Schwieriger Spagat - Schmusen mit dem EU-Wähler
Pressebericht in Financial Times Deutschland vom 2. März 2009
Die Linke hat gewählt - nicht nur frische Kandidaten für das Europaparlament, sondern auch einen neuen Stil. Mit europafreundlichem Ton und alten Forderungen sollen Wähler gelockt werden.
Die Diskussion um die Kandidaten für das Europaparlament ist noch gar nicht dran, aber Jolanda Putz, Münchner Linke, 77 Jahre, ficht das nicht an. Die vom Bundesausschuss der Linken aufgestellte Liste "gefällt mir nicht", ruft sie den über 500 Delegierten des Europaparteitags der Linken in der Essener Grugahalle zu. "Die Liste ist gut, regional ausgewogen - und langweilig", schimpft sie und fordert dann vehement, dass der bayerische Europaabgeordnete Tobias Pflüger gefälligst einen aussichtsreichen Platz erhält.
Putz, älteste Delegierte, bekommt bei den Wahlen, was sie will: Friedensaktivist Pflüger, seit 2004 EU-Parlamentarier, gewinnt eine Stichwahl und landet auf Platz zehn der Liste. Aber es ist wohl weniger das Alter, warum die Delegierten ihr den Gefallen tun, als vielmehr ein anderes Ziel: die neue Europafreundlichkeit der Linken.
Allerdings nicht zu viel Europafreundlichkeit, wie etwa bei Sylvia-Yvonne Kaufmann oder André Brie. Kaufmann, seit 1999 EU-Abgeordnete, Mitglied des EU-Konvents, hatte im Parlament für den Lissabonner Vertrag gestimmt - als Einzige von den 41 Abgeordneten der gemeinsamen europäischen Linksfraktion. Und das, obwohl ihre Partei in Deutschland gegen den Vertrag klagt. Angesichts solcher aus Sicht der Führung unverzeihlicher Fehler unterliegt Kaufmann bei drei Kampfkandidaturen in Essen. Auch Brie wird weder nominiert noch gewählt - zu oft hat der EU-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern seine realpolitische, europafreundliche Stimme vor allem gegen Linken- Parteichef Oskar Lafontaine erhoben.
Da bevorzugt die Linke doch andere Mitglieder: Spitzenkandidat für die Wahl am 7. Juni wird mit 93,4 Prozent der Stimmen Parteichef Lothar Bisky. Ansonsten erhält als erfahrene EU-Parlamentarierin nur Gabi Zimmer einen aussichtsreichen Platz - und Pflüger.
Dieser beeilt sich, seine richtige Gesinnung zu belegen. "Unser Nein zu Lissabon ist essenziell", ruft er. Man sei gegen die "neoliberale militaristische Politik" der EU. Und Kritik an den Inhalten der EU sei "nicht europafeindlich", betont er. Europafeindlich oder nicht, zu feindlich oder zu freundlich - das ist der Konflikt, der diesen Parteitag prägt. Die Linke will heraus aus der Neinsagerecke, sie will regierungsfähiger werden, Wähler gewinnen, aber bitte ohne ihr scharfes Profil zu verlieren: ein schwieriger Spagat.
Nicht nur um die Kandidaturen von Kaufmann und Brie gibt es deswegen Streit. Auch der Leitantrag zum Wahlprogramm wird akribisch Zeile um Zeile auf Stil und Profil hin überprüft. Da nützt es wenig, dass ein Delegierter angesichts von rund 300 Änderungsanträgen versucht, die Teilnehmer von ausufernden Debatten abzuhalten. "Unser Ziel bleibt ja, den Kapitalismus zu überwinden", sagt er ein wenig verzweifelt, "aber doch nicht in einem Wahlprogramm für das EU-Parlament und in den nächsten fünf Jahren!" Die Debatte wird dennoch geführt.
"Wir müssten nur Ja sagen zur Nato, zu Lissabon, dann werden wir in den Kreis der Europatauglichen aufgenommen", warnt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke vor zu viel Freundlichkeit. "Und dann könnten wir uns gleichzeitig auflösen." Der ausgewiesene Linke fordert deswegen klare Bekenntnisse - wie die Auflösung der Nato.
Am Ende einigt man sich auf einen Formelkompromiss im Wahlprogramm. Statt einer langen Liste von Positionen, wogegen die Partei sich in Europa stemmt, wird vorsichtig positiv umformuliert - ein Vorschlag, den der Gewerkschafter und nun EU-Kandidat Thomas Händel ausgearbeitet hat. Die Forderungen bleiben dennoch drin: Die Linke will eine Europäische Union, die "strukturell nicht angriffsfähig ist", eine Börsenumsatzsteuer, eine Wirtschaftsregierung und "ein Verfassungswerk, über das alle Bürgerinnen und Bürger der Union am selben Tag abstimmen können", wie es nun im Leitantrag heißt. "Die Linke will Europa weder abschaffen noch zurück zur Nationalstaatlichkeit", sagt Lothar Bisky, und sein Kollege Oskar Lafontaine stellt am Abend befriedigt fest: "Hier gibt es keine Europafeinde auf diesem Parteitag."
Die politische Konkurrenz sieht das naturgemäß etwas anders. "Die Mehrheit dieser Partei hat kein Interesse daran, Politik zu gestalten. Nicht in Deutschland und nicht in Europa", ätzt der Spitzenkandidat der SPD, EU-Parlamentarier Martin Schulz. Vor allem mit der Ablehnung von Kaufmann und Brie habe die Linke bewiesen, dass sie nicht europatauglich sei. "Eine solche Selbsthilfegruppe ist unfähig, ein soziales Europa aufzubauen", sagt auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Ins Detail gehen beide SPD-Spitzenpolitiker lieber nicht. Ausgerechnet die Börsenumsatzsteuer, als linke Forderung fast schon ein altes Eisen, ist gerade en vogue: bei SPD-Finanzminister Peer Steinbrück und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.
Die Linke hat gewählt - nicht nur frische Kandidaten für das Europaparlament, sondern auch einen neuen Stil. Mit europafreundlichem Ton und alten Forderungen sollen Wähler gelockt werden.
Die Diskussion um die Kandidaten für das Europaparlament ist noch gar nicht dran, aber Jolanda Putz, Münchner Linke, 77 Jahre, ficht das nicht an. Die vom Bundesausschuss der Linken aufgestellte Liste "gefällt mir nicht", ruft sie den über 500 Delegierten des Europaparteitags der Linken in der Essener Grugahalle zu. "Die Liste ist gut, regional ausgewogen - und langweilig", schimpft sie und fordert dann vehement, dass der bayerische Europaabgeordnete Tobias Pflüger gefälligst einen aussichtsreichen Platz erhält.
Putz, älteste Delegierte, bekommt bei den Wahlen, was sie will: Friedensaktivist Pflüger, seit 2004 EU-Parlamentarier, gewinnt eine Stichwahl und landet auf Platz zehn der Liste. Aber es ist wohl weniger das Alter, warum die Delegierten ihr den Gefallen tun, als vielmehr ein anderes Ziel: die neue Europafreundlichkeit der Linken.
Allerdings nicht zu viel Europafreundlichkeit, wie etwa bei Sylvia-Yvonne Kaufmann oder André Brie. Kaufmann, seit 1999 EU-Abgeordnete, Mitglied des EU-Konvents, hatte im Parlament für den Lissabonner Vertrag gestimmt - als Einzige von den 41 Abgeordneten der gemeinsamen europäischen Linksfraktion. Und das, obwohl ihre Partei in Deutschland gegen den Vertrag klagt. Angesichts solcher aus Sicht der Führung unverzeihlicher Fehler unterliegt Kaufmann bei drei Kampfkandidaturen in Essen. Auch Brie wird weder nominiert noch gewählt - zu oft hat der EU-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern seine realpolitische, europafreundliche Stimme vor allem gegen Linken- Parteichef Oskar Lafontaine erhoben.
Da bevorzugt die Linke doch andere Mitglieder: Spitzenkandidat für die Wahl am 7. Juni wird mit 93,4 Prozent der Stimmen Parteichef Lothar Bisky. Ansonsten erhält als erfahrene EU-Parlamentarierin nur Gabi Zimmer einen aussichtsreichen Platz - und Pflüger.
Dieser beeilt sich, seine richtige Gesinnung zu belegen. "Unser Nein zu Lissabon ist essenziell", ruft er. Man sei gegen die "neoliberale militaristische Politik" der EU. Und Kritik an den Inhalten der EU sei "nicht europafeindlich", betont er. Europafeindlich oder nicht, zu feindlich oder zu freundlich - das ist der Konflikt, der diesen Parteitag prägt. Die Linke will heraus aus der Neinsagerecke, sie will regierungsfähiger werden, Wähler gewinnen, aber bitte ohne ihr scharfes Profil zu verlieren: ein schwieriger Spagat.
Nicht nur um die Kandidaturen von Kaufmann und Brie gibt es deswegen Streit. Auch der Leitantrag zum Wahlprogramm wird akribisch Zeile um Zeile auf Stil und Profil hin überprüft. Da nützt es wenig, dass ein Delegierter angesichts von rund 300 Änderungsanträgen versucht, die Teilnehmer von ausufernden Debatten abzuhalten. "Unser Ziel bleibt ja, den Kapitalismus zu überwinden", sagt er ein wenig verzweifelt, "aber doch nicht in einem Wahlprogramm für das EU-Parlament und in den nächsten fünf Jahren!" Die Debatte wird dennoch geführt.
"Wir müssten nur Ja sagen zur Nato, zu Lissabon, dann werden wir in den Kreis der Europatauglichen aufgenommen", warnt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke vor zu viel Freundlichkeit. "Und dann könnten wir uns gleichzeitig auflösen." Der ausgewiesene Linke fordert deswegen klare Bekenntnisse - wie die Auflösung der Nato.
Am Ende einigt man sich auf einen Formelkompromiss im Wahlprogramm. Statt einer langen Liste von Positionen, wogegen die Partei sich in Europa stemmt, wird vorsichtig positiv umformuliert - ein Vorschlag, den der Gewerkschafter und nun EU-Kandidat Thomas Händel ausgearbeitet hat. Die Forderungen bleiben dennoch drin: Die Linke will eine Europäische Union, die "strukturell nicht angriffsfähig ist", eine Börsenumsatzsteuer, eine Wirtschaftsregierung und "ein Verfassungswerk, über das alle Bürgerinnen und Bürger der Union am selben Tag abstimmen können", wie es nun im Leitantrag heißt. "Die Linke will Europa weder abschaffen noch zurück zur Nationalstaatlichkeit", sagt Lothar Bisky, und sein Kollege Oskar Lafontaine stellt am Abend befriedigt fest: "Hier gibt es keine Europafeinde auf diesem Parteitag."
Die politische Konkurrenz sieht das naturgemäß etwas anders. "Die Mehrheit dieser Partei hat kein Interesse daran, Politik zu gestalten. Nicht in Deutschland und nicht in Europa", ätzt der Spitzenkandidat der SPD, EU-Parlamentarier Martin Schulz. Vor allem mit der Ablehnung von Kaufmann und Brie habe die Linke bewiesen, dass sie nicht europatauglich sei. "Eine solche Selbsthilfegruppe ist unfähig, ein soziales Europa aufzubauen", sagt auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Ins Detail gehen beide SPD-Spitzenpolitiker lieber nicht. Ausgerechnet die Börsenumsatzsteuer, als linke Forderung fast schon ein altes Eisen, ist gerade en vogue: bei SPD-Finanzminister Peer Steinbrück und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.
Tobias Pflüger - 2009/03/04 15:35
Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/5559378/modTrackback