Abschied von der Ostpartei
Presseartikel von Peter Nowak, Telepolis, 03.03.2009
Der Europaparteitag der Linken zeigte, dass sie im Westen angekommen ist
Kaum jemand hätte es vor 10 Jahren für möglich gehalten, dass die PDS-Politiker Andre Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann einmal eine gute Presse bekommen werden. Das haben sie der Europapartei der Linken in Essen am vergangenen Wochenende zu verdanken. Die beiden Politiker waren nicht mehr auf aussichtsreiche Plätze aufgestellt worden. Das wurde in vielen Medien schon vor dem Parteitag als Abstrafung von Kritikern interpretiert. Erst relativ spät entschlossen sich beide Politiker auf dem Parteitag zu der schließlich erfolglosen Kampfkandidatur. Jetzt wird den beiden Nicht-Kandidaten mehr Raum eingeräumt, als den Gewählten.
Dabei hatten Andre Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann lange Jahre gesamtdeutsch keine gute Presse. Gehörte doch Brie zur Kaderreserve der SED, die jahrelang auf einen Abtritt von Honecker und Co. wartete und dann durch den Verlauf der Ereignisse nach 1989 nicht mehr zum Zuge kam. Nur ein kleiner Teil dieser verhinderten Elite ging in die PDS. In Bries besonders ausgeprägtem Pragmatismus sehen Kritiker den Versuch, mit Hilfe der PDS doch noch eine persönliche Machtoption zu bekommen. Nur wurde für Brie eine solche Option nicht einfacher, nachdem seine Stasiverbindungen bekannt geworden war. Lange Jahre galt Brie als Querdenker in der PDS; der auch schon manchmal laut über einen Parteiaustritt nachdachte, wenn er meinte, dass seine Parteifreunde in der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Verzug waren.
Die PDS-Politikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann machte 2002 Jahren bundesweit Schlagzeilen, als sie mit einer emotionalen Rede auf dem Parteitag in Münster eine Abkehr der PDS von deren friedenspolitischen Grundsätzen verhinderte. Für kurze Zeit galt sie danach als Verbündete der Parteilinken. Doch diese Liaison war nur von kurzer Dauer. Als Europaabgeordnete hatte sie sich bald als realpolitische Dissidentin einen Namen gemacht. Während ihre Parteikollegen vor einem militaristischen, neoliberalen EU-Block warnten, beschwor Kaufmann die Chancen von Europa und plädierte als einzige EU-Abgeordnete der Linken für den Lissabonner Vertrag, gegen den die Linke das Bundesverfassungsgericht angerufen hat.
Schon seit Monaten war klar, dass Brie und Kaufmann auf der neuen Europaliste der Linken keine Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz haben würden. Das lag aber vor allem daran, dass die Liste der in diesem Jahr aus dem Amt scheidenden Europaabgeordneten noch von der PDS nominiert worden waren. Am Wochenende wählte nun erstmals die gar nicht mehr so neue Linkspartei ihre Kandidaten für die neue EU-Liste. Dabei spielte auch viel Quoten- und Proporzdenken eine Rolle. Nicht nur Männer und Frauen, auch Ost- und Westdeutsche mussten auf der Liste vertreten sein. Doch der Wandel von der PDS zur Linken war auch mit einer Ausweitung der Partei nach links verbunden. Als Brie in den 90er Jahren vom Ankommen in Deutschland sprach, träumte er von einer Ostpartei, die mit der SPD auf Augenhöhe verhandelt. Der langjährige SPD-Linke Peter von Oertzen machte sich noch vor wenigen Jahren über die zahmen Politikvorstellungen eines Andre Brie lustig, für die kämpferische westdeutsche Betriebsräte nur Hohn und Spott übrig haben könnten.
Erfolg für Tobias Pflüger
Der Verlauf des Europaparteitags von Essen macht deutlich, dass die Linke tatsächlich im Westen angekommen ist, aber nicht so, wie es sich Brie wünschte. Das zeigte sich durch die Wahl von Tobias Pflüger auf den zehnten Listenplatz. Dabei hielt er sich brav an das Quotensystem und verdrängte mit Wilfried Telkämpfer einen westdeutschen Mann, der als jahrelanger Grüner Parlamentarier schon zu den bekannteren Namen gehörte. Telkämpfer wiederum setzte sich auf den nicht sehr aussichtsreichen 14. Platz gegen den jungen ostdeutschen Realpolitiker Dominic Heilig durch.
Dass Pflüger, der in der letzten Legislaturperiode im EU-Parlament saß, auch nicht mehr aufgestellt werden sollte, wurde in den Medien kaum registriert. Dabei gab es zur Unterstützung des profilierten Antimilitaristen eine Internetkampagne , die weit über die Linke hinausreichte. Pflüger wurde in den Medien in der Regel nicht erwähnt. Da er nun in den Kreis der aussichtsreichen Bewerber zurückgekehrt ist, fällt die Taz in die Sprache der 80er Jahre zurück, indem sie Pflüger als Fundi tituliert . Von seinen Aktivitäten auf dem Gebiet der Friedenspolitik und seiner außerparlamentarischen Unterstützung hingegen wird wenig gesprochen.
Kritik bis zur Wahl aufgeschoben
Die Linke ist im Westen angekommen, das zeigte sich am Wochenende in Essen. Die Nichtberücksichtigung von Andre Brie hätte in der alten PDS noch zu einer mittleren Parteikrise geführt, weil seine Unterstützer aus dem Mittelbau der ostdeutschen Landesverbände sofort mobil gemacht hätten. Doch deren Einfluss ist in der Linkspartei geschrumpft. Denn es sind nicht Mitglieder der viel zitierten westdeutschen K-Gruppen sondern ehemalige Sozialdemokraten wie Lafontaine, Dehm aber auch weniger bekannte Gewerkschafter, die die PDS-Politiker mühelos links überholen.
Das Ergebnis von Essen ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Vom Wahlergebnis wird der weitere innerparteiliche Diskussionsverlauf abhängen. Mindest 10 Mandate werden erwartet. Fällt das Ergebnis deutlich schlechter aus, werden sich die Realos deutlicher zu Wort melden. Die gibt es schließlich nicht nur in den ostdeutschen Landesverbänden, sondern auch in den Reihen von jungen Pragmatikern, die sich Emanzipatorische Linke nennen und in einer Kritik an der realen Ausgestaltung der EU die Gefahr des Rückgriffs aus den Nationalstaat sehen.
Der Vorwurf des Nationalismus wurde in Essen von verschiedenen Rednern entschieden zurück gewiesen. Doch den Stimmen, die die Linke zur EU-Wahl bekommen wird, merkt man nicht an, ob sie von linken oder rechten EU-Kritikern kommen. Da die Linke als einzige chancenreiche Partei die Kritik an dem EU-Vertrag in den Mittelpunkt stellt, könnte sie auf jeden Fall profitieren. Schließlich kann in Zeiten der Krise, wo auch in wirtschaftsnahen Kreisen ernsthaft eine Rückkehr einiger EU-Staaten zu ihren alten Währungen nicht mehr ausgeschlossen wird, eine EU-Kritik für Wählerstimmen sorgen. Die aufgeregten Reaktionen der politischen Konkurrenz scheinen von dieser Furcht geprägt.
Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29834/1.html
Der Europaparteitag der Linken zeigte, dass sie im Westen angekommen ist
Kaum jemand hätte es vor 10 Jahren für möglich gehalten, dass die PDS-Politiker Andre Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann einmal eine gute Presse bekommen werden. Das haben sie der Europapartei der Linken in Essen am vergangenen Wochenende zu verdanken. Die beiden Politiker waren nicht mehr auf aussichtsreiche Plätze aufgestellt worden. Das wurde in vielen Medien schon vor dem Parteitag als Abstrafung von Kritikern interpretiert. Erst relativ spät entschlossen sich beide Politiker auf dem Parteitag zu der schließlich erfolglosen Kampfkandidatur. Jetzt wird den beiden Nicht-Kandidaten mehr Raum eingeräumt, als den Gewählten.
Dabei hatten Andre Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann lange Jahre gesamtdeutsch keine gute Presse. Gehörte doch Brie zur Kaderreserve der SED, die jahrelang auf einen Abtritt von Honecker und Co. wartete und dann durch den Verlauf der Ereignisse nach 1989 nicht mehr zum Zuge kam. Nur ein kleiner Teil dieser verhinderten Elite ging in die PDS. In Bries besonders ausgeprägtem Pragmatismus sehen Kritiker den Versuch, mit Hilfe der PDS doch noch eine persönliche Machtoption zu bekommen. Nur wurde für Brie eine solche Option nicht einfacher, nachdem seine Stasiverbindungen bekannt geworden war. Lange Jahre galt Brie als Querdenker in der PDS; der auch schon manchmal laut über einen Parteiaustritt nachdachte, wenn er meinte, dass seine Parteifreunde in der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Verzug waren.
Die PDS-Politikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann machte 2002 Jahren bundesweit Schlagzeilen, als sie mit einer emotionalen Rede auf dem Parteitag in Münster eine Abkehr der PDS von deren friedenspolitischen Grundsätzen verhinderte. Für kurze Zeit galt sie danach als Verbündete der Parteilinken. Doch diese Liaison war nur von kurzer Dauer. Als Europaabgeordnete hatte sie sich bald als realpolitische Dissidentin einen Namen gemacht. Während ihre Parteikollegen vor einem militaristischen, neoliberalen EU-Block warnten, beschwor Kaufmann die Chancen von Europa und plädierte als einzige EU-Abgeordnete der Linken für den Lissabonner Vertrag, gegen den die Linke das Bundesverfassungsgericht angerufen hat.
Schon seit Monaten war klar, dass Brie und Kaufmann auf der neuen Europaliste der Linken keine Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz haben würden. Das lag aber vor allem daran, dass die Liste der in diesem Jahr aus dem Amt scheidenden Europaabgeordneten noch von der PDS nominiert worden waren. Am Wochenende wählte nun erstmals die gar nicht mehr so neue Linkspartei ihre Kandidaten für die neue EU-Liste. Dabei spielte auch viel Quoten- und Proporzdenken eine Rolle. Nicht nur Männer und Frauen, auch Ost- und Westdeutsche mussten auf der Liste vertreten sein. Doch der Wandel von der PDS zur Linken war auch mit einer Ausweitung der Partei nach links verbunden. Als Brie in den 90er Jahren vom Ankommen in Deutschland sprach, träumte er von einer Ostpartei, die mit der SPD auf Augenhöhe verhandelt. Der langjährige SPD-Linke Peter von Oertzen machte sich noch vor wenigen Jahren über die zahmen Politikvorstellungen eines Andre Brie lustig, für die kämpferische westdeutsche Betriebsräte nur Hohn und Spott übrig haben könnten.
Erfolg für Tobias Pflüger
Der Verlauf des Europaparteitags von Essen macht deutlich, dass die Linke tatsächlich im Westen angekommen ist, aber nicht so, wie es sich Brie wünschte. Das zeigte sich durch die Wahl von Tobias Pflüger auf den zehnten Listenplatz. Dabei hielt er sich brav an das Quotensystem und verdrängte mit Wilfried Telkämpfer einen westdeutschen Mann, der als jahrelanger Grüner Parlamentarier schon zu den bekannteren Namen gehörte. Telkämpfer wiederum setzte sich auf den nicht sehr aussichtsreichen 14. Platz gegen den jungen ostdeutschen Realpolitiker Dominic Heilig durch.
Dass Pflüger, der in der letzten Legislaturperiode im EU-Parlament saß, auch nicht mehr aufgestellt werden sollte, wurde in den Medien kaum registriert. Dabei gab es zur Unterstützung des profilierten Antimilitaristen eine Internetkampagne , die weit über die Linke hinausreichte. Pflüger wurde in den Medien in der Regel nicht erwähnt. Da er nun in den Kreis der aussichtsreichen Bewerber zurückgekehrt ist, fällt die Taz in die Sprache der 80er Jahre zurück, indem sie Pflüger als Fundi tituliert . Von seinen Aktivitäten auf dem Gebiet der Friedenspolitik und seiner außerparlamentarischen Unterstützung hingegen wird wenig gesprochen.
Kritik bis zur Wahl aufgeschoben
Die Linke ist im Westen angekommen, das zeigte sich am Wochenende in Essen. Die Nichtberücksichtigung von Andre Brie hätte in der alten PDS noch zu einer mittleren Parteikrise geführt, weil seine Unterstützer aus dem Mittelbau der ostdeutschen Landesverbände sofort mobil gemacht hätten. Doch deren Einfluss ist in der Linkspartei geschrumpft. Denn es sind nicht Mitglieder der viel zitierten westdeutschen K-Gruppen sondern ehemalige Sozialdemokraten wie Lafontaine, Dehm aber auch weniger bekannte Gewerkschafter, die die PDS-Politiker mühelos links überholen.
Das Ergebnis von Essen ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Vom Wahlergebnis wird der weitere innerparteiliche Diskussionsverlauf abhängen. Mindest 10 Mandate werden erwartet. Fällt das Ergebnis deutlich schlechter aus, werden sich die Realos deutlicher zu Wort melden. Die gibt es schließlich nicht nur in den ostdeutschen Landesverbänden, sondern auch in den Reihen von jungen Pragmatikern, die sich Emanzipatorische Linke nennen und in einer Kritik an der realen Ausgestaltung der EU die Gefahr des Rückgriffs aus den Nationalstaat sehen.
Der Vorwurf des Nationalismus wurde in Essen von verschiedenen Rednern entschieden zurück gewiesen. Doch den Stimmen, die die Linke zur EU-Wahl bekommen wird, merkt man nicht an, ob sie von linken oder rechten EU-Kritikern kommen. Da die Linke als einzige chancenreiche Partei die Kritik an dem EU-Vertrag in den Mittelpunkt stellt, könnte sie auf jeden Fall profitieren. Schließlich kann in Zeiten der Krise, wo auch in wirtschaftsnahen Kreisen ernsthaft eine Rückkehr einiger EU-Staaten zu ihren alten Währungen nicht mehr ausgeschlossen wird, eine EU-Kritik für Wählerstimmen sorgen. Die aufgeregten Reaktionen der politischen Konkurrenz scheinen von dieser Furcht geprägt.
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Tobias Pflüger - 2009/03/18 21:03
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