Bürgerrecht auch ohne Pass?

Artikel in Schwäbisches Tagblatt, 11.05.2009
Text: Fabian Ziehe

In der Hepper-Halle diskutierten Politiker mit Wählern türkischer Herkunft

Integration durch Bildung: Mit einem Forum versuchte der Tübinger Verein Türk Dernegi, Deutsch-Türken für die kommenden Wahlen zu gewinnen. Rund 80 Zuhörer verfolgten die Diskussion.

Tübingen. „Eine vergleichbare Versammlung hat es in Tübingen nie gegeben“ – damit hatte Hasan Tahsin Ersoy wohl Recht: Zwölf Politiker, Tübinger Stadt- und Kreisräte, Landtags- und Europaabgeordnete hatte der Ehrenvorsitzende des Türkischen Vereins Türk Dernegi am Samstag in die Hermann-Hepper-Halle geladen. Etwa 80 Zuhörer, die meisten mit türkischer Herkunft, waren gekommen.

Tobias Pflüger (Linke) sprach sich für einen Beitritt der Türkei in die EU aus. Allerdings müssten beide Seiten ihre Hausaufgaben machen. Derzeit, so Pflüger, sähe es nicht rosig für einen Beitritt aus. Daher ginge es erst um eine Integration der Türken, die in Deutschland leben: „Das halte ich fast für wichtiger.“ Für sie forderte er zumindest das Kommunalwahlrecht.

Martin Rosemann, SPD-Fraktions-Chef im Tübinger Gemeinderat und Bundestagskandidat, sprach sich für die doppelte Staatsbürgerschaft aus: „Es gibt Menschen, die zu Deutschland und zur Türkei gehören.“ Das fand Zustimmung im Saal – nicht alle Zuhörer hatten einen deutschen Pass und wären damit wahlberechtigt. Hamid Öz beklagte, dass er sich mit 18 Jahren für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden musste. „Was kann ich dafür, dass die Politik versagt hat?“ Sami Olgun aus Böblingen, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam, fragte: „Was verliert Deutschland, wenn ich die doppelte Staatsbürgerschaft bekomme?“

Wiederholt ging es um Integration. So bei der Tübinger GAL-Stadträtin Aynur Söylemez: „Bei Integration denke ich an Migranten und an Deutsche. 40 Jahre hat man sich nicht um Gastarbeiter gekümmert.“ CDU-Stadtverbandsvorsitzender Arnold Oppermann forderte die Akzeptanz von Werten und Verfassung seitens der Migranten ein. Er sprach das Problem Zwangsheirat an.

Mancher Zuhörer haderte mit den Statements. So meldete sich eine junge Frau zu Wort, die eine Anerkennung der Bemühungen seitens der Bürger mit türkischer Herkunft einforderte. „Ich möchte gar nicht integriert werden – ich bin es schon“, spitzte es Soner Yigit zu, Vorsitzender des Türkischen Vereins Tübingen. Ein türkischstämmiger Akademiker fragte: „Gibt es eine Definition von Integration nach der ich feststellen kann, ob ich integriert bin?“

Weiteres Thema: Sprachförderung. „Wir fordern und fördern Deutschkenntnisse“, sagte Oppermann. Das griff die Tübinger SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid auf und kritisierte, dass das Land zu wenig für die Sprachförderung ausgibt. Aber auch türkische Eltern seien gefordert, um dem Nachwuchs den Spracherwerb zu ermöglichen: „Schicken Sie Ihre Kinder in den Kindergarten“, appellierte sie. „Wir brauchen auch Sprachförderung für die, die Erziehung leisten“, ergänzte Kreisrats-Kandidat Sascha Schmid (FDP). Viele sprachen sich f ür mehr Hilfen für ausländische Kinder an Schulen aus. Während Haller-Haid die Hauptschule in Frage stellte, forderte Emanuel Pe ter, Kreistagskandidat der Linken, ein neues Bildungssystem, das Migrantenkinder nicht ausschließt.

Am Ende der Veranstaltung zog Veranstalter Ersoy ein positives Fazit. „Das ist ein Anfang, um unsere türkischen Freunde an die Urne zu bringen“, sagte er und versprach ein zweites Podium vor der Bundestagswahl. Nun hofft er, dass in und um Tübingen die Wahlbeteiligung unter den Türkischstämmigen allmählich steigt.

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