In Irland an Türen klopfen

Artikel in Schwäbisches Tagblatt, 28.05.2009
Text von Mario Beisswenger

Warum der Lissabon-Vertrag auf der grünen Insel zweimal scheitern kann

Irland lehnte in einer Volksabstimmung den in Lissabon verabschiedeten Grundsatz-Vertrag der Europäischen Union ab. Ein Ire erklärte, wie die Entscheidung zustande kam.


Tübingen. Ein bisschen durchgeknallt müssen die Iren sein. Die großen Fortschritte, die Europa mit dem neuen Vertrag von Lissabon machen kann, hat auf der grünen Insel offensichtlich niemand so recht verstanden. Vielleicht ist es auch ein Haufen verhetzter Abtreibungsgegner. So oder so ähnlich lauteten die Einschätzungen, als vergangenes Jahr im Juni die Mehrheit der Iren gegen den Lissabon-Vertrag stimmte.

Am Dienstagabend versuchte Michael Youlton, Koordinator für die Kampagne „Nein zu Lissabon“ in Irland, diesen Eindruck zurechtzurücken. Er war auf Einladung des EU-Parlamentariers der Linken Tobias Pflüger nach Tübingen gekommen. Bei seiner Erklärung konnte sich Youlton auf eine Umfrage der irischen Regierung stützen. Demnach waren Abtreibungsgegner allenfalls für fünf Prozent der Nein-Stimmen verantwortlich. Die Kampagne eines irisch-stämmigen Millionärs, der höhere Steuern fürchtete und vor dem Verlust des irischen EU-Kommissars warnte, trug runde zehn Prozent der Nein-Voten bei.

Der große Rest, so Youlten, waren Leute, „denen einfach nie erklärt worden ist, was der Vertrag von Lissabon ist“. Und zu gleichem Teil Leute, die Eingriffe ins irische Sozial- und Bildungssysteme fürchteten, die demokratischen Spielregeln verletzt sahen und auch eine Aufrüstung der EU ablehnten. So unerklärlich seien die 53 Prozent Nein-Stimmen aber gar nicht, sagte er den rund 20 Gästen im Schlatterhaus. Die Iren hätten schon 1977 die Einführung der Atomenergie verhindert, eine Volksbewegung habe Anfang der 80er Jahre das Steuersystem umgekrempelt, und man dürfe nicht vergessen, dass die größte Demo gegen den Irak-Krieg in Irland stattfand.

Für Pflüger war der Bericht von Youlton totales Kontrastprogramm. Auf Europa-Podien sei er sonst immer der einzige, der gegen Lissabon argumentiere, Gehör finde er wenig. Das liege wohl daran, dass das verschlungene Vertragswerk schwer zu erklären sei. Wer solle das verstehen, dass es zum Beispiel eine Grundrechte-Charta gebe, in der die Todesstrafe als abgeschafft gilt. Polen und Großbritannien erkennen die Charta aber nicht an. In einem Zusatzprotokoll stünde, dass die Todesstrafe im Falle eines Krieges oder Aufstandes dann doch wieder möglich sei. Ein wichtiges Argument gegen Lissabon ist für Pflüger die stärkere Militarisierung der EU. Ein Beleg: Der noch gültige Nizza-Vertrag sehe keine EU-Haushaltsmittel fürs Militär vor, mit Lissabon gäbe es einen „Anschubfonds“ dafür.

Für Pflüger ist der Vertrag kein Sprung zu einem demokratischeren Europa. Es fehle weiter die Möglichkeit des Europa-Parlaments, auf die Ausgaben der Union Einfluss zu nehmen, die Kontrollrechte seien minimal. Komplett fehle dem Parlament die Gelegenheit, eigene Gesetze auf den Weg zu bringen. So habe sich das Parlament auf eine Steuer auf internationale Finanztransaktionen (Stichwort: Tobin-Steuer) geeinigt. Die EU-Verwaltung formuliere aber keinen Gesetzesvorschlag dazu, deshalb passiere einfach gar nichts.

Einziges Mittel, um den Vertrag noch zu verhindern, ist für Pflüger, die irische Nein-Kampagne zu unterstützen. Nach einem dort vor dem Verfassungsgericht erstrittenen Urteil ist die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag nur per Volksbefragung möglich. Nach dem ersten Nein soll die irische Bevölkerung im Oktober nochmals befragt werden. Aktuelle Umfragen zeigen eine Pro-Stimmung. Youlton sieht trotzdem gute Chancen, dass es wieder zu einer Ablehnung kommt: „Ich will, dass ihr uns dabei helft.“ Mit Geld ginge das nicht so einfach. Spenden für die Kampagne, die das letzte Mal mit 30 000 Euro auskommen musste, dürfen nicht aus dem Ausland kommen. Von durchschlagendem Erfolg sei es, selbst bei der Kampagne mitzumachen. „Kommt nach Irland, klopft an die Türen und sagt: Stimmt für uns mit Nein. Wir können es selbst nicht tun.“

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