Stimmen für Europa

Artikel in Schwäbisches Tagblatt, 09.05.2009
von UTE KAISER

Jugendliche fragten vier Kandidaten zu ihren Einschätzungen

Der Politik-Neigungskurs des Kepler-Gymnasiums hatte EUKandidaten zur Diskussion geladen. Vor allem in der Haltung zur Türkei als möglichem Mitglied und zum Lissabon-Vertrag zeigten sich die Unterschiede der Parteien.

Tübingen. Ein Saal, fast voll mit Jugendlichen – das erleben Europa-Kandidaten nicht alle Tage. Geschafft haben das der Politik-Neigungskurs der Klassen 12 des Kepler-Gymnasiums mit dem Lehrer Andreas Gathmann und die „Politikfabrik“ aus Berlin – eine „studentische Agentur für politische Kommunikation“. Ihre Einladung strahlte bis ins Mössinger Quenstedt-Gymnasium. Von dort waren eigens politisch interessierte Abiturienten mit ihrem Lehrer Werner Schärdel gekommen.
„Europa bräuchte eine geregelte Zuwanderungspolitik“, forderte die Grüne Heide Rühle beim Thema Flüchtlinge. „Wir müssen das Problem eigentlich in den Staaten angehen, wo es entsteht“, erklärte SPD-Mann Gerald Sander in der Uhlandstraßen-Aula. Christdemokrat Norbert Lins will neben den Fluchtursachen auch die Schleuserbanden bekämpft sehen und plädierte für eine (freilich nicht näher) erläuterte „Rückführung der Flüchtlinge“.
Allerdings sei es schwierig, das zeigten die Redebeiträge, in der Außenpolitik eine gemeinsame EU-Linie zu entwickeln – wie schon die Haltung zum Irak-Krieg gezeigt habe. „Manche Länder machen lieber Außenpolitik mit den USA als mit Deutschland und Frankreich“, so Sander. Energiepolitik und Beihilfen für Landwirte, die so ein Schüler in seiner Frage, „die Märkte in Afrika schädigen¨, waren abgehakt, als der Tübinger Europa-Abgeordnete Tobias Pflüger (Linke) nach rund einer Stunde auf das Podium kam.
Dann wurde es richtig kontrovers. Auslöser war die Frage nach dem EU-Beitritt der Türkei. Lins vertrat die CDU-Position von der „privilegierten Partnerschaft“. Rühe hielt dagegen: „Es muss unser ureigenes Interesse sein, dieses Land einzubinden“ und begrüßte die „offenen Diskussionen“, die in der Türkei durch den Beitrittsprozess entstehen. Pflüger hat in seiner Fraktion für den Beitritt gekämpft, allerdings nicht so, wie er im Moment angelegt ist – „nach geostrategischen Interessen“. Vor 2016 werde nichts zu machen sein, prognostizierte Sander. Ihm bereitet unter anderem der Umgang mit Menschenrechtsfragen Sorgen. Auch in ihrer Einschätzung zum Vertrag von Lissabon unterschieden sich die Politiker. Er sei im gesamten Wirtschaftsbereich „völlig überholt“ und mache die EU zu einer Militär-Union, kritisierte Pflüger. Der Lissabon-Vertrag schaffe mehr Demokratie und setze nicht mehr nur auf den reinen Markt: Diese Position vertraten sowohl die Grünen- Politikerin als auch der Christdemokrat. Sander lag mit seiner Einschätzung – „eine Verbesserung, aber kein Riesenfortschritt“ – dazwischen und auch hier nicht unbedingt auf der Linie seiner SPD.
Dem Parlament den Rücken stärken – das nannten sowohl Rühle als auch Sander als Grund, warum die zum ersten Mal Wahlberechtigten unter den Zuhörer(inne)n am 7. Juni an die Urnen gehen sollten. Sie könnten mit ihrer Stimme deutlich machen, ob sie ein soziales oder ein neoliberales Politikmodell wollten, sagte Pflüger. Er glaube, „dass der größte Gegner der Demokratie die Gleichgültigkeit ist“, bekundete Christdemokrat Lins unter Beifall.
Applaus vom (zur Anwesenheit verpflichteten) Publikum bekamen auch die Moderatorinnen Maureen Seeger und Ana Stevanovic. Sie hatten sich unter anderem bei einem „Politikfabrik“-Workshop in Berlin vorbereitet. In Tübingen war die Agentur durch Claudia Schmidt und Sven Tscheppainz vertreten. Vier Wochen vor der Wahl, das zeigte der Nachmittag, gibt es noch viele Fragen zur EU mit ihren inzwischen 27 Mitgliedsstaaten, zu den Institutionen und ihren Aufgaben. „Es war mir ein großes Vergnügen, dass Sie da waren“, sagte Maureen Seeger. Einen Satz wie diesen hören Europa-Politiker sicher nicht alle Tage – schon gar nicht von Jugendlichen.

In f o
Die räumlich nächstgelegene von insgesamt 80 Debatten des Erstwählerprojekts der Berliner Politikfabrik ist am kommenden Donnerstag im Reutlinger Bildungszentrum Nord.

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