Militärische Meeresabenteuer der Europäischen Union und Deutschlands mit langfristigen Folgen

Pressemitteilung 2008/026, Brüssel, 24. September 2008

Zum Beschluss des EU-Rates eine EU-Militärmission vor die Küsten Somalias zu starten erklärt MdEP Tobias Pflüger (DIE LINKE), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses (AFET) und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE):

Nachdem schon lange Pressemeldungen über einen bevorstehenden EU-Militäreinsatz gegen Piraterie insbesondere vor der Küste Somalias kursierten, beschloss der EU-Rat am Freitag den 19. September diese "Gemeinsame Aktion".

Die so genannte NAVCO-Mission soll in einer ersten Stufe militärische Koordinierungshilfe für bereits vor Ort befindliche Kriegsschiffe verschiedener EU-Staaten leisten. Darüber hinaus ist NAVCO aber die Vorstufe für den ersten maritimen EU-Militäreinsatz überhaupt. Er soll Ende des Jahres vor der Küste Somalias beginnen. Auch Deutschland will sich an ihm beteiligen.

Der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlamentes, der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung, wurde vom Beschluss des Rates erst am Montagabend offiziell informiert. Am Dienstagabend gab es dazu eine Debatte im Plenum des Europäischen Parlamentes mit "Informationen" über diesen EU-Militäreinsatz durch den Verkehrskommissar und den für Verkehrspolitik zuständigen Vertreter der französischen Ratspräsidentschaft. Völlig fehlten in der Debatte die für Außen- und Militärpolitik zuständigen Rats- und Kommissionsvertreter.

Tobias Pflüger: "Diese Informationspolitik des EU-Rates und der EU-Kommission zum bevorstehenden EU-Militäreinsatz gegen Piraterie ist völlig inakzeptabel, das EU-Parlament wird wieder als lästiges Gremium bei der schnellen Entwicklung der EU-Militärpolitik behandelt."

Dabei hat es der EU-Ratsbeschluss in sich:
- Erstmals wird die Seesouveränität eines Landes entscheidend eingeschränkt.
- Es gibt eine direkte und indirekte Zusammenarbeit einer EU-Militärmission mit dem US-geführten Kampfeinsatz "Operation Enduring Freedom (OEF)". Sogar eine Zusammenarbeit mit der "Operation Iraqi Freedom" (OIF) also dem völkerrechtswidrigen Krieg in Irak ist möglich.
- Die französische Regierung, die immerhin derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wollte nach BBC-Angaben eine Generalvollmacht für militärische Kampfeinsätze gegen Piraterie auf allen Weltmeeren. Dazu ist es zum Glück doch nicht gekommen.
- Doch die EU-Militärmission soll nach Angaben des deutschen Militärministers Franz-Josef Jung nicht "nur" auf die Küsten Somalias begrenzen, auch vor Kenia sollen EU-Kampfeinsätze gegen Piraten durchgeführt werden. Auf welcher Rechtsgrundlage das geschehen soll, bleibt Jungs Geheimnis. Der Beschluss des UN-Sicherheitsrates vom 02. Juni 2008 gibt das auf jeden Fall nicht her.
- Die EU-Militärmission soll über den so genannten ATHENA-Mechanismus finanziert werden, diesmal sogar die "operation expenditure".

Offensichtlich plant auch die NATO eine entsprechende Militäraktion und die EU-Kommission will das "Stabilitätsinstrument" für den Kampf gegen Piraten nutzen. Schon jetzt sind Angriffseinsätze der Bundeswehr gemeinsam mit französischen Soldaten durchgeführt worden.

De facto wird die von Äthiopien und den USA in Somalia installierte "Regierung" durch diese EU-Militäreinsätze mit deutscher Beteiligung gestützt. Zentral ist aber offensichtlich die militärische Absicherung des Zugangs zu Rohstoffen, vor allem zum Öl. Der "Kampf gegen Piraten" scheint bei den Verantwortlichen der EU und der deutschen Politik alle Hemmnisse fallen zu lassen. Das Völkerrecht als Grundlage wird in Frage gestellt.

Die somalischen Piraten setzen sich überwiegend aus ehemaligen Fischern zusammen, deren Existenzgrundlage durch europäische Fangflotten buchstäblich weggefischt wurde. Vor diesem Hintergrund wären Maßnahmen, die die strukturellen Ursachen der Piraterie angehen, sicher wesentlich Erfolg versprechender, als der Versuch, das Problem militärisch zu bekämpfen. Hierfür müssten allerdings zuallererst die Fischereifangflotten zurückgezogen und parallel dazu ein vernünftiges Reintegrationsprogramm für die verarmten Fischer gestartet werden. Stattdessen setzt die EU auf die militärische Karte, nicht zuletzt auch deshalb, um ihre Präsenz in der strategisch wichtigen Region auszubauen.

Tobias Pflüger: "Die EU und Deutschland betreiben mit der Installierung dieses EU-Kampfeinsatzes eine gefährliche Kanonenbootpolitik und eine weitere Militarisierung der EU. So artet der Kampf gegen Piraten in offenen Krieg aus."

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