Schiffe versenken mit der Bundeswehr: Piraten kommen wie gerufen

Junge Welt, 30.08.2008
Vorwand für den Krieg zur See
Schiffe versenken mit der Bundeswehr: Piraten kommen wie gerufen
von Frank Brendle

Die Deutsche Marine bereitet sich auf einen Einsatz zur Piratenbekämpfung am Horn von Afrika vor. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) teilte dieser Tage mit, daß Kriegsschiffe der Bundeswehr voraussichtlich ab Dezember gemeinsam mit Verbänden anderer europäischer Staaten vor der somalischen Küste kreuzen werden. Das Grundgesetz wird dabei mit Hilfe der EU umgangen.

Der Einsatz soll am 15. September von der EU-Ratsversammlung beschlossen werden. Danach will die Regierung im Bundestag die Zustimmung für den neuen Kampfauftrag beantragen. Im Dezember sollen nach Jungs Vorstellungen die Kriegsschiffe Kurs auf Ostafrika nehmen. Nach Informationen des Berliner Tagesspiegels, der sich auf »Verteidigungskreise« stützt, könnten daran zwei deutsche Schiffe teilnehmen.

Das Grundgesetz verbietet der Bundeswehr die aktive Bekämpfung von Kriminellen, zu denen auch Piraten gehören, weil dies eine polizeiliche Aufgabe ist. Da die Bundespolizei aber nicht über Mittel zur Pirateriebekämpfung auf hoher See verfügt, fordern CDU und CSU seit Monaten eine Grundgesetzänderung, was wiederum von der SPD abgelehnt wird. Um dennoch den Anspruch nach Präsenz auf den Weltmeeren umzusetzen, kommt der EU-Einsatz gerade recht: Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes darf die Bundeswehr im Rahmen von »Systemen kollektiver Sicherheit« im Ausland tätig werden. Das Kriegsbündnis NATO gilt offiziell als ein solches System ebenso wie die EU. Einsätze im Rahmen der »Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)« können deshalb die Begrenzungen des Grundgesetzes aushebeln.

Nach Angaben des International Maritime Bureau haben Piraterieüberfälle weltweit zugenommen; vor der somalischen Küste habe es in diesem Jahr schon über 20 Angriffe gegeben. Das ist sowohl der BRD als auch der EU willkommener Anlaß, ihren Machtanspruch auszuweiten. Die EU, die sich in einem Prozeß der Militarisierung befindet, kreuzt bald weit außerhalb ihres Hoheitsgebietes in Gewässern, die bislang faktisch unter US-Kontrolle sind.

Langfristig will Jung aber von seinem Ziel, eine »verfassungsrechtliche Klarstellung« vorzunehmen, nicht abrücken. Herauskommen soll dabei nicht nur die Ermächtigung für deutsche Soldaten, auch eigenständig bewaffnete Einsätze weltweit durchzuführen, sondern gleich noch das Recht auf bewaffnete Inlandseinsätze. »Niemand in der Bundeswehr will Aufgaben der Polizei übernehmen«, verkündete Jung Anfang dieser Woche bei einem Vortrag in Hamburg, um anzufügen: »Wenn die Mittel und Möglichkeiten der Polizei nicht ausreichen«, müsse es aber möglich sein, »die Mittel und die Fähigkeiten der Bundeswehr einzusetzen«.

Daß der Sinn des Anti-Piraterie-Einsatzes allein in wirtschaftlichen Interessen begründet liegt, räumte Jung unverhohlen ein. Als Exportweltmeister sei Deutschland stark an »Seesicherheit« interessiert, verkündete er bei seiner Rede vor der Hamburger »Ratsherren-Runde«, einem elitären Forum für Unternehmer und Manager, Anfang dieser Woche. Der »ungehinderte Warenaustausch sowie die Sicherheit der Transportwege« seien, so Jung, »wesentliche Kriterien für die Aufgaben der Bundeswehr« – als ob die Verfassung nicht Landesverteidigung als alleinige Aufgabe vorsehe. Wie umfangreich der EU-Einsatz ausfallen wird, ist noch unklar. Der Europaabgeordnete Tobias Pflüger (Die Linke) erklärte gegenüber junge Welt, das Europäische Parlament sei bislang nicht informiert worden.

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