nach wie vor mit ausgezeichneten Analysen radikale, sonst nur im außerparlamentarischen Bereich unterstützte und diskutierte Positionen und ist gleichzeitig Mitglied der Linksfraktion.

Das Problem fängt da an, wo es um die Bestimmung des Verhältnisses von Attac-Positionen zu Positionen der grünen Partei geht. Informationen der Frankfurter Rundschau entnehme ich, dass Du nicht Deine Positionen darlegst, die Du im EU-Parlament zu vertreten gedenkst, sondern diese entscheidende Stellungnahme ersetzt durch eine fast totale Zustimmung zur Politik dieser Partei, recht undifferenziert und mit Heimatgefühlen verziert.
Ich habe eine sehr skeptische Einschätzung von Parteien und dem real existiereden Parlamentarismus; aber wie Du die Linken abwatschst hat für mich die Qualität des Verhaltens ganz traditioneller Politiker, die in ihrer Kritik sehr pauschal bleiben und mit Begründungen hantieren, die wesentliche Punkte ihrer eigenen Position völlig offenlassen, damit sie sich im Nachhinein auf ihr unerforschliches Gewissen berufen können.

Um es ganz offen zu sagen, ich sehe bei Dir die große Gefahr, dass Du Deine alten Attacpositionen auf ihre Grünenverträglichkeit einschrumpfst. Oder worauf läuft es konkret hinaus, wenn Du den bornierten "Antimilitarismus der Linkspartei" kritisierst. Bist Du für einen aufgeklärten Militarismus? Die Berufung auf die Menschenrechte, wie ich einem Zitat aus der taz entnehme, hast du mit Bush, Blair und Rot-Grün gemein: Kriege werden im Allgemeinen wegen ihrer brutalen Folgen immer mit den allerbesten Absichten gerechtfertigt.
Ein ganz wesentlicher Punkt bei Deiner Erklärung weitgegender Übereinstimmung mit den Grünen, ist die Tatsache, dass nach allen mir vorliegenden Informatinen die Grünen EU-Parlamentarier - übrigens zusammen mit denen der SPD - in allen entscheidenden Fragen den wirtschaftlichen und militärischen Imperialismus, der im Vertrag von Lissabon angelegt ist, mittragen. Ganz abgesehen davon, dass sie auch die undemokratische Struktur dieses Verfassungsnachfolgevertrags, an ihrer Spitze Daniel Cohn-Bendit, absegnen. Diese Struktur hat sogar den weltweit bekanntsten deutschen Linksintellektuellen Jürgen Habermas veranlasst, diese Vertragswerk mitsamt der darin enthaltenen Festlegungen auf den Neoliberalismus abzulehnen. Er hat sehr lange gezögert, das zu tun, denn er ist ein glühender Anhänger der EU.

Ich kann also im Jubel von Daniel Cohn-Bendit über den Zugewinn des außerparlamentarischen Spektrums für die Grünen über Deine Person nur den Jubel eines führenden Politikers sehen, die APO den Regeln einer parlamentarischen Politikerelite zu unterwerfen, die tagtäglich in vielen entscheidenden Punkten eine Politik durchsetzt, die gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung gerichtet ist. Das ist eine starke Behauptung deshalb noch einmal einige Hinweise: die Steuerreformen mit der Beseitigung der Veräußerungsgewinne und Tür auf für die sog. Heuschrecken - was im Nachhinein auch dann noch heuschlerisch bedauert wird - , die Mehrwertsteuerreform, die Privatisierung der Bahn und schon vorher der Ausverkauf großer Teile des öffentlichen Dienstes, der Krieg in Afghanistan, die Agenda 2010, die zunehmende Armut und prekärer Lebensverhältnisse bis hin zu den Kindern, die Ablehnung jedes Konjukturprogramms trotz sich abzeichnender Rezession, die zunehmende und gut dokumentierte Vertiefung der sozialen Spaltung.

Ich frage Dich ganz einfach, was Du zu tun gedenkst, um dieser Sorte von Vereinnahmung entgegenzuarbeiten und hoffe dass Du nicht ein weiteres Beispiel für den langen Marsch durch die Institutionen abgibst, wie es eine ganze Reihe führender Politiker in fast allen Parteien tun, die früher Mitglieder der APO gewesen sind.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Fecher

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