Wer soll das „Korn“ von der „Spreu“ trennen?
Pressebericht in "RUVR - The voice of Russia", 1. September 2008
Im Vorfeld des außerordentlichen Gipfeltreffens der EU, das am 1. September in Brüssel beginnt und der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Moskau sowie den künftigen Beziehungen der EU zu Russland gewidmet ist, tobte über Europa ein ganzer Sturm von Meinungen, Einschätzungen und Prognosen. Übrigens flaut er auch dieser Tage noch nicht ab. In der Position der europäischen Partner offenbaren sich dabei eine Reihe interessanter Nuancen, die den Experten und Analytikern aufgefallen sind. Ein Kommentar von Oleg Sewergin.
Heute ist die Schlussfolgerung nicht mehr umstritten, dass es mit der Erweiterung des geeinten Europas immer schwieriger werde, gemeinsame Herangehensweisen bei der Bewältigung europäischer und globaler Probleme zu finden. Vor dem außerordentlichen EU-Gipfel erfuhr eine solche Ansicht hinsichtlich Europas eine gewisse Veränderung. Mehrere Analytiker gelangten zur Schlussfolgerung, dass es dem „großen Europa“ dieses Mal anscheinend gelungen sei, jene „gemeinsame Sprache“ zu sprechen, die die EU-Neulinge so verstärkt durchzusetzen versucht hatten. Es ist verständlich, dass die EU-Neulinge in dieser „gemeinsamen Stimme“ ausschließlich atlantische Noten hören wollten. Und nun, so meinen die Analytiker, könnten diese EU-Neulinge triumphieren, denn im gesamteuropäischen Raum erklingt laut der dem ganzen Planeten so vertraute amerikanische Akzent. Das heißt, ein etwas an die europäischen politischen Standards angepasster Umgangston mit Russland, der einer harten Belehrung für einen dummen Jüngling gleicht.
Es lohnt sich hier nicht, alle europäischen Hauptstädte aufzuzählen, aus denen Russland beschuldigt wurde, dass es eine eigentlich nicht existierende „Aggression“ gegen das angeblich unschuldige Georgien verübt habe, dass es „unverhältnismäßig“ Gewalt eingesetzt habe, dass es unrechtmäßig die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkannt habe und dergleichen mehr. Angesichts des wegen seines misslungenen „Projekts Saakaschwili“ buchstäblich in Wut geratenen großen transatlantischen Partners beeilten sich praktisch alle seine jüngeren Bündnispartner, scharfe Kritik gegenüber Moskau zu äußern. Zur Verwunderung der meisten Experten war es kein anderer als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die diese europäische Reaktion zum Ausdruck brachte. Wie eine russische Internet-Ausgabe bemerkte, hätten die mit ihr arbeitenden Journalisten festgestellt, dass sie, wenn sie außer sich gerate, einer verärgerten Lehrerin gleiche. Ihr Ton werde belehrend, sie äußere sich giftig und undiplomatisch. Und gerade das sei bei ihrer Reise nach Schweden und in die Länder des Baltikums passiert, meinte die Internet-Ausgabe. Aus ihrem Munde seien dort Worte erklungen über die „provokatorische Politik“ Russlands, auch über die Notwendigkeit, ihm „gebührend zu antworten“ und Georgien zu unterstützen.
Und bei all dem hatte Angela Merkel als Regierungschefin eines führenden Mitgliedslandes der NATO den baltischen Partnern auch noch militärischen Beistand im Falle eines eventuellen Überfalls aus Osten auf diese Länder garantiert. Bisher wurden derartige Befürchtungen der Balten in den Wandelgängen der Allianz als paranoisch betrachtet. Doch nun scheint, nach allem zu urteilen, die Epidemie der Russophobie von der Ostseeküste auch auf die Hauptstädte der „alten“ Europäer überzugreifen. Aber dennoch bleibt die Frau Kanzlerin, selbst wenn sie das amerikanische Journal „Forbes“ schon zum dritten Mal als die einflussreichste Frau der Welt bezeichnet hat, nur eine Kanzlerin. In der politischen Szene Deutschlands, schon ganz zu schweigen vom „großen Europa“, gibt es noch viele andere Akteure, ohne die die politische Szene Europas unvollständig wäre. Und diese Akteure beeilen sich keineswegs, in den Chor der scharfen Kritiker der Handlungen Moskaus mit einzufallen.
Hier zum Beispiel seien Worte angeführt, die im Interview für die russisch Zeitung „Wremja nowostjej“ der Co-Vorsitzende der Internationalen Gruppe für Friedensinitiativen im Europäischen Parlament, der deutsche Abgeordnete Tobias Pflüger äußerte. Er meinte, Russland werde nicht in der Eigenschaft eines globalen Akteurs in der Geopolitik wahrgenommen, weil man selbst diese Rolle spielen wolle. Man schaue sich da nur die Zurechtweisungen an, die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Russland zu geben versuche: Man müsse das so machen, man müsse anders handeln. Aber das sei unakzeptabel, betonte Tobias Pflüger.
„Es wäre zu einfach, Georgien isoliert zu betrachten“, erklärte auf den Seiten der Zeitung „Der Tagesspiegel“ der Patriarch der deutschen Außenpolitik und frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Er sagte, es gehe „um das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Leider ist es auch ein Problem des Westens selbst. Nicht nur transatlantisch, sondern auch innerhalb der EU. Was muss man davon halten, wenn auf amerikanisches Drängen ein so wichtiger konventioneller Rüstungsbegrenzungsvertrag wie der KSE-Vertrag bis heute nicht ratifiziert ist. Warum laufen Abrüstungsverträge im Nuklearbereich aus, und wie steht es um die nukleare Abrüstung. Wie so etwas weitergeht, sieht man jetzt bei der strategischen Raketenabwehr, die zum Risiko für die strategische Stabilität werden kann, kommen Patriot-Raketen und andere Rüstungsgüter hinzu. Russland ist nicht unser natürlicher Gegner, sondern unser natürlicher Partner“, resümierte Hans-Dietrich Genscher. Ein Mitbegründer der sogenannten „neuen Ostpolitik“, der erfahrene Politiker Egon Bahr, rief den Westen auf, „nicht aufgeregt zu reagieren“, sondern die Zusammenarbeit mit Russland „zu pflegen“.
Vor dem außerordentlichen EU-Gipfel äußerte der Präsident Russlands Dmitri Medwedjew im Interview für den französischen Fernsehsender TF1 die Hoffnung, dass die europäischen Partner es verstehen werden, „das Korn von der Spreu zu trennen“. Im biblischen Gleichnis vom Unkraut im Weizen (Matthäus 13, 24-30) befahl der Bauer seinen Arbeitern, nicht das Unkraut auszureißen, sondern beides bis zur Ernte wachsen zu lassen, um es besser voneinander trennen zu können. Dieses Prinzip ist gewiss auch auf die heutige Situation anwendbar.
Im Vorfeld des außerordentlichen Gipfeltreffens der EU, das am 1. September in Brüssel beginnt und der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Moskau sowie den künftigen Beziehungen der EU zu Russland gewidmet ist, tobte über Europa ein ganzer Sturm von Meinungen, Einschätzungen und Prognosen. Übrigens flaut er auch dieser Tage noch nicht ab. In der Position der europäischen Partner offenbaren sich dabei eine Reihe interessanter Nuancen, die den Experten und Analytikern aufgefallen sind. Ein Kommentar von Oleg Sewergin.
Heute ist die Schlussfolgerung nicht mehr umstritten, dass es mit der Erweiterung des geeinten Europas immer schwieriger werde, gemeinsame Herangehensweisen bei der Bewältigung europäischer und globaler Probleme zu finden. Vor dem außerordentlichen EU-Gipfel erfuhr eine solche Ansicht hinsichtlich Europas eine gewisse Veränderung. Mehrere Analytiker gelangten zur Schlussfolgerung, dass es dem „großen Europa“ dieses Mal anscheinend gelungen sei, jene „gemeinsame Sprache“ zu sprechen, die die EU-Neulinge so verstärkt durchzusetzen versucht hatten. Es ist verständlich, dass die EU-Neulinge in dieser „gemeinsamen Stimme“ ausschließlich atlantische Noten hören wollten. Und nun, so meinen die Analytiker, könnten diese EU-Neulinge triumphieren, denn im gesamteuropäischen Raum erklingt laut der dem ganzen Planeten so vertraute amerikanische Akzent. Das heißt, ein etwas an die europäischen politischen Standards angepasster Umgangston mit Russland, der einer harten Belehrung für einen dummen Jüngling gleicht.
Es lohnt sich hier nicht, alle europäischen Hauptstädte aufzuzählen, aus denen Russland beschuldigt wurde, dass es eine eigentlich nicht existierende „Aggression“ gegen das angeblich unschuldige Georgien verübt habe, dass es „unverhältnismäßig“ Gewalt eingesetzt habe, dass es unrechtmäßig die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens anerkannt habe und dergleichen mehr. Angesichts des wegen seines misslungenen „Projekts Saakaschwili“ buchstäblich in Wut geratenen großen transatlantischen Partners beeilten sich praktisch alle seine jüngeren Bündnispartner, scharfe Kritik gegenüber Moskau zu äußern. Zur Verwunderung der meisten Experten war es kein anderer als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die diese europäische Reaktion zum Ausdruck brachte. Wie eine russische Internet-Ausgabe bemerkte, hätten die mit ihr arbeitenden Journalisten festgestellt, dass sie, wenn sie außer sich gerate, einer verärgerten Lehrerin gleiche. Ihr Ton werde belehrend, sie äußere sich giftig und undiplomatisch. Und gerade das sei bei ihrer Reise nach Schweden und in die Länder des Baltikums passiert, meinte die Internet-Ausgabe. Aus ihrem Munde seien dort Worte erklungen über die „provokatorische Politik“ Russlands, auch über die Notwendigkeit, ihm „gebührend zu antworten“ und Georgien zu unterstützen.
Und bei all dem hatte Angela Merkel als Regierungschefin eines führenden Mitgliedslandes der NATO den baltischen Partnern auch noch militärischen Beistand im Falle eines eventuellen Überfalls aus Osten auf diese Länder garantiert. Bisher wurden derartige Befürchtungen der Balten in den Wandelgängen der Allianz als paranoisch betrachtet. Doch nun scheint, nach allem zu urteilen, die Epidemie der Russophobie von der Ostseeküste auch auf die Hauptstädte der „alten“ Europäer überzugreifen. Aber dennoch bleibt die Frau Kanzlerin, selbst wenn sie das amerikanische Journal „Forbes“ schon zum dritten Mal als die einflussreichste Frau der Welt bezeichnet hat, nur eine Kanzlerin. In der politischen Szene Deutschlands, schon ganz zu schweigen vom „großen Europa“, gibt es noch viele andere Akteure, ohne die die politische Szene Europas unvollständig wäre. Und diese Akteure beeilen sich keineswegs, in den Chor der scharfen Kritiker der Handlungen Moskaus mit einzufallen.
Hier zum Beispiel seien Worte angeführt, die im Interview für die russisch Zeitung „Wremja nowostjej“ der Co-Vorsitzende der Internationalen Gruppe für Friedensinitiativen im Europäischen Parlament, der deutsche Abgeordnete Tobias Pflüger äußerte. Er meinte, Russland werde nicht in der Eigenschaft eines globalen Akteurs in der Geopolitik wahrgenommen, weil man selbst diese Rolle spielen wolle. Man schaue sich da nur die Zurechtweisungen an, die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Russland zu geben versuche: Man müsse das so machen, man müsse anders handeln. Aber das sei unakzeptabel, betonte Tobias Pflüger.
„Es wäre zu einfach, Georgien isoliert zu betrachten“, erklärte auf den Seiten der Zeitung „Der Tagesspiegel“ der Patriarch der deutschen Außenpolitik und frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Er sagte, es gehe „um das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland. Leider ist es auch ein Problem des Westens selbst. Nicht nur transatlantisch, sondern auch innerhalb der EU. Was muss man davon halten, wenn auf amerikanisches Drängen ein so wichtiger konventioneller Rüstungsbegrenzungsvertrag wie der KSE-Vertrag bis heute nicht ratifiziert ist. Warum laufen Abrüstungsverträge im Nuklearbereich aus, und wie steht es um die nukleare Abrüstung. Wie so etwas weitergeht, sieht man jetzt bei der strategischen Raketenabwehr, die zum Risiko für die strategische Stabilität werden kann, kommen Patriot-Raketen und andere Rüstungsgüter hinzu. Russland ist nicht unser natürlicher Gegner, sondern unser natürlicher Partner“, resümierte Hans-Dietrich Genscher. Ein Mitbegründer der sogenannten „neuen Ostpolitik“, der erfahrene Politiker Egon Bahr, rief den Westen auf, „nicht aufgeregt zu reagieren“, sondern die Zusammenarbeit mit Russland „zu pflegen“.
Vor dem außerordentlichen EU-Gipfel äußerte der Präsident Russlands Dmitri Medwedjew im Interview für den französischen Fernsehsender TF1 die Hoffnung, dass die europäischen Partner es verstehen werden, „das Korn von der Spreu zu trennen“. Im biblischen Gleichnis vom Unkraut im Weizen (Matthäus 13, 24-30) befahl der Bauer seinen Arbeitern, nicht das Unkraut auszureißen, sondern beides bis zur Ernte wachsen zu lassen, um es besser voneinander trennen zu können. Dieses Prinzip ist gewiss auch auf die heutige Situation anwendbar.
Tobias Pflüger - 2008/09/24 16:31
Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/5213467/modTrackback