Jammer und Jubel
Wie drei Parteien gestern auf die Ergebnisse reagierten
Artikel in: Schwäbisches Tagblatt, 10.06.2009
Wenig Bewegung bei den Ergebnissen, aber unterschiedliche Emotionen bei den Parteien: Jubel bei den Grünen, Trauer bei der SPD und gelassene Stimmung bei der Linken, obwohl Tobias Pflüger nicht mehr im Parlament ist.
Enttäuschte Blicke von SPD-Genossen zum Fernseher im Tübinger „Bären“ bei der Wahlparty gestern Abend. Auch Martin Rosemann, Dorothea Kliche-Behnke und Thomas Volkmann (stehend, von rechts) konnten das Ergebnis kaum glauben.
Miese Stimmung bei der Tübinger SPD. Im „Bären“ sollte die Wahlparty nach der gestrigen Europawahl steigen. Doch in den Gesichtern von rund 20 Genossen war nach den ersten Hochrechnungen mehr Trauer als Partystimmung zu sehen. „ . . . schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl bisher . . .“, hallte die Stimme eines Fernsehmoderators durch die Kneipe. Die Kreisvorsitzende Dorothea Kliche-Behnke kann nicht verstehen, wie es zu dieser Klatsche für die Sozialdemokraten kommen konnte. „Wir hatten beim Wahlkampf ein besseres Gefühl“, sagte sie. Vor allem angesichts der Krise sei es kaum nachvollziehbar, dass gerade die FDP zugelegt hat. Schließlich habe die SPD einen politischen Wahlkampf geführt und nicht nur mit Gesichtern geworben, wie die Sozialdemokraten es FPD und Union vorwerfen. „Unsere Spitzenkandidaten haben dieses Ergebnis nicht verdient“, sagte die SPD-Landtagsabgeordnete Haller-Haid.
SPD-Bundestagskandidat Martin Rosemann ist sich sicher, dass die bundesweite Liste bei der Europawahl der SPD schade: „Europa muss näher zu den Menschen.“ Das gehe nur mit Landeslisten, wie die Union sie schon hat. Man solle die Leute kennen, die man wählt – auch beim EU-Parlament. Es sei noch zu früh, aus der Schlappe in der EU Rückschlüsse auf die Wahl des Bundesparlaments zu ziehen: „Da werden die Karten neu gemischt.“
Beim Umgang mit Steuergeldern habe die SPD kein Vertrauen bei den Wählern, heißt es im großen Fernseher. Damit sei in der Finanzkrise schwierig umzugehen, sagte Rosemann. Man müsse den Leuten aber klar machen, dass man eingreifen müsse, wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät. Sonst gebe es viele Arbeitslose, was noch mehr Geld koste. Haller-Haid glaubt, dass auf dem Bundesparteitag in wenigen Wochen „die Weichen in eine deutlich andere Richtung gestellt werden müssen“. Etwa bei Mindestlohn, Aufbau der Sozialsysteme und der Wahl zwischen Bürgerversicherung oder Kopfpauschale, so Rosemann.
„Das einzig Gute heute Abend ist, dass wir jetzt zwei Abgeordnete aus dem Land im Parlament haben“, tröstete sich Kliche-Behnke. Die Wahlschlappe liegt den Genossen im Magen. Aus der Gewissheit, ein gutes Kommunalwahlergebnis zu erzielen, ist im Laufe des Abends eher Hoffnung geworden.
„32,7 Prozent in Tübingen und das Französische Viertel fehlt noch“, rief Christian Brugger vom Kreisvorstand der Grünen erfreut seinen Parteifreunden zu. Rund 40 Frauen und Männer – darunter auffallend viele junge – applaudierten im „Alt Tübingen“ für ihre Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir, die auf einer Fernseh-Leinwand um die Wette strahlten. Freudenrufe Richtung Großbild gab es, als Özdemir verkündete, dass Baden-Württemberg nun eine „grüne Landeshauptstadt“ habe – die Grünen als stärkste Kraft in Stuttgart, auch für die Tübinger Parteigänger Grund zum Jubeln.
Außer über die bundesweit stabilen Prozente und den Erfolg in Stuttgart freuten sich die Grünen vor allem darüber, dass sie in der Unistadt das gute Ergebnis von 2004 halten konnten. „Ich bin glücklich, dass die Grünen weiterhin die stärkste Kraft in Tübingen sind“, sagte Christian Kühn vom Kreis- und baden-württembergischen Landesvorstand.
Mit der bundesweiten Wahlkampagne „Wums“ waren die meisten Mitglieder zwar nicht einig, „haben sich aber im Laufe des Wahlkampfes damit identifiziert“, so Kühn. Erleichtert war der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann: „Ich hatte erst große Sorgen – und ich war nicht der einzige –, dass wir das Ergebnis nicht halten können. Aber wir sind von den Kleinen die Größten geworden.“ Auch Hermann gefiel „Wums“ nicht. Dafür seien sie die einzige Partei „mit einem richtigen Wahlprogramm“ gewesen.
Dreimal so viel Energie wie bei der Wahl vor vier Jahren hätten die Grünen diesmal in den Europawahlkampf gesteckt, sagte Kühn. Für den Bundestagswahlkampf „müssen wir aber noch mehr tun“, glaubt Hermann. Auch sei es schwierig gewesen, die EU-Themen zu vermitteln. „Die meisten Ortsansässigen haben sich nur für die Kommunalwahl interessiert“, sagte Hermann. Deshalb sei es gut, dass die Kommunalwahlen und die Europawahl zusammen sind, sagte die Landtagsabgeordnete Ilka Neuenhaus.
Nach knapp zwei Stunden sind die Ergebnisse aus dem Französischen Viertel da: 56,1 Prozent. Ein Viertel, das die Grünen mit Argusaugen beobachten und mit dessen Ergebnis sie rundum zufrieden sind.
Auf dem Weg zur Wahlparty der Linken im TSG-Heim schüttelten Windböen die Bäume. Die Stimmung der anfangs elf Mitglieder war heiter-gelassen, als die ARD gleich nach Schließung der Wahllokale die ersten Zahlen präsentierte: 7,5 Prozent bundesweit. „Bei Prognosen kann es noch große Veränderungen geben“, kommentierte Bernhard Strasdeit, Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der Partei, die Zahlen auf dem Beamer. Bei der ZDF-Hochrechnung landete die Linke nur bei 7,1 Prozent. „Mach lieber wieder das Erste rein“, forderte ein Zwischenrufer.
Frederico Elwing von der Linksjugend „solid“ hatte nach den Umfragen nicht mehr erwartet: „Bei denen lagen wir zwischen sieben und acht Prozent.“ Die Zahlen blieben auch bei den nächsten Einspielungen konstant. Nach einer Dreiviertelstunde war schon klar, dass es dem bisherigen Tübinger Europa-Abgeordneten Tobias Pflüger nicht reichen würde. Damit er wieder ein Ticket nach Straßburg bekommt, hätte die Linke mindestens 8,5 bis 9 Prozent holen müssen – nachdem absehbar war, dass die Freien Wähler bundesweit keine Rolle spielen. „Schade, dass es Tobias nicht geschafft hat“, sagte Strasdeit. Er hoffe, dass er weiter an der Politik beteiligt sei – beispielsweise als Berater in einem Projekt gegen die europäische Militarisierung.
„Jetzt ist die Linke besser als die CSU“, freute sich Strasdeit über ein neues Zwischenergebnis. Kurz darauf erschien Links-Fraktionschef Gregor Gysi im Interview mit Ulrich Deppendorf auf der Leinwand. „Krisen sind nicht dafür da, davon zu profitieren“, sagte Gysi auf eine Frage zum Ergebnis. Das dutzend Mitglieder lachte über seine Schlagfertigkeit. Ebenso witzig fanden sie es, als kurz anstelle des angekündigten bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer der Spitzenkandidat der Linken für die Europawahl, Lothar Bisky, eingeblendet war.
Gegen 19 Uhr war es noch zu früh für eine tiefgreifende politische Analyse. Strasdeit glaubt, dass die sozialen Themen nicht im Zusammenhang mit Europa gesehen würden: „Das schadet der SPD und uns“, sagte er. Den möglichen Grund für das hinter den Erfolg bei der Bundestagswahl zurückgehende gestrige Europawahl-Ergebnis sieht das Landesvorstands-Mitglied darin, „dass die Interessen, die Wähler mit den Linken verbinden, nicht mit Europa verbunden werden“. Bei der Bundestagswahl, kündigte Strasdeit an, „werden wir wieder zweistellig“.
Artikel in: Schwäbisches Tagblatt, 10.06.2009
Wenig Bewegung bei den Ergebnissen, aber unterschiedliche Emotionen bei den Parteien: Jubel bei den Grünen, Trauer bei der SPD und gelassene Stimmung bei der Linken, obwohl Tobias Pflüger nicht mehr im Parlament ist.
Enttäuschte Blicke von SPD-Genossen zum Fernseher im Tübinger „Bären“ bei der Wahlparty gestern Abend. Auch Martin Rosemann, Dorothea Kliche-Behnke und Thomas Volkmann (stehend, von rechts) konnten das Ergebnis kaum glauben.
Miese Stimmung bei der Tübinger SPD. Im „Bären“ sollte die Wahlparty nach der gestrigen Europawahl steigen. Doch in den Gesichtern von rund 20 Genossen war nach den ersten Hochrechnungen mehr Trauer als Partystimmung zu sehen. „ . . . schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl bisher . . .“, hallte die Stimme eines Fernsehmoderators durch die Kneipe. Die Kreisvorsitzende Dorothea Kliche-Behnke kann nicht verstehen, wie es zu dieser Klatsche für die Sozialdemokraten kommen konnte. „Wir hatten beim Wahlkampf ein besseres Gefühl“, sagte sie. Vor allem angesichts der Krise sei es kaum nachvollziehbar, dass gerade die FDP zugelegt hat. Schließlich habe die SPD einen politischen Wahlkampf geführt und nicht nur mit Gesichtern geworben, wie die Sozialdemokraten es FPD und Union vorwerfen. „Unsere Spitzenkandidaten haben dieses Ergebnis nicht verdient“, sagte die SPD-Landtagsabgeordnete Haller-Haid.
SPD-Bundestagskandidat Martin Rosemann ist sich sicher, dass die bundesweite Liste bei der Europawahl der SPD schade: „Europa muss näher zu den Menschen.“ Das gehe nur mit Landeslisten, wie die Union sie schon hat. Man solle die Leute kennen, die man wählt – auch beim EU-Parlament. Es sei noch zu früh, aus der Schlappe in der EU Rückschlüsse auf die Wahl des Bundesparlaments zu ziehen: „Da werden die Karten neu gemischt.“
Beim Umgang mit Steuergeldern habe die SPD kein Vertrauen bei den Wählern, heißt es im großen Fernseher. Damit sei in der Finanzkrise schwierig umzugehen, sagte Rosemann. Man müsse den Leuten aber klar machen, dass man eingreifen müsse, wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät. Sonst gebe es viele Arbeitslose, was noch mehr Geld koste. Haller-Haid glaubt, dass auf dem Bundesparteitag in wenigen Wochen „die Weichen in eine deutlich andere Richtung gestellt werden müssen“. Etwa bei Mindestlohn, Aufbau der Sozialsysteme und der Wahl zwischen Bürgerversicherung oder Kopfpauschale, so Rosemann.
„Das einzig Gute heute Abend ist, dass wir jetzt zwei Abgeordnete aus dem Land im Parlament haben“, tröstete sich Kliche-Behnke. Die Wahlschlappe liegt den Genossen im Magen. Aus der Gewissheit, ein gutes Kommunalwahlergebnis zu erzielen, ist im Laufe des Abends eher Hoffnung geworden.
„32,7 Prozent in Tübingen und das Französische Viertel fehlt noch“, rief Christian Brugger vom Kreisvorstand der Grünen erfreut seinen Parteifreunden zu. Rund 40 Frauen und Männer – darunter auffallend viele junge – applaudierten im „Alt Tübingen“ für ihre Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir, die auf einer Fernseh-Leinwand um die Wette strahlten. Freudenrufe Richtung Großbild gab es, als Özdemir verkündete, dass Baden-Württemberg nun eine „grüne Landeshauptstadt“ habe – die Grünen als stärkste Kraft in Stuttgart, auch für die Tübinger Parteigänger Grund zum Jubeln.
Außer über die bundesweit stabilen Prozente und den Erfolg in Stuttgart freuten sich die Grünen vor allem darüber, dass sie in der Unistadt das gute Ergebnis von 2004 halten konnten. „Ich bin glücklich, dass die Grünen weiterhin die stärkste Kraft in Tübingen sind“, sagte Christian Kühn vom Kreis- und baden-württembergischen Landesvorstand.
Mit der bundesweiten Wahlkampagne „Wums“ waren die meisten Mitglieder zwar nicht einig, „haben sich aber im Laufe des Wahlkampfes damit identifiziert“, so Kühn. Erleichtert war der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann: „Ich hatte erst große Sorgen – und ich war nicht der einzige –, dass wir das Ergebnis nicht halten können. Aber wir sind von den Kleinen die Größten geworden.“ Auch Hermann gefiel „Wums“ nicht. Dafür seien sie die einzige Partei „mit einem richtigen Wahlprogramm“ gewesen.
Dreimal so viel Energie wie bei der Wahl vor vier Jahren hätten die Grünen diesmal in den Europawahlkampf gesteckt, sagte Kühn. Für den Bundestagswahlkampf „müssen wir aber noch mehr tun“, glaubt Hermann. Auch sei es schwierig gewesen, die EU-Themen zu vermitteln. „Die meisten Ortsansässigen haben sich nur für die Kommunalwahl interessiert“, sagte Hermann. Deshalb sei es gut, dass die Kommunalwahlen und die Europawahl zusammen sind, sagte die Landtagsabgeordnete Ilka Neuenhaus.
Nach knapp zwei Stunden sind die Ergebnisse aus dem Französischen Viertel da: 56,1 Prozent. Ein Viertel, das die Grünen mit Argusaugen beobachten und mit dessen Ergebnis sie rundum zufrieden sind.
Auf dem Weg zur Wahlparty der Linken im TSG-Heim schüttelten Windböen die Bäume. Die Stimmung der anfangs elf Mitglieder war heiter-gelassen, als die ARD gleich nach Schließung der Wahllokale die ersten Zahlen präsentierte: 7,5 Prozent bundesweit. „Bei Prognosen kann es noch große Veränderungen geben“, kommentierte Bernhard Strasdeit, Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der Partei, die Zahlen auf dem Beamer. Bei der ZDF-Hochrechnung landete die Linke nur bei 7,1 Prozent. „Mach lieber wieder das Erste rein“, forderte ein Zwischenrufer.
Frederico Elwing von der Linksjugend „solid“ hatte nach den Umfragen nicht mehr erwartet: „Bei denen lagen wir zwischen sieben und acht Prozent.“ Die Zahlen blieben auch bei den nächsten Einspielungen konstant. Nach einer Dreiviertelstunde war schon klar, dass es dem bisherigen Tübinger Europa-Abgeordneten Tobias Pflüger nicht reichen würde. Damit er wieder ein Ticket nach Straßburg bekommt, hätte die Linke mindestens 8,5 bis 9 Prozent holen müssen – nachdem absehbar war, dass die Freien Wähler bundesweit keine Rolle spielen. „Schade, dass es Tobias nicht geschafft hat“, sagte Strasdeit. Er hoffe, dass er weiter an der Politik beteiligt sei – beispielsweise als Berater in einem Projekt gegen die europäische Militarisierung.
„Jetzt ist die Linke besser als die CSU“, freute sich Strasdeit über ein neues Zwischenergebnis. Kurz darauf erschien Links-Fraktionschef Gregor Gysi im Interview mit Ulrich Deppendorf auf der Leinwand. „Krisen sind nicht dafür da, davon zu profitieren“, sagte Gysi auf eine Frage zum Ergebnis. Das dutzend Mitglieder lachte über seine Schlagfertigkeit. Ebenso witzig fanden sie es, als kurz anstelle des angekündigten bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer der Spitzenkandidat der Linken für die Europawahl, Lothar Bisky, eingeblendet war.
Gegen 19 Uhr war es noch zu früh für eine tiefgreifende politische Analyse. Strasdeit glaubt, dass die sozialen Themen nicht im Zusammenhang mit Europa gesehen würden: „Das schadet der SPD und uns“, sagte er. Den möglichen Grund für das hinter den Erfolg bei der Bundestagswahl zurückgehende gestrige Europawahl-Ergebnis sieht das Landesvorstands-Mitglied darin, „dass die Interessen, die Wähler mit den Linken verbinden, nicht mit Europa verbunden werden“. Bei der Bundestagswahl, kündigte Strasdeit an, „werden wir wieder zweistellig“.
Tobias Pflüger - 2009/06/22 14:39
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