Jeder vierte Passagier ist Soldat

Artikel in Neues Deutschland, 04.05.2009

Experten bestätigen Militarisierung des Flughafens Leipzig – bald über drei Flanken
Von Hendrik Lasch

Der Flughafen Leipzig wird intensiv militärisch genutzt, auch für die Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Kriegs. Das bestätigen Experten und widersprechen damit der sächsischen Staatsregierung.
Im März 2009 gab es auf den deutschen Flughäfen 95 314 Transitpassagiere – Fluggäste, die zwar aussteigen, aber dann umgehend weiterfliegen. Erstaunliche 46 Prozent der Umsteiger, exakt 44 286, wurden auf dem Flughafen Leipzig-Halle registriert. Die Zahl verblüfft auf den ersten Blick; selbst die internationale Drehscheibe Frankfurt (Main) verzeichnet nur gut 20 000 Transitpassagiere – bei vier Millionen Fluggästen. In Leipzig stellen sie ein Viertel der insgesamt 170 000 Passagiere.
Kenner der Leipziger Verhältnisse indes wissen, dass die »Transitpassagiere« hier zumeist US-Soldaten sind, die von drei zivilen Fluggesellschaften an Kriegsschauplätze in Irak und Afghanistan und zurück transportiert werden, wobei in Leipzig eine Zwischenlandung erfolgt. Die sprachliche Tarnung zeigt: Es gibt »eine militärische Nutzung, die nicht publik werden soll«, sagt Tobias Pflüger, linker Europaabgeordneter.
Tatsächlich tut sich nicht zuletzt die sächsische Staatsregierung äußerst schwer mit dem Eingeständnis, welch zentrale Rolle Leipzig in Armeeplänen spielt. Thomas Jurk, der SPD-Wirtschaftsminister, habe noch im März 2009 eine militärische Nutzung bestritten, sagt Oliver Fanenbruck von der Bürgerinitiative gegen Flug- und Bodenlärm – und widerspricht energisch: Leipzig sei vielmehr »Drehscheibe gegenwärtiger und künftiger militäsischer Einsätze«. Derzeit gebe es jede Nacht rund 100 Flugbewegungen. Nicht zuletzt die für den GI-Transport genutzten Maschinen vom Typ MD 11 erzeugten dabei Lärm von 80 bis 90 Dezibel: »Als schliefe man mit einem Benzinrasenmäher neben dem Bett.«
Die Militärflüge sind den Anwohnern ein Graus, auch wenn LKA-Chef Paul Scholz beteuert, ein erhöhtes Anschlagsrisiko vermöge seine Behörde nicht zu erkennen. Die Flüge verstoßen indes auch gegen geltendes Recht. Der Irak-Krieg, bei dessen logistischer Absicherung der Landeplatz eine Rolle spielt, sei klar völkerrechtswidrig, sagt Pflüger und stellt klar: »Vom Flughafen Leipzig geht Krieg aus.«
Widerstand ist in Form von Unterlassungsansprüchen möglich, meint der Rechtsanwalt Peter Becker. »Jeder Bürger« hat nach seiner Auffassung das Recht, von der Bundesregierung zu verlangen, dass »die logistische Unterstützung für den fragwürdigen Krieg unterlassen wird«. Zudem seien die Behörden zu Auskünften verpflichtet. Unklar ist freilich, ob die Landegenehmigungen vom Luftfahrt-Bundesamt oder dem Verteidigungsministerium erteilt werden.
Bei Bürgerinitiativen, die einst wegen der nächtlichen Lärmbelästigung gegründet worden waren, ist man mittlerweile sicher, dass der Krach erst mit dem Militär verschwinden würde: »Es gibt keine Beschränkung der Nachtflüge, solange die militärischen Flüge nicht aufhören«, sagt Michael Teske von der IG Nachtflugverbot, der freilich davon ausgeht, dass die doppelte zivile und militärische Nutzung in Leipzig »von vornherein geplant« war – »wenn nicht die militärische Nutzung sogar Hauptzweck ist«.
Ein Beleg ist die Stationierung schwerer Antonow-Maschinen, die von der Nato im Rahmen des »Salis«-Abkommens zum Transport schweren Kriegsgeräts verwendet werden. Das Baurecht für deren Stellplatz, sagt Teske, sei bereits ein Jahr vor der Ankündigung erteilt worden, Leipzig zum Drehkreuz für Luftfracht auszubauen. Die erfolgte durch den DHL-Konzern – was nun womöglich zu einer dritten Flanke bei der Militarisierung des Flughafens führt: Die Posttochter, so Pflüger, solle künftig auch Logistik-Dienstleistungen der Bundeswehr übernehmen.

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