"Kapitalismus überwinden" - Die Linke will jetzt den Systemwechsel erzwingen

Pressebericht auf www.welt.de vom 1. März 2009

Auf ihrem Europa-Parteitag hat die Linke ihre Fundamentalopposition gegen den Kapitalismus und die EU des Lissabon-Vertrages zementiert. Die Partei nahm den Satz "Der Kapitalismus muss überwunden werden" in ihr Wahlprogramm auf. Den EU-Vertrag betrachtet sie als militaristisches und neoliberales Pamphlet.

Die Linke traf sich zum Europaparteitag Essen, um über ihre Haltung zur EU zu reden. Doch sie sprach vor allem über den Kapitalismus und – wie Oskar Lafontaine in seiner Rede vom Podium donnerte – "sein klägliches Scheitern".

Die aktuelle Wirtschaftskrise, die Auseinandersetzungen um Opel, die Hypo Real Estate, Schaeffler und die Commerzbank lieferten dem Europaparteitag der Linkspartei die Themen.

Die Reden der Vorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine waren deshalb auch nicht an die Europäische Kommission, nicht an das Parlament oder den Ministerrat gerichtet. Ihr Adressat war die Bundesregierung. Der Furor, mit dem Kapitalismus und Marktwirtschaft von ihnen und fast allen Rednern und Antragstellern verurteilt wurden, gipfelt seit dem Wochenende in dem Satz "Der Kapitalismus muss überwunden werden".

Er wurde auf Antrag in das Wahlprogramm aufgenommen. "Das ist mit Sicherheit das linkeste Wahlprogramm, das wir jemals hatten", sagte ein Mitglied des Parteivorstandes am Rande der Veranstaltung WELT ONLINE. Ob diese klare Aussage mehr Wähler beflügelt, für die Partei zu stimmen, als sie Sympathien kostet, muss sich zeigen.

Mit ihrer klar antikapitalistischen Programmatik ist die Linke wieder auf die Linie des Grundsatzprogramms der einstigen PDS eingeschwenkt. Doch waren es keinesfalls in der Hauptsache Ostdeutsche, die den antikapitalistischen Kurs vorgaben, im Gegenteil. "Die Ostdeutschen sind durch ihre Parlamentsarbeit stärker realpolitisch orientiert, die Westdeutschen wollen noch bestimmen, wohin der Weg geht", sagte ein anderes westdeutsches Mitglied aus dem Parteivorstand WELT ONLINE.

In zahlreichen Anträgen zeigte sich, wie intensiv im Westen über radikallinke Ideen nachgedacht, wie sehr dort um Begriffsdefinitionen gerungen wird und wie wenig es hier um die Machbarkeit geht. Aus Hamburg kam der Vorschlag, den Wahlslogan "Links wirkt" in "Links wirkt in der Opposition" abzuwandeln. Diese Beschränkung auf die Funktion als reine Protestpartei immerhin fand keine Mehrheit.

Die Linke will den jetzt Systemwechsel schaffen

Die westdeutsche Linke ist längst nicht mehr mit der WASG identifizierbar. Die wollte, wie ihr früherer Bundesvorsitzender Klaus Ernst einmal sagte, den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern "gestalten und regeln". Für die neue Linke gilt dies nicht mehr, der Systemwechsel ist Programm.

Delegierte aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern appellierten, nicht nur über Visionen, sondern konkrete Sachpolitik zu reden. Sie empfahlen dem Parteitag deshalb auch, für Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie zu stimmen. Die renommierten und als Realos geltenden Europaabgeordneten waren vom Bundesausschuss nicht mehr aufgestellt worden. Dies hatte im Vorfeld zu heftigem Streit in der Partei geführt.

Beide stellten sich Kampfkandidaturen. Brie schaffte es in die Stichwahl um Platz 12, unterlag jedoch dem jungen Doktoranden Sascha Wagener aus Sachsen. Kaufmann trat in drei Wahlgängen an, ebenfalls ohne Erfolg. Ihr war offensichtlich nicht verziehen worden, dass sie für den Lissabon-Vertrag gestimmt hatte, an dem sie selbst mitgearbeitet hatte. Dieses Engagement brachte ihr zwar das Bundesverdienstkreuz, fiel ihr jedoch in Essen auf die Füße. Denn in keinem Punkt waren sich die Delegierten so einig wie in der totalen Ablehnung des Vertragswerks als militaristisches und neoliberales Pamphlet.

Diese Einigkeit führte dazu, dass der befürchtete Streit über die Haltung der Linken zur EU, nicht ausgetragen werden musste. Das erklärte "Nein" zu Lissabon wurde von einem hessischen Delegierten sogar zu einer "conditio sine qua non" erhoben. "Ich darf nur den wählen, der gegen Lissabon ist", sagte er. Anders als Kaufmann und Brie setzte sich der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger, einer der vehementesten Gegner des Lissabon-Vertrags und bekannter Friedensaktivist, in einer Kampfkandidatur um Platz zehn gegen den Konkurrenten durch.

Die Linke, das hat der Parteitag durchaus glaubhaft unter Beweis gestellt, ist keine antieuropäische Partei. Die europäische Idee, die Europa als gemeinsamen Kulturraum begreift, wird von der Mehrheit unterstützt. Doch die Kritik an der EU als Wirtschaftsunion, an ihrer Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik und am Verfassungsprozess ist fundamental; etwas anderes als eine Radikalopposition der neuen Abgeordneten in Strassburg ist vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar.

Die sogenannten Realpolitiker dürften es in der Partei in Zukunft schwerer haben. "Hier wurde eine Grundsatzdebatte und weniger eine Debatte über ein Wahlprogramm geführt. Die Menge an Konfliktthemen wird bei uns jeden Tag größer", sagte ein Landesvorsitzender eines ostdeutschen Bundeslandes am Rande. Die Westausdehnung hat die Linke zu einem Sammelbecken von Hoffnungen gemacht, die von anderen Parteien enttäuscht wurden.

So mussten sich die Kandidaten für die Europaliste nicht nur als Pazifisten und Antikapitalisten erklären, sondern auch als Frauenrechtler und Atomkraftgegner. Als ein Kandidat sich traute zu behaupten, dass für die Energiesicherheit die Kernkraft noch eine Weile von Nöten sei, wurde er gnadenlos ausgepfiffen. Das Präsidium rief zur Ordnung.

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